Lionel Forster, der Quarteron. Eine Geschichte aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Sophie Wörrishöffer

Lionel Forster, der Quarteron. Eine Geschichte aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg - Sophie Wörrishöffer


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Die Papiere quollen heraus, die Namenliste der Schwarzen, Mr. Masons, des Notars Amtssiegel! —

      Kalter Schweiss trat auf seine Stirn. Nein, nein, um keinen Preis durfte das Grab wieder geöffnet werden. Mr. Manfred wollte schon morgen den schwersten, kostbarsten Stein kaufen und hinausbringen lassen, so eine Granitplatte, die den ganzen Raum überdeckt, — sie wiegt ihre tausend Pfund, sie ist von unberufener Hand nicht so leicht zu entfernen. —

      An dem Morgen, der auf diese Nacht folgte, hatte Jack Peppers, der Trapper, sich verabschiedet, und Lionel begleitete ihn eine Strecke Weges über die Farm hinaus. Der Knabe seufzte, als er dem ehrlichen Burschen zum Lebewohl die Hand reichte. „Könnte ich mit Ihnen in die Wälder ziehen, Peppers,“ sagte er. „Hätte ich irgendeinen bestimmten Beruf! — So, wie ich jetzt lebe, kann es unmöglich länger bleiben.“

      Der Trapper wandte sich ab. „Das wird es auch schwerlich, Sir! — Ich habe mit Bezug auf den Tod des ermordeten Mr. Trevor meine Aussagen vor dem Richter gemacht, das war alles, was ich für Sie tun konnte, — so viel wie nichts, fürchte ich. Sie müssen eben die Prüfung ertragen und hoffen, dass Ihr Recht doch eines Tages zur Geltung kommen werde. Gott sei mit Ihnen, junger Herr!“

      Sie trennten sich mit freundschaftlichem Händedruck, Lionel kehrte zur Farm zurück. Ein Hausdiener brachte ihm den Befehl, sogleich in Mr. Trevors Arbeitszimmer zu erscheinen. Auch Ralph wurde herbeigerufen.

      „Sir,“ flüsterte der Schwarze, indem er die Hand des Knaben ergriff und fast krampfhaft drückte, „mein armer Massa Lionel, jetzt kommt das Unglück, jetzt bricht es herein. Gott der Allmächtige stehe Ihnen bei!“

      „Möchte mich Mr. Trevor doch noch heute gehen heissen,“ murmelte Lionel, „ich werde schon Arbeit finden. Dieser Zustand des Hangens und Bangens ist unerträglich.“

      Er klopfte. Mr. Trevors Stimme rief in herrischem Tone: „Herein!“ — Dann öffnete sich die Tür, um den Knaben und den Neger eintreten zu lassen. Am Fenster des Zimmers stand Philipp, wie es schien, einem erhaltenen Befehle gehorchend, blass und unruhig, mit nervös zuckenden Händen; er begrüsste Lionel nur durch einen schnellen Blick, dann sah er vor sich hin wie jemand, der eine böse Botschaft erwartet.

      Mr. Trevor sass am Schreibtisch, sein Gesicht war fahl wie eine graue, verwitterte Wand, in den Augen glühte ein spöttisches, schadenfrohes Leuchten.

      „Da bist du ja, Lionel,“ sagte die harte, unfreundlich klingende Stimme. „Du wolltest erfahren, wer deine Eltern gewesen sind, nicht wahr?“

      Lionel fühlte die Schläge seines Herzens bis in den Hals hinauf. „Ich bitte um Auskunft, Sir!“ sagte er ruhig.

      „Die soll dir werden. Dein Vater war Malcolm Forster, der Sklave eines Farmers in Kentucky, deine Mutter das Kammermädchen Jane, die Sklavin des verstorbenen Mr. Charles Trevor; — so, nun kennst du das Geheimnis deiner Geburt.“

      Ein Schrei durchdrang die Stille des Zimmers, Philipp hatte ihn ausgestossen. „Vater! — O, um Gotteswillen, Vater!“

      „Du schweigst!“ befahl Mr. Trevor.

      Lionel hatte keinen Laut hervorgebracht; so sehr er sich auch bemühte, seine Fassung äusserlich zu bewahren, so wenig gelang ihm das in diesem verhängnisvollen Augenblick. Als er endlich sprach, bebte seine Stimme vor Erschütterung.

