Darkest Blackout. Justin C. Skylark

Darkest Blackout - Justin C. Skylark


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Schlosspark stiegen sie aus. Die Straßen waren weitläufig gesperrt. An jeder Ecke standen Sicherheitskräfte. Die ersten Parademärsche schoben sich bereits durch die Innenstadt.

      Sie kamen schleppend voran, was nicht an den Menschenansammlungen lag, sondern daran, dass Dylan sich fortwährend umsah oder stehen blieb. Zum Glück war Erik an seiner Seite. Der wusste, wo sie entlangmarschieren mussten.

      Die Karl Johans Gate war zu einer festlichen Allee geschmückt. Fahnen hingen von den Häusern. Beidseits der Straße gab es Absperrungen, die die Schaulustigen zurückhielten. Dicht an dicht standen die Menschen – Einheimische ebenso wie Touristen – , um einen Blick auf die Schüler zu erhaschen, die in geübter Formation, ebenfalls zünftig gekleidet, samt Lehrer und Spielmannszug, den Weg über die Hauptstraße Richtung Schloss nahmen.

      Staunend blickte Dylan auf die lange Straße, in der die Farben der norwegischen Flagge dominierten.

      «Wahnsinn!», schrie er. Mehrfach hob er sein Handy, um Fotos zu machen. Eine Schulklasse folgte der nächsten, ein Lied ging in ein anderes über. Gelächter und Jubelschreie erklangen und er ließ es sich nicht nehmen, selbst die Fahne zu schwingen.

      Erik beobachtete das Treiben gelassener. Vermutlich hatte er die alljährliche Feier schon häufiger miterlebt. Nachdem sie den Festmarsch eine Weile verfolgt hatten, griff er nach Dylans Hand. «Kein 17. Mai ohne den König!», verkündete er.

      Dylan gluckste vor Freude. Bereitwillig ließ er sich von Erik durch die Massen schleusen. An der Absperrung zum Schlossplatz zückte der ein Schriftstück. Das wurde von einem Wachmann gescannt. Folglich durften sie den Platz betreten. Auch dort standen die Menschen dicht gedrängt, doch ebenso hatten sie von hier aus eine gute Sicht auf den Balkon des Schlosses.

      Staunend ließ Dylan die Eindrücke auf sich wirken. Die Königsfamilie, samt Oberhaupt, Prinz und Prinzessin, sowie deren Kinder winkten der jubelnden Menge zu. Ein ergreifender Augenblick, den er ebenfalls mit dem Handy einfing. Für einen kurzen Moment war er den Tränen nahe.

      «Danke!», warf er Erik zu. «Danke, dass du mich mitgenommen hast.» Sein Blick schwirrte zurück. Auf dem Vorplatz des Schlosses war eine neue Schulklasse angekommen. In einem Kreis und bei traditioneller Musik führte sie einen Tanz vor. Dylan klatschte zum Takt.

      Das Treiben und der nicht endende Festzug waren so fesselnd, dass er das erste Mal auf die Uhr sah, als zwei Stunden vergangen waren und sein Nasenrücken spannte. Nun wusste er, was Thor gemeint hatte. Die Sonne schien ungnädig auf sie nieder und es gab weit und breit kein schattiges Plätzchen. Zudem hatte er Durst und auch etwas Hunger. Erstaunt war er ebenfalls, weil es kaum Buden gab, die irgendwelche Speisen oder Getränke vertrieben.

      «Können wir nicht irgendwo einen Imbiss nehmen?»

      Erik winkte ab. «Die meisten Leute nehmen sich was zu essen und trinken mit», erklärte er. «Außerdem ist Feiertag, die Läden haben zu. Wenn du Glück hast, begegnet dir ein Eisverkäufer und einige Geschäfte verkaufen süßes Gebäck in den Straßen.» Er zog eine Sonnenbrille hervor und reichte sie Dylan, der sie dankbar entgegennahm und aufsetzte.

      «Abgesehen davon, sollten wir hier keine Wurzeln schlagen.» Auf Eriks Gesicht schlich sich ein verheißungsvolles Lächeln. Erneut fasste er nach Dylans Hand. «Ich kenn ein besseres Plätzchen.»

      Dylan hatte sich mitziehen lassen. Zurück zur Straße, entlang der Karl Johans Gate, bis zu einem Haus aus rotem Backstein, in dem sich das Hard Rock Cafe von Oslo befand.

      «Ich hab hier Beziehungen», verkündete Erik. Gezielt lotste er Dylan ins Gebäude. Sie betraten ein Treppenhaus, erklommen die Stufen bis zur zweiten Etage und gelangten kurz darauf in eine Wohnung, in der eine Party stieg. Auf einem Tisch reihten sich Speisen und Getränke – vornehmlich Würstchen, Waffeln und Alkohol in allen Facetten. Auch Erik, der den Gastgeber kannte, zog aus seinem Rucksack zwei Flaschen und stellte sie dazu. Dylan nahm eine Waffel in die Hand und betrat den Balkon. Von hier aus konnte er den Festmarsch noch besser verfolgen. Inzwischen liefen die Schulklassen der älteren Semester über die Straße.

