Lionel Forster, der Quarteron. Eine Geschichte aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Sophie Wörrishöffer

Lionel Forster, der Quarteron. Eine Geschichte aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg - Sophie Wörrishöffer


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Lügen,“ sagte er, „alberne Märchen!“

      Und ohne sich weiter um den beleidigten Knaben zu kümmern, ging er davon. Philipp Trevor war der Erbe, dessen Vater als Vormund seines minderjährigen Sohnes einstweilen Herr und Gebieter, — damit basta!

      Zu andern Zeiten hätte sich die Sache möglicherweise nicht so leicht gemacht, aber wo gab es in der augenblicklichen, alles beherrschenden Verwirrung der Dinge einen Gerichtshof, der für die Befreiung einer Anzahl von Negern eingetreten wäre? Draussen auf blutiger Walstatt focht man für die Erhaltung der Sklaverei und hier zu Hause sollte man das Gegenteil unternehmen?

      Philipp hatte sich Lionel nähern wollen, aber sein Vater rief ihn mit barschem Tone zurück, — wie ein kalter Wind wehte es durch Lionels Seele, er schlich ungehört in den Saal, wo die Leiche aufgebahrt lag, und trat an den Katafalk, um wenigstens einige freundliche Worte mit Ralph zu wechseln, der bei dem Toten wachte.

      Traurigen Blickes sah er in das schwarze Gesicht. „Ralph, ich glaube, es kommen jetzt böse Tage für uns alle. Das Testament meines armen Onkels ist nicht zu finden!“

      Der Schwarze bewegte immer treulich den Federwedel über dem Totenantlitz seines Gebieters. „Wir müssen es eben ertragen Sir!“ raunte er. „Armer Massa Lionel, für Sie ist es ein schwerer Schlag, — ach, armer Knabe, armer Knabe!“ —

      Ein Schauer rieselte durch Lionels Adern. „Du glaubst, dass mich Mr. Trevor jetzt aus Seven-Oaks verbannen wird, Ralph?“

      Er hat sich eben dahin geäussert, dass ich der Familie meines Pflegevaters ganz fremd sei, — ist das wahr? Du hast meine Eltern gekannt und musst es am besten wissen.“

      Der Neger seufzte, er schüttelte leicht den Kopf. „Ich mag darüber nicht sprechen,“ versetzte er. „Mr. Trevor ist ein harter Herr, — wer weiss, wie viele Peitschenhiebe wir beide bekämen.“

      Dunkle Glut färbte das Gesicht des Knaben. „Peitschenhiebe?“ wiederholte er. „Ich? Ralph, wie wäre das möglich?“

      Der Schwarze seufzte. „Es sind noch ganz andere Dinge möglich, Massa Lionel. Sie müssen von der Zukunft nicht viel Gutes erwarten, Sir.“

      Eine beklemmende Ahnung legte sich wie ein Druck auf Lionels Herz. „Eins sage mir, Ralph,“ bat er, „du kannst es, ohne jemandes Gebote zu übertreten. War mein Vater ein schlechter Mann? Ist mit seinem Andenken irgendeine Schande verknüpft?“

      Die Augen des Negers schienen plötzlich heller aufzuleuchten. „Schande?“ wiederholte er. „O nein, Sir, nein, Ihr Vater war ein Ehrenmann, es hat ihm niemals jemand etwas Böses nachgesagt, Sie brauchen sich seiner in keiner Weise zu schämen.“

      Lionel atmete leichter, in seinen Zügen löste sich eine unerträgliche Spannung. „Dann ist alles gut,“ nickte er. „Ich danke dir, Ralph.“

      „Sie sollten nun ein wenig hinausgehen in den Wald, Sir! Bis nach der Beerdigung wird Mr. Trevor sich um Sie nicht bekümmern.“

      „Und nachher mir die Tür zeigen, — ich weiss es wohl, Ralph!“

      Er drückte die Hand des Schwarzen und ging hinaus in das leuchtende Sommergrün der Umgebung, so unruhig und traurig wie nie vorher. Jetzt musste er, der bisher ein Sekundaner der Hochschule gewesen war, schon in allernächster Zeit als Knecht auf einer Farm arbeiten, Mr. Trevor würde ihm kein Stück Brot mehr geben wollen.

      Eine Regung von Stolz durchflutete sein Inneres. Er hätte auch aus der Hand dieses Mannes keine Wohltat annehmen mögen. Mr. Trevor hasste ihn, das erfuhr er nicht erst heute, — es konnte zwischen ihnen beiden nie ein gutes Einvernehmen geben.