      „Meine Eltern waren Quarterons, Sir?“

      „Beide, ja!“

      „Und nicht frei, nicht —“

      „Beide das Eigentum weisser Herren!“

      Lionel strich über seine Stirn, als werde es ihm plötzlich zu heiss. „Demnach bin ich ein Sklave, Sir? — Ihr Sklave?“

      „Der meines Sohnes, ja!“

      „O Lionel,“ rief Philipp, „Lionel, du wirst immer nur mein Bruder sein!“

      Mr. Trevor liess den Einwurf unbeachtet. „Der Neger Ralph ist aus Kentucky mit meinem verstorbenen Verwandten, Mr. Charles Trevor, hierhergekommen,“ fuhr er fort, „ihm sind alle diese Verhältnisse aus der Erinnerung bekannt, er kann dir daher das Gesagte bestätigen und mir zugleich bezeugen, dass du, wie alle Farbigen auf Seven-Oaks, meines Sohnes Eigentum bist.“

      Lionel nickte. „Machen wir es kurz, Sir,“ sagte er, alle seine Kräfte zusammenraffend, todesblass, aber ruhig. „Sie wollen mich verkaufen?“

      Philipp fuhr plötzlich auf. „Nein!“ rief er, „nein, das soll nie geschehen! Vater, Vater, du kannst unmöglich in meinem Namen ein empörendes Verbrechen begehen wollen!“

      Mr. Trevor lächelte kalt. „Ich bin dein Vormund,“ versetzte er, „und als solcher dem unmündigen Knaben keine Rechenschaft schuldig. Der ganze Bestand an Farbigen wird morgen in der Stadt zur Auktion gebracht, — also natürlich auch der Sklave Lionel. Ich ziehe es vor, in Richmond weisse Dienerschaft zu halten.“

      Philipp trat an der Krücke seinem Vater näher. „Du wirst diesen Entschluss nicht ausführen!“ rief er mit funkelnden Blicken.

      „Ich werde einen Schlingel, der sich gestattet, mich hofmeistern zu wollen, mit Ohrfeigen bestrafen, — merke dir das, mein Bürschchen!“ Dann deutete er zur Tür. „Ralph und Lionel,“ sagte er, „ihr könnt jetzt gehen. Du, Ralph, sagst den Leuten, dass sie sich sämtlich in Bereitschaft halten, morgens neun Uhr den Weg zur Stadt anzutreten. Seine persönlichen Kleidungsstücke darf jeder mitnehmen, weiter natürlich nichts.“

      „Ja, Sir!“

      Ralph zog den halb bewusstlosen Lionel mit sich fort und aus dem Hause. Während Mr. Trevor und sein Sohn Auge in Auge einander gegenüberstanden, während sie unbelauscht harte und erschütternde Worte wechselten, suchte der Neger den Knaben nach Möglichkeit zu trösten. „Es ist ja anzunehmen, dass Sie ein erträgliches Leben bekommen, Sir! — lassen Sie nur nicht gleich den Kopf hängen. Vielleicht kauft Sie ein Advokat oder gar ein Richter, um den teuren weissen Schreiber zu ersparen. Ein Sklave, der die Hochschule besucht hat, wird wahrhaftig nicht alle Tage gefunden, Ihr Los ist daher weit günstiger als das Ihrer Genossen.“

      Die Worte wirkten auf das verwundete Innere des Knaben wie eine heilkräftige Medizin. Alle diese Armen, die verheirateten Leute, welche nun von den Ihrigen getrennt werden sollten, die Väter und Mütter, deren Kinder man verkaufen wollte, — waren sie nicht viel, viel unglücklicher als er selbst, dessen Jugend wenigstens jedes körperliche Ungemach leichter ertrug, dessen höhere Bildung ihm eine bessere, angenehmere Beschäftigung verhiess?

      „Komm, Ralph,“ sagte er rasch, „wir wollen die Armen trösten!“

      Auf dem Hofe sahen ihnen schon unruhige, angstvolle Gesichter entgegen. Die böse Botschaft hat Flügel, sie war auch hier ihrem Träger vorausgeeilt.

      „Sprich, Ralph, sprich nur!“ erklang es um ihn her. „Was ist beschlossen? Wann werden wir verkauft?“

      Und als er es ihnen mitgeteilt hatte, da brach der Jammer los. Die Frauen rangen die Hände, sie weinten laut, jede einzelne hatte einen besonderen Grund, weshalb sie glaubte, ganz unmöglich vertrieben werden zu können.

      „Meine Kinder haben den Husten!“ rief eine. „Die kleinen Lieblinge würden sterben, wenn man sie aus ihren Betten nehmen wollte.“

      „Und unsere Sachen?“ fragte ein Mann. „Mr. Trevor hat uns Tische und Stühle, Betten und Schränke geschenkt, in jeder Wohnung ist sogar eine Uhr. Sollen wir das alles verlieren?“

      Ralph wandte sich ab. „Ich fürchte, ja, meine Freunde!“

      „O, Massa Lionel, Massa Lionel, bitten Sie für uns!“

      Der Knabe und Ralph sahen einander an. Niemand von den Negern ahnte, was der Vertraute des toten Gebieters von jeher gewusst hatte, ja als es nun bekannt wurde, da schien die traurige Tatsache den Armen am Geiste das eigene unselige Schicksal nur noch zu erschweren. Sie kamen und küssten die Hände des Knaben, sie weinten bitterlich. „O, Massa Lionel, Massa Lionel, das ist zu schrecklich, zu betrübend!“

      Eine


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