Seewölfe - Piraten der Weltmeere 699. Jan J. Moreno

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 699 - Jan J. Moreno


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die unten auf Hilfe warteten.

      Carberry versteifte sich. Langsam, als müsse er sich zu der Bewegung zwingen, hob er die rechte Hand und schlug das Kreuz vor sich.

      „Du warst ein feiner Kerl, Donegal, auch wenn wir nicht immer einer Meinung waren. Ich denke, du wirst es gut haben im Paradies …“

      Für die Dauer einiger Atemzüge ebbte das Toben ab, als wären mit dem Tod dreier Arwenacks genug Opfer gebracht worden.

      „Sie haben sich retten können“, behauptete Batuti, der unmittelbar vor der Abbruchkante gestanden hatte. „Da unten war der Eingang zu einem Stollen.“

      „Der vielleicht ebenfalls eingestürzt ist“, murmelte Jack Finnegan.

      „Das kann niemand sagen, Jack.“

      Ein anschwellendes Fauchen war zu hören. Es klang, als rase ein Orkan heran.

      Im nächsten Moment brach der schlammige Grund des versickernden Sees an mehreren Stellen auf. Staub, Geröll und Wasser wurden unter hohem Druck in die Luft geschleudert. Wie von Geysiren, die sich in regelmäßigen Abständen entluden.

      Das Zeug war sogar ähnlich heiß. Den Arwenacks blieb keine andere Wahl, als bis zu den halbverschütteten Stolleneingängen zurückzuweichen. An den Fontänen gab es kein Vorbeikommen.

      Aber auch die Abraumhalden waren erneut in Bewegung geraten, ebenso wie die Überreste der Stege und Rampen und immer noch Teile des Berges. Geröllawinen zwangen die Arwenacks, sich zu trennen. Die Männer verloren sich aus den Augen, viele waren plötzlich auf sich allein gestellt.

      Ein Erdbeben mit seinen Folgeerscheinungen konnte nicht schlimmer wüten als diese von Menschenhand verursachte Katastrophe. Sollten in der Schwefelmine überhaupt je wieder größere Mengen abgebaut werden, dann würden bis dahin sicher Monate vergehen.

      Die Sonne, im späten Nachmittag stehend, hatte sich verdunkelt. Nicht einmal der Nordost vermochte die trüben Staubschleier aufzureißen, die wie ein Leichentuch über dem Gelände lagen.

      Irgendwann kehrte Ruhe ein.

      Wieviel Zeit vergangen war, wußte der Seewolf nicht. In seinen Schläfen dröhnte und hämmerte das Blut in wildem Stakkato. Das klang kaum anders als das Toben in der Mine.

      Die Staubschleier senkten sich allmählich. Wo sie aufrissen, geisterten purpurne Sonnenstrahlen durch den Dunst. Sie fielen schon sehr flach ein.

       Ich lebe!

      Die Erkenntnis löste keine Emotionen aus. Dazu war sie nicht geeignet. Sie beschrieb lediglich den Zustand, der momentan seine Gedanken beherrschte und Bedauern hervorrief.

      Jemand stöhnte. Dem Stöhnen folgte ein kerniger Fluch.

      „Diese dreimal verdammten Affenärsche …“

      „Ed!“ sagte Hasard.

      Sich zu artikulieren, fiel ihm schwer. Die Zunge klebte ausgedörrt am Gaumen – ein lästiger Fremdkörper, der ihn daran hinderte, endlich tief einzuatmen. Sobald er es versuchte, hatte er das Gefühl, ersticken zu müssen.

      Das Rumoren in seiner Nähe brach abrupt ab.

      „Sir?“ fragte Carberry zögernd. „Da soll mich doch gleich dieser und jener. Du lebst?“

      „Ich denke.“

      „Dann denken wir beide das gleiche. Was geschieht nun?“

      Hasard wurde von einem Hustenanfall geschüttelt. Der Schwefelstaub brannte in den Augen, in der Nase, im Mund, in den Lungen und war beißender als eine Wolke von Pulverdampf nach dem Abfeuern einer überhöhten Ladung.

      Man konnte sich zwar daran gewöhnen, aber wohl nur für kurze Zeit, denn dann begann der Schwefel den Menschen von innen heraus aufzufressen. Der Seewolf hatte blinde Minensklaven gesehen, deren Augen nur noch verschwollene, von Geschwüren bedeckte Vertiefungen gewesen waren, denen die Säure die Gesichter zerfressen hatte und die bei jedem heftigen Atemzug Blut husteten.

