Lionel Forster, der Quarteron. Eine Geschichte aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Sophie Wörrishöffer

Lionel Forster, der Quarteron. Eine Geschichte aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg - Sophie Wörrishöffer


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ein Mensch, der fest schläft, aber dennoch war diese äussere Ruhe nur Schein, die Augen standen weit offen, und unversehens, ganz unerwartet hatte Charles Trevor ihren glühenden, leidenschaftlich erregten Blick aufgefangen. Zwar fielen die Wimpern augenblicklich herab, aber trotzdem wusste der Gutsherr, dass sein Vetter sich jedes gesprochenen Wortes erinnern würde, dass er auch jetzt noch unter der Maske des Schlafenden angestrengt lauschte, — ein unangenehmes Gefühl durchfröstelte sein Herz.

      „Jetzt nicht,“ flüsterte er in das Ohr seines Pflegesohnes. „Schlafe, Lionel, schlafe, — wir sprechen uns morgen.“

      Drittes Kapitel

      Noch stand die Sonne nicht völlig am Himmel, der Tau lag auf den Grasspitzen, die Blumen schimmerten wie mit einem Silberschleier bedeckt; es war ein warmer, herrlicher Morgen, kirchenstill dehnte sich der Wald, nur leises Vogelsingen klang zuweilen durch die grüne Wildnis.

      Jack Peppers ordnete den Vormarsch der Treiber, die das Unterholz von allen Seiten durchstreifen und so das kostbare Wild zwingen sollten, im dichten Schilf eines Sees Schutz zu suchen.

      „Wie ist die Gegend beschaffen?“ fragte Mr. Manfred Trevor. „Eine offene Fläche?“

      „Ein See, der in einen Sumpf ausläuft, Sir, dahinter die Gebirgskette. Ich bin überzeugt, dass uns die Katze nicht entkommen kann.“

      Manfred hielt sich ständig an seines Vetters Seite, er verliess ihn keinen Augenblick, er machte es ihm ganz unmöglich, dem Knaben unbemerkt auch nur ein einziges Wort zuzuflüstern. Lionel dachte nicht mehr an die Unterredung dieser Nacht, er kümmerte sich wenig um Geld oder Erbschaft, sein Auge blitzte hell und fröhlich.

      Eine Stunde weit führte der Weg durch den Wald, dann wurde das Unterholz seltener, und endlich schimmerte ein Wasserstreif in der Ferne den Jägern entgegen. Wie ein Keil, spitz und langgestreckt, bohrte sich ein Ausläufer des Sees in das Holz hinein, zu beiden Seiten mit hohem Schilf bewachsen.

      Jetzt schienen die Hunde unruhig zu werden, sie schnupperten am Boden, ihr Haar sträubte sich, nur die gehorsamen Tiere des. Trappers waren noch zum Vorgehen zu bewegen, während die beiden Rüden des Gutsherrn winselnd zu den Füssen ihres Gebieters um Schutz zu bitten schienen.

      Jack Peppers stand still. „Irgendwo im Schilf lauert die Bestie,“ sagte er leise. „Wir müssen uns jetzt trennen, so dass beide Ufer des Wasserarmes besetzt sind. Ich bleibe hier vorn, meine Hunde sollen die Unze heraustreiben.“

      Er deutete mit der Hand die Richtung an, — leise schleichend suchten die beiden Männer in Begleitung der Knaben jeder für sich hinter einem dicken Stamm Deckung, und nun begann der Trapper die Hunde in Bewegung zu setzen. „Vorwärts, Happy, mein gutes Tier! Vorwärts, Carry! Sucht die Katze!“

      Er selbst hatte das Gewehr an einen Baumstamm gelehnt und dafür vom Gürtel eine schwere Keule aus Eichenholz gelöst. Den Arm mit einem Schaffell umwickelt, stand er da wie ein römischer Fechter der Vorzeit, vollkommen ruhig, bereit, dem gefürchteten Raubtier entgegenzugehen.

      Die Hunde drangen in die dichten Schilfmassen hinein, sie suchten mit gesenkten Schnauzen und schienen nach kurzer Frist die Spur gefunden zu haben. Ein wütendes Bellen verriet, dass ihr Todfeind entdeckt war.

      Geier kreischten und flogen durcheinander, Hunderte ihrer hässlichen Sippe erschienen zugleich, ein wirres Flügelschlagen und Lärmen begleitete einen Chorus anderer Stimmen, die sich aus der Mitte des Schilfmeeres erhoben. Von rechts und links stürzte aufgeschreckt, in voller Todesangst, ein Rudel Wasserschweine kopfüber in die stille Flut, während aus dem grünen Rahmen derselben ein dicker, plumper Kopf mit glühenden Raubtieraugen zum Vorschein kam. Ein langer Schweif peitschte wütend die Halme, dass sie nach allen Seiten flogen, ein Brüllen erscholl gleich fernem Donner. Der schwarze Kopf sah nach vorn, als suche er den Angreifer, das riesige, einem Königstier an Grösse gleichkommende Tier stand aufrecht in seiner vollen Höhe und schlug herausfordernd mit den Pranken in die Luft, während von allen Seiten die Geier in ganzen Wolken herbeiflogen, um den Körper eines getöteten Wildschweines, das vor den Füssen des Jaguars im Schilf lag, mit ihren scharfen Schnäbeln zu zerhacken und als gute Beute an sich zu reissen.