      Philipp fand am Nachmittag Gelegenheit, dem Freunde flüchtig ein paar Worte zuzuraunen. „Halte aus, Lionel,“ sagte er, „sieh in jedem Augenblick auf den Tag, wo ich mündig werde, — dann hindert mich niemand, so zu handeln, wie es als fester Entschluss vor meiner Seele steht. Seven-Oaks wird wieder dein Eigentum.“

      Lionel lehnte sein kaltes, blasses Gesicht an die Stirn des anderen. „Behalte mich lieb,“ sagte er tief erschüttert, „behalte mich lieb, Philipp! Ich habe auf der weiten Welt keinen Menschen ausser dir!“

      Auf Philipps Lippen schien eine bange Frage zu schweben, sein mageres, kränkliches Gesicht hatte alle Farbe verloren, die heissen Hände bebten wie im Fieber. „Lionel,“ sagte er in gepresstem Tone, „ich bitte dich, sprich jetzt die Wahrheit, als ständest du vor Gott! — Hat dir der verstorbene Onkel Charles sein Testament selbst gezeigt?“

      „Nein, Philipp, aber er hat mir den Inhalt Wort für Wort gesagt. Dir waren sechzigtausend Dollar bestimmt, mir die Farm und allen Sklaven die Freiheit.“

      „Das weisst du ganz gewiss? Es ist kein Irrtum möglich?“

      „Keiner!“

      Philipp brauchte offenbar einige Zeit, sich zu sammeln. „Weshalb hat er dir aber in diesem Falle nicht gesagt, wo das Testament liegt, mein guter Lionel? Kannst du mir das erklären?“

      Der Knabe nickte. „Onkel Charles war im Begriff, mir den Ort zu nennen,“ antwortete er. „Es ist gut versteckt, so lauteten seine Worte, und es ist von grösster Wichtigkeit, dass kein Mensch ausser dir es finde.“

      Philipp hustete fortwährend leise vor sich hin, bei ihm ein Zeichen heftiger innerer Erregung. „Weiter!“ bat er, „weshalb erfuhrst du gerade das Hauptsächlichste nicht?“

      Lionel wandte sich ab. „Ich bitte dich, verlange von mir keine Antwort auf die Frage, Philipp,“ sagte er in unsicherem Tone.

      „Weil es mich schmerzen müsste, den Zusammenhang der Dinge kennen zu lernen?“

      „Ich fürchte, — ja!“

      „Dann war es in der Nacht vor seinem Tode, als Onkel Charles mit dir sprach? — Im Zelte? Als er alle übrigen schlafend glaubte?“

      „Philipp, — du wolltest mir die Antwort erlassen!“

      „Ich habe sie bekommen!“ sagte mit bebender Stimme der Krüppel. „Vier Prüfungsjahre liegen vor dir, Lionel, dann bin ich mündig! — O bete, bete, dass Gott mir das Leben erhalte bis dahin!“

      Er reichte ihm die Hand und ging. Lionel begann in seinem Zimmer die Bücher zu ordnen. Latein, Griechisch, Mathematik, Litteraturgeschichte, — das war nun alles dahin. Vielleicht würde ihm Mr. Trevor nicht einmal gestatten, sein Eigentum mitzunehmen. Wie ein Prinz hatte er bis dahin gelebt, und über Nacht war er ein Bettler geworden.

      Stunden vergingen, während er mit gestütztem Kopfe dasass, eine schlaflose Nacht folgte dem Tage voll Aufregung, und dann kam das Begräbnis. Wagen nach Wagen brachte aus der Stadt das Trauergeleite, die Räume füllten sich mit der vornehmsten Gesellschaft der Umgebung, Offiziere, Gutsbesitzer und Beamte brachten ihre Gaben an Blumen und Kränzen, der ganze Saal schien in einen Garten verwandelt. Am offenen Sarge hielt der Geistliche eine Rede, in der er die Verdienste, namentlich die Menschenliebe des Verstorbenen pries. Dann setzte sich am späten Nachmittag der Zug zu dem mehrere Meilen entfernten Gottesacker in Bewegung.

      Die Bestattung sollte bei Fackelschein vor sich gehen, es warteten am Grabe mehrere Gesangvereine und eine Kapelle; der Leichenzug war vielleicht der stattlichste, den die Gegend jemals gesehen. Zunächst hinter dem Sarge fuhren Mr. Trevor und sein Sohn, dann folgte eine unübersehbare Reihe von Kutschen, hinter denen als letzte in dem Zuge die Schwarzen von Seven-Oaks gingen. Unter ihnen an Ralphs Seite befand sich Lionel. Mr. Trevor hatte ihn nicht aufgefordert, sich mit in den Wagen zu setzen, es blieb ihm daher, wenn er überhaupt der Leiche seines Wohltäters folgen wollte, nur übrig, mit den Negern zu Fuss zu gehen.

      Leise, immer höher und höher anschwellende Klänge eines Chorales empfingen auf dem geweihten Boden den Sarg; zum Himmel empor stieg in schwarzen Wolken der Rauch der Fackeln, eine dichtgedrängte Menschenmenge liess den Zug vorüberziehen. Zuweilen klang verhaltenes Schluchzen, — arme alte Frauen weinten, Bettlerinnen, denen der Verstorbene aus der reichen Fülle seines Besitzes und seiner Nächstenliebe Wohltat über Wohltat gespendet hatte.

      Jetzt


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