Die Lösungsbegabung. Markus Hengstschläger
eine Leistung auch dann ein anzustrebendes Ziel, wenn sie nicht zu für jedermann sichtbaren, quantifizierbaren Erfolgsergebnissen führt. Unglaublich vieles wird auf dieser Welt geleistet, was zu selten oder oft gar nicht von Erfolg im quantifizierbaren Sinn gekrönt ist. Es zählt einfach zu den größten Leistungen und Erfolgen der Menschheit, einem traurigen Menschen Trost zu spenden, einem Pflegebedürftigen bei ganz alltäglichen Dingen zu helfen, einem Menschen auf der Flucht ein Zuhause zu bieten, einem einsamen Menschen Zeit zu schenken, für einen Fragenden eine Antwort zu finden oder einem Kind Geborgenheit zu geben. Die Liste all dieser so wichtigen, primär sinnstiftenden Leistungen wäre unendlich erweiterbar.
»Also was ist Erfolg? Was bedeutet es, ein gutes, erfolgreiches Leben zu leben beziehungsweise leben zu können? Eine allgemeingültige Antwort darauf kann es nicht geben. Ich persönlich kann dem Ansatz der Mitglieder des Redaktionsteams der Philosophie-Zeitschrift Hohe Luft, Tobias Hürter, Rebekka Reinhard und Thomas Vašek einiges abgewinnen. Zum einen geht es um die Unterscheidung von drei Arten von Erfolg, die aber natürlich auch Überlappungen aufweisen. Der ökonomische, quantifizierbare Erfolg, der aus Leistung genauso wie aus Zufall resultieren kann, wird vom ästhetischen Erfolg unterschieden, der mit kreativen Tätigkeiten wie Kochen, Musizieren, Schreiben, Tanzen und vielem mehr im Zusammenhang steht und natürlich einem subjektiven Urteil unterliegt. Und schließlich gibt es noch eine dritte Erfolgsart – den sogenannten ethischen Erfolg, der für das objektiv Gute steht und zum Beispiel der Wissenschaft oder der Ökologie dient. Die Autoren schlagen aber vor allem vor, statt vom ›Erfolg‹ eines Menschen, von seinem ›Werk‹ zu sprechen. Dieser Begriff beschreibt sowohl das Tätigsein selbst (am Werk sein) als auch das Ergebnis, ein Werk mit Bestand, das den Tag überdauert. Das Werk, das Lebenswerk, ob nun künstlerisches, wissenschaftliches oder unternehmerisches Tun, soziales Engagement oder die Erziehung der Kinder, macht zu Recht stolz, weil es das Ergebnis unseres Wirkens und nicht des Zufalls ist (Hürter, Reinhard, Vašek: ›Das Märchen vom Erfolg‹, 2015).«
»Es ist nicht ein biologischer Antrieb oder unser Belohnungs- und Bestrafungs-Trieb, sondern es ist einfach unser Wunsch, unser Leben voll Sinn zu führen, es selbst zu gestalten und dabei unsere Fähigkeiten zu erweitern.« (Pink: Drive: Was Sie wirklich motiviert, 2010).
Natürlich kann man nichts dagegen haben, dass Menschen gern glücklich sind. Der Ansatz, es sei Erfolg genug, wenn man selbst nur glücklich und zufrieden ist, muss allerdings aus verschiedenen Gründen hinterfragt werden. Und einen Zusammenhang zwischen Glück und Erfolg kann man ohnedies nur bedingt ausmachen, wohl wissend, dass es in der Kunst, der Wissenschaft, dem sozialen Engagement, der Wirtschaft und vielem mehr schon so oft und so viele beeindruckende Lebenswerke von unglücklichen beziehungsweise unzufriedenen Menschen gegeben hat. Das schließt umgekehrt aber natürlich wiederum nicht aus, dass ein erfolgreiches Lebenswerk auch glücklich machen kann und soll. Es sagt aber auch nicht, dass eine in Aussicht gestellte Erfolgsgarantie glücklicher macht. Und die Geschichte hat noch etwas gezeigt: Ob ein Werk unter – im finanziellen, politischen oder gesellschaftlichen Sinn – »sicheren«, zielgerichteten Bedingungen durchgeführt wurde, oder ob »unsicher« ans Werk gegangen wurde, lässt nicht unbedingt Voraussagen über seinen Erfolg zu. Es ist selbstverständlich in vielen Zusammenhängen notwendig und sinnvoll, sich Ziele zu setzen, auf die man hinarbeiten kann. Und ohne Extra Miles kein Erfolg. Das gilt für das persönliche Leben genauso wie für das strategische, unternehmerische Handeln. Das Arbeiten mit dem vorhersehbaren Ziel und Resultat vor Augen macht aber weder unbedingt glücklicher, noch ist es notwendigerweise erfolgreicher als ein Streben, ohne automatisch auf einen bekannten Endpunkt zuzusteuern. Das ist eine Tatsache, die jeder, der in der Grundlagenforschung arbeitet, kennt und sogar schätzt. Es ist aber auch klar, dass viel ungerichtetes »Am-Werk-Sein« letztendlich irgendwann und immer wieder einmal zu ganz konkreten Produkten und in weiterer Folge Innovationen führen kann. Und umgekehrt dienen viele endliche Ansätze (einzelne Projekte) großen Konzepten und Ideen (ganzen Prozessen), so wie etwa die Entwicklung konkreter Solargeräte den Anstrengungen gegen den Klimawandel dient, oder ein einzelnes Geschäft dem Wachstum des Unternehmens nutzt.