      Wenigstens zehn Schüsse fielen zugleich. Das Tier sprang hoch empor und sank auf alle vier Füsse zurück, es brüllte vor Wut und Schmerz, blutiger Schaum stand vor dem Maule, die Rückenhaare waren gesträubt, die Haltung geduckt, wie zum Sprunge. Noch im Todeskampfe schien es den einzig sichtbaren Angreifer, den Trapper, überfallen zu wollen.

      Jack Peppers stand unbeweglich. Die Keule hielt er etwa in der Höhe seiner Augen, die Blicke waren fest auf das brüllende Raubtier gerichtet. Carry und Happy bellten immerfort um die Wette, — es schien, als dränge sich die Entscheidung des ganzen Unternehmens zusammen in diese eine Minute.

      Dann wagte der Jaguar den Sprung, welcher ihm so oftmals zum Siege, zur reichen Beute verholfen hatte; er setzte an, um im Fluge den Trapper zu packen und zu Boden zu reissen. Ein breiter Blutstrom drang aus seiner rechten Seite hervor, die grosse Gestalt schien zu wanken, zu taumeln, sie berührte in einigen Fuss Entfernung vor dem kühnen Jäger den Boden, und nun war, ihr Schicksal besiegelt. Ein wuchtiger Hieb mit der Keule — und das Tier brach zusammen.

      Aus den nächsten Gebüschen kamen die Neger herbei, um in ihrer kindischen Weise den toten Feind zu umtanzen und ihn zu verhöhnen. Auch die beiden Knaben erschienen, endlich Mr. Manfred Trevor, — wo aber blieb der Gutsherr?

      „Onkel Charles!“ rief Lionel.

      Keine Antwort.

      „Onkel Charles, wo bist du? Wir suchen dich!“

      Es blieb wieder alles still, auch der Trapper und Hermann riefen, so laut sie konnten, aber ganz umsonst, nichts regte sich, keine Stimme gab Antwort.

      Lionels Herz fing an schneller zu schlagen. „Onkel Manfred,“ bat er, „rufe du doch auch! — Hast du denn nicht gesehen, wo Onkel Charles Stellung nahm?“

      Mr. Trevor zuckte zusammen. „Ich?“ rief er. „Ich? Junge, wie kommst du darauf?“

      Ehe Lionel antworten konnte, erklang aus einem der entfernteren Teile des Schilfes das laute Geschrei eines Negers, schwarze Hände hoben sich angstvoll in die Luft empor, ein schwarzes Gesicht sah kläglich hinüber zu der Gruppe weisser Männer. „O Mr. Charly! Mr. Charly! — Er ist tot!“

      Lionel schrie laut auf. „Tot! — Barmherziger Gott, er sollte tot sein?“

      Hermann war sogleich aufgesprungen und zur Unglücksstätte geeilt, ihm folgten Jack Peppers und Lionel, ebenso die übrigen Neger. Leise hoben liebevolle Hände die regungslose Gestalt des Gutsherrn vom Boden, leise trug man ihn auf den freien Platz hinaus und legte den Körper auf das Moos unter den Bäumen.

      Jack Peppers bog Rock und Hemd zur Seite. Aus einer kleinen, blauschwarz erscheinenden Wunde in der Brust sickerte das Blut, die Augen waren fest geschlossen, das ganze männlich schöne Antlitz trug den Ausdruck eines tiefen, erschütternden Grames.

      Lionel stand mit krampfhaft gefalteten Händen, unfähig zu sprechen, ja auch nur zu denken, — das plötzlich hereingebrochene entsetzliche Schicksal hatte ihn vernichtend getroffen.

      Der Trapper untersuchte sorgfältig die Wunde. Sein Kopfschütteln, seine Blicke zeigten den Umstehenden deutlich genug, dass keinerlei Hoffnung vorhanden sei, dennoch sagte Jack Peppers mit leiser Stimme: „Das Leben ist noch nicht ganz entflohen, vielleicht hört uns auch der arme Mr. Trevor noch, also bitte, Gentlemen!“ — —

      Und eine Handbewegung vollendete den Satz.

      Lionel sank, aufgelöst in den bittersten Schmerz, neben dem Körper seines Wohltäters auf die Knie. „Onkel Charles!“ flüsterte er, halb erstickt von Tränen, „Onkel Charles, sieh mich doch noch ein einziges Mal an!“

      Und als habe die Stimme des Knaben den Schleier einer todesähnlichen Erstarrung zerrissen, ging durch die Glieder des Sterbenden ein leichtes Zucken. — Die fest geschlossenen Augen öffneten sich langsam, der Blick suchte voll Zärtlichkeit den des Knaben, sekundenlang, — dann heftete er sich fest auf


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