      Das Verlangen nach Wasser wurde übermächtig. Vor den letzten Erdstößen hatte sich Hasard in einen verschütteten Stollen geflüchtet, der nur noch vier bis fünf Schritte weit gangbar war. Das Gestein war inzwischen zwar von fingerbreiten Rissen durchzogen, hatte aber standgehalten.

      Jeder Knochen schmerzte, als er sich mühsam aufrichtete und den Staub abschüttelte. Die Strapazen der letzten Tage waren auch für ihn zuviel gewesen. In seinem Kopf breitete sich ein Summen wie von einem Hornissenschwarm aus. Eine plötzliche Benommenheit ließ ihn taumeln.

      Er stolperte auf den Höhleneingang zu. Die dicht über dem Horizont stehende Sonne blendete.

      Jäh begann sich alles um ihn herum zu drehen.

      Hasard hatte das Gefühl, von einem rasend schnellen Sog in endlose Tiefen gewirbelt zu werden. Ein Meer aus Farben hüllte ihn ein, in dem gelbe und orange Töne vorherrschten.

      Er spürte, daß er stürzte und schwer aufschlug, daß ihn jemand unter den Achseln umfaßte und über den Boden schleifte.

      Nie zuvor war ihm ähnlich bewußt geworden, was Hilflosigkeit bedeutete. Vergeblich versuchte er, sich zu artikulieren – er brachte nicht mal ein heiseres Krächzen zustande.

      Jemand redete auf ihn ein. Hasard verstand nicht, was die dumpf dröhnende Stimme sagte, doch als ihn ein harter Schlag ins Gesicht traf, entsann er sich, daß Carberry bei ihm war.

      „Wasser!“ stöhnte er nach einer Weile.

      Inzwischen schaffte er es wieder, die verklebten Augen zu öffnen. Der Profos, der sich über ihn beugte, wirkte wie eine Statue aus gelbgrauem Stein. Nur sein mächtiges Rammkinn bewegte sich.

      „Da hast du Pech, Sir“, sagte Carberry. „Wir müssen noch eine Weile ohne Wasser aushalten.“

      „Wie viele haben überlebt?“

      Carberry zuckte mit den Schultern. Mit seinem massigen Oberkörper verdeckte er jetzt die Sonne, aber ihre Strahlen fluteten seitlich an ihm vorbei, daß es aussah, als leuchte sein verfilztes Haar unter einem Heiligenschein.

      „Wie viele?“ fragte Hasard drängend und schob Carberrys Pranken zur Seite. Er fühlte sich wieder einigermaßen in Ordnung, versuchte aber noch nicht aufzustehen.

      „Ich weiß nicht“, antwortete Carberry zögernd. „Auf jeden Fall wir beide.“

      Er sagte das so emotionslos, als sei es die natürlichste Sache der Welt. Trotzdem konnte er seine Gefühle nicht verbergen. Nicht vor dem Seewolf. Hasard kannte seinen Profos, der trotz des rauhen Äußeren einen goldenen Kern hatte.

      Das trotzig vorgereckte Rammkinn konnte ebensowenig wie das verkniffen wirkende Narbengesicht und die zu Fäusten geballten Pranken darüber hinwegtäuschen, daß sich Carberry nur mühsam beherrschte. Am liebsten wäre er wohl sofort losgestürmt und hätte nach den anderen Arwenacks gesucht, und sei es nur, um sich zu überzeugen, daß sie wirklich tot waren.

      Doch die Sorge um den Seewolf ließ ihn zögern.

      Aus dem wolkenlosen Himmel erklang der heisere Schrei eines Vogels.

      „Die Geier sind da“, sagte Carberry, nach einem flüchtigen Blick in die Höhe. „Noch kreisen sie da oben.“ Trichterförmig legte er die Hände an den Mund. „Ar – we – nack!“ rief er, kaum weniger krächzend als die Schreie der Aasfresser, die sich zu einem größeren Schwarm zusammenfanden.

      Der Wind, der heulend über das verwüstete Bergwerk strich, trug den Ruf davon. Weiter als bis auf fünfzig Schritte war bestimmt nichts zu hören. Der Profos wartete vergeblich auf eine Antwort.

      „Kümmere dich um die anderen“, sagte Hasard. „Es wird Zeit.“

      Carberry bedachte ihn mit einem skeptischen Blick.

      „Ich komm schon klar, Ed. War nur ein Schwächeanfall.“ Hasard stieß sich von der Wand ab, an der er zuletzt Halt gefunden hatte.


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