      Jugendliche in roten Anzügen brüllten unverständliche Parolen durch die treibenden Beats der moderneren Musik, die sie begleitete. Die Zuschauer quittierten die Rufe mit einem jubelnden: «Hurra!»

      «Sind das die Russen?», fragte Dylan gespannt.

      «Ja. Die in den roten Anzügen sind die Abiturienten und die in den blauen sind die Abgänger vom Wirtschaftsgymnasium.» Erik stand neben ihm auf dem Balkon, nippte an einer Flasche Bier und erklärte. «Der Russ-Umzug zum 17. Mai bildet den Höhepunkt der wochenlangen Abschlussfeiern, Mutproben und Späße.» Er schüttelte den Kopf und lachte. «Oh je, wenn ich an meinen Abschluss denke … Man hat meine Clique und mich fast eingebuchtet.»

      «Was?» Dylan sah ihn fragend an.

      «Wir sind mit einem alten VW-Bus umhergefahren, sternhagelvoll, haben randaliert und jugendfrei haben wir uns auch nicht verhalten.»

      «Meine Güte!» Dylan grinste und hielt sich am Balkongeländer fest. Unweigerlich dachte er an Thors Warnung und war froh, dass er das Treiben aus angemessener Entfernung mitverfolgen konnte. Sobald das Thema auf Alkohol und Parties zu sprechen kam, fühlte er sich unwohl. Er wusste, woran das lag. Nach wie vor trug er die Angst mit sich, rückfällig zu werden. Bestimmten Reizen ging er lieber aus dem Weg.

      «Was sind das für Kärtchen, die die Russ verteilen?»

      «Eine Art Visitenkarte der Schulabsolventen. Darauf stehen Name und Kontaktadresse sowie originelle Sprüche», erwiderte eine Frauenstimme.

      Dylan drehte sich perplex zur rechten Seite. Erik war verschwunden, stattdessen lehnte eine Frau neben ihm über der Balkonbrüstung. Sie hielt ein Sektglas in einer Hand und eine Zigarette in der anderen.

      «Ach so …» Dylan visierte die Straße, dann wandte er sich komplett um. Durch das Balkonfenster sah er Erik mit einem Mann auf dem Sofa sitzen.

      «Du kommst wohl nicht von hier?», fragte die Frau.

      «Nein.» Dylan schüttelte den Kopf. «Ich bin mit Erik hier.»

      «Mit Erik?» Die Frau lachte laut. «Seit wann lässt der sich anbinden?»

      «Also eigentlich …»

      Sie hörte ihm nicht mehr zu und verschwand im Inneren des Gebäudes. Dylan seufzte. Inzwischen stand er allein auf dem Balkon. Offensichtlich war er der Einzige, der sich noch für den Umzug interessierte. Aus der Wohnung dröhnten Gelächter und laute Stimmen. Von der Straße her drang die schallende Rap-Musik der Russ, die aus einer mobilen Stereoanlage hämmerte. Die ältesten Schulabgänger bildeten das Ende des barnetoget – was so viel wie ‹Kinderzug› hieß. Die starren Absperrungen wurden gelockert. Passanten reihten sich in die Schlange ein. Jetzt marschierte das Volk zum Schloss und Dylan fragte sich, ob die Königsfamilie noch immer auf dem Balkon stand, um die Bürger und Touristen zu begrüßen. Die Kinder und Jugendlichen, das lag auf der Hand, wurden an diesem Tag am meisten gefeiert.

      Er rieb sich über das heiße Gesicht. Hatte er inzwischen einen Sonnenbrand? Warum hatte er nicht auf Thor gehört und sich dementsprechend eingecremt?

      Zurück in der Wohnung registrierte er, dass Erik nicht mehr auf dem Sofa saß. Suchend blickte sich Dylan um. Die Frau vom Balkon reichte ihm ein Glas Sekt entgegen, das er nahezu entrüstet ablehnte.

      «Oh, danke, ich trinke nichts.»

      «Gar nichts?», fragte sie, wobei sich ihre Stimme anhob. Kurzerhand kippte sie den Inhalt des Glases in ihr eigenes, das demzufolge fast überschwappte.

      «Nein. Habt ihr keine Cola oder sowas?»

      Neben ihm lachte ein Mann laut auf. «Cola? Was bist du denn für einer? Heute ist Nationalfeiertag.»

      «Ja, das weiß ich.» Dylan nahm die Sonnenbrille ab und rieb sich die brennende Nase.

      «Ey, dich kenn ich aus dem Fernsehen!», tönte der Mann.

      «Oh, nein, im Fernsehen bin ich eher


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