Amyotrophe Lateralsklerose (ALS). Thomas Meyer
Rückenmarks durchgeführt. Meist ist auch eine Untersuchung des Nervenwassers (Liquor cerebrospinalis; kurz »Liquor«) erforderlich. Nicht bei jedem Patienten sind alle Untersuchungen erforderlich, um die Diagnose einer ALS sicherzustellen. Zumeist ist die Diagnosestellung einer ALS für einen erfahrenen Facharzt für Neurologie keine diagnostische Herausforderung. Nur im Ausnahmefall (weniger als 10 % der Betroffenen) kann die Diagnosestellung komplex und schwierig sein. In der Mehrheit der Krankheitsfälle ist die Diagnose als sicher einzuschätzen. Nur im Ausnahmefall (weniger als 5 %) sind invasive Diagnosemaßnahmen (z. B. eine Muskel- oder Nervenbiopsie,
19 Wie häufig ist die Fehldiagnose einer ALS?
Bei einem sehr kleinen Teil der Patienten ist die Diagnosestellung schwierig. Diagnostische Schwierigkeiten entstehen vor allem, wenn die Überlappung von mehreren Krankheiten vorliegt, die Geschwindigkeit der Erkrankung ungewöhnlich ist oder die ALS sich mit ungewöhnlichen Symptomen darstellt. Umgekehrt können in sehr seltenen Fällen andere neurologische Erkrankungen den Eindruck einer ALS erwecken und sich erst im weiteren Verlauf als eine andere Diagnose herausstellen (englisch: »ALS Mimic-Syndrom«). Das Risiko einer Fehldiagnose ist besonders hoch, wenn zwei oder mehrere neurologische Erkrankungen zusammentreffen und anfänglich unklar ist, welche der Erkrankungen für die vorliegenden Symptome verantwortlich ist (z. B. ALS in Kombination mit Bandscheibenerkrankung, die in der Bevölkerung häufig ist). Darüber hinaus gibt es seltene Krankheitskombinationen, die bisher unverstanden sind (z. B. ALS in Kombination mit MS, Rückenmarkveränderungen, Parkinson-Symptomen, Hörminderung, Muskelerkrankungen und anderen komplexen Störungen). Insgesamt ist die Fehldiagnose einer ALS bei einem typischen Erscheinungsbild der Erkrankung sehr selten.
20 Ist die ALS schwer zu diagnostizieren?
Die ALS ist eine schwere Erkrankung, die jedoch relativ leicht zu diagnostizieren ist. Für einen Facharzt für Neurologie sind die Symptome und diagnostischen Kriterien sehr geläufig. Bereits durch die äußeren Symptome (Muskelschwund, Schwäche, Reflexveränderungen, veränderte Muskelspannung bis hin zur Spastik, Faszikulationen, verminderte Beweglichkeit der Zunge, Gewichtsabnahme etc.) entstehen Verdachtsmomente einer ALS. Die einzelnen Symptome für sich genommen sind nicht beweisend. Erst eine typische Kombination der klinischen Merkmale (z. B. die Kombination von Muskelschwund mit einer Schwäche und Reflexsteigerung) sind charakteristisch für die ALS-Diagnose. Bereits durch die »einfache« körperliche Untersuchung lässt sich die Verdachtsdiagnose einer ALS formulieren. In einem zweiten Schritt folgen medizintechnische, laborchemische und radiologische Untersuchungen, mit denen andere neurologische Erkrankungen (die im Einzelfall ähnliche Krankheitssymptome verursachen können) ausgeschlossen werden. In einer neurologischen Schwerpunktpraxis oder während eines Krankenhausaufenthaltes werden die technischen Untersuchungen durchgeführt (Elektromyografie,
21 Kann jeder Neurologe die ALS diagnostizieren?
Jeder Facharzt für Neurologie ist mit den Diagnosekriterien der ALS vertraut. Bereits in der körperlichen Untersuchung in einer Arztpraxis lassen sich die typischen Merkmale einer beginnenden ALS (Schwäche, Muskelschwund, Steifigkeit, Faszikulationen oder andere Merkmale) erkennen. Aus diesen Verdachtsmomenten ergibt sich die Notwendigkeit einer Zusatzdiagnostik (z. B. mit EMG, Elektroneurografie), die durch Überweisung in Schwerpunktpraxen (mit EMG) oder andere Facharztpraxen (Radiologie mit Magnetresonanztomografie) oder durch eine Einweisung in ein Krankenhaus (mit neurologischer Abteilung) realisiert wird. Insgesamt wird vom ambulanten Neurologen die Verdachtsdiagnose einer ALS gestellt, die durch eine umfangreiche Diagnostik in einer neurologischen Klinik bestätigt oder (in einem geringen Teil) entkräftet wird.
22 Was bedeutet »erstes Motoneuron« und »zweites Motoneuron«?
»Motoneurone« (oder auch »motorische Neurone« genannt) sind Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark, die für die Steuerung der Willkürmuskulatur unseres Körpers verantwortlich sind. Dabei sind grundsätzlich motorische Nervenzellen zu unterscheiden, die sich in der motorischen Hirnrinde (»erstes motorisches Neuron«) oder im Rückenmark (oder dem Hirnstamm) befinden (»zweites motorisches Neuron«). Die Unterscheidung ist relevant, da bei