Erfolg zu haben, indem man sich auf die bekannte Zukunft strategisch einstellt, ist überlebenswichtig. Aber solch ein Vorgehen wird erst gemeinsam mit dem ergebnisoffenen Ausschauhalten nach dem Sinn, um sich selbst auch immer wieder einmal zu »etwas anderem« herauszufordern, um nicht nur den gängigen gesellschaftlichen Symbolen für Leistung entgegenzufiebern und um dem Unvorhersehbaren seine Chance zu geben, zu einem Ganzen, zu einem wirklich erfolgreichen Werk beziehungsweise Lebenswerk.
Für die Zukunft Neues erschaffen
Im Jahr 2010 gründeten wir den Thinktank Academia Superior – Gesellschaft für Zukunftsforschung, dessen wissenschaftlicher Leiter ich neben meiner universitären Hauptbeschäftigung seitdem bin. Dieser Think- und Dotank (www.academia-superior.at) wird von einem großen wissenschaftlichen Beirat unterstützt, in dem ein Nobelpreisträger für Medizin genauso vertreten ist wie zum Beispiel Historiker, Rechtswissenschaftler, Ökonomen, Mathematiker, Wirtschaftsjournalisten oder Physiker. Das Ziel von Academia Superior ist es letztendlich, klare Handlungsempfehlungen zu erarbeiten, die Chancen und Potenziale für die Gestaltung der Zukunft eröffnen sollen. Das zentrale Element dabei ist das seit zehn Jahren jährlich stattfindende Surprise-Factors-Symposium. Im Zuge dieser Symposien haben wir immer mit Gästen aus verschiedensten Disziplinen über die größten Entdeckungen, Entwicklungen und Überraschungen der letzten Jahre in ihren jeweiligen Fachbereichen diskutiert. Was war das Unvorhersehbare, das Unvorhersehbarste in der jeweiligen Disziplin? Wie geht man mit der unbekannten Zukunft um, und was lernt man daraus? Wie bereitet man sich auf die Zukunft vor? Neben vielen österreichischen Expertinnen und Experten haben wir diese Fragestellungen zum Beispiel mit dem US-amerikanischen Wirtschaftsjournalisten und ehemaligen Herausgeber des Harvard Business Review, Alan Webber, der US-amerikanischen Datenanalystin bei E-Bay, Gayatri Patel, dem US-amerikanischen Mathematiker John L. Casti, der dänischen Schriftstellerin Janne Teller, dem britischen Kybernetiker Kevin Warwick, dem deutschen Politiker Hans-Dietrich Genscher, der saudischen IT-Beraterin und Initiatorin von »Woman2Drive« Manal al-Sharif, dem polnischen Friedensnobelpreisträger Lech Wałȩsa, der britischen Sportadministratorin Susan Campbell, dem US-amerikanischen Gesundheitsexperten David Katz, der Schweizer Computergrafik-Wissenschaftlerin Nadia Magnenat Thalmann, dem Psychologen und Stanford-Professor Michal Kosinski oder der US-amerikanischen Kriegsfotografin Andrea Bruce (um nur einige zu nennen) diskutiert. Eine der wohl wesentlichsten Komponenten einer zukunftsorientierten Gegenwart, so die immer wieder geäußerte Ansicht, ist die grundlegende Bereitschaft, sich einzubringen und neue Wege zu beschreiten, um Lösungen zu finden.
Glück, Erfolg und das Betreten von unbekanntem Land haben sogar so manches gemeinsam. Sie sind zu Schlagworten der modernen Welt geworden, die sehr oft und, weil auch nicht ganz einfach zu präzisieren, sehr breit verwendet werden. Alle wollen es, niemand weiß so recht, wie es zu erreichen ist, aber alle sind sich sicher, ohne Kreativität und ohne eine ordentliche Portion harte Arbeit ist es nicht zu schaffen. Das Wichtigste aber ist die flächendeckend anzutreffende, tiefe Überzeugung, dass Glück, Erfolg und neue Wege zu gehen, zu den mächtigsten Elementen einer gestaltenden Gegenwart gehören. Ob das mit einem generalisierten Verständnis für die Bedeutung blühenden Fortschrittes für den Menschen zu tun hat, sei einmal dahingestellt.
»Unter philosophischen, politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen oder etwa medizinischen Aspekten betrachtet, Fortschritt entsteht immer durch Veränderung in menschlichen Gesellschaften und führt zu grundlegenden Verbesserungen. Sowohl in der neolithischen Revolution am Übergang von den Jägern und Sammlern zu den Siedlern und Ackerbauern, als auch in der industriellen oder der digitalen Revolution, die Schritte hin zum Besseren wurden durch gezielte, von Menschen gemachte Veränderungen befördert. Die entsprechende ethische Abwägung vorausgesetzt und eine manchmal blauäugige Fortschrittsgläubigkeit moderner Gesellschaften auch durchaus kritisch gesehen, haben aber sicher nicht alle, aber zumindest viele ›Fortschritte‹ der Menschheitsgeschichte im Kern das Ziel verfolgt, die Welt für den Menschen besser zu machen. Ja, so manche haben das nicht nur nicht erreicht, sondern sogar das Gegenteil