Gehalten, wenn nichts mehr hält. Katrin Schmidt

Gehalten, wenn nichts mehr hält - Katrin Schmidt


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müsste in dieser Woche anders aussehen. Sie habe das so noch nicht gesehen und sei sehr unsicher. Nachdem ihr Kollege für eine Zweitmeinung nicht unmittelbar zur Untersuchung dazukommen konnte, forderte sie mich auf, unbedingt am nächsten Tag noch einmal zu kommen. Meine Ärztin würde mich untersuchen – das würde sie organisieren. Im so frühen Stadium der Schwangerschaft sei der Embryo noch sehr klein, sodass es schwer sei, etwas genau zu erkennen. Wahrscheinlich würde sich alles klären und gut werden.

      Voller Sorge ging ich zum Auto. Die Ärztin war mir nicht sehr kompetent vorgekommen. So war da eine kleine Hoffnung, dass ich morgen von meiner Ärztin Entwarnung bekommen würde: »Oh, da haben wir uns wohl in der Schwangerschaftswoche geirrt. Der Embryo ist etwas kleiner, aber ansonsten ist alles bestens.«

      Andererseits dachte ich mir, dass keine Ärztin so schnell eine Zweitmeinung einfordern würde, wenn sie nicht wirklich beunruhigt wäre. Im Auto telefonierte ich mit meinem Mann, erzählte ihm alles. Er beruhigte mich soweit, dass ich mich in der Lage sah, nach Hause zu fahren. Zu Hause stärkte er mich sehr, unterstützte meine Hoffnung, dass die Vertretungsärztin wenig kompetent aufgetreten war und sich morgen vielleicht alles klären würde.

      Die Untersuchung am nächsten Tag brachte jedoch wenig Licht in die Dunkelheit. Meine Ärztin bestätigte, dass der Embryo eine auffällig gekrümmte Erscheinung habe, im Bereich des Kopfes und des Bauches merkwürdige Strukturen zeige. Sie betonte dann aber auch, dass es ein früher Zeitpunkt der Schwangerschaft sei. Der Embryo sei gut und fest eingenistet, vielleicht würde sich in wenigen Wochen alles verwachsen haben. Es gab keinerlei Anzeichen für eine mögliche Fehlgeburt, was bei einer Fehlbildung naheliegend gewesen wäre. Jetzt sollte ich ganz entspannt in den Urlaub fahren, die Zeit genießen und danach wiederkommen. Dann würde wahrscheinlich alles anders und gut aussehen.

      Wer wäre in solch einer Situation entspannt gewesen? Ich ganz bestimmt nicht mehr. Auffälligkeiten an Kopf und Bauch, den Bereichen des Körpers, wo die wichtigsten menschlichen Organe sitzen. Was sollte das bedeuten? Was war mit unserem Kind los? Wir hatten uns sehr auf unseren Urlaub gefreut, waren erschöpft von einer längeren Renovierungsaktion an unserem Haus. Wie sollten wir uns mit dieser inneren Unruhe erholen können?

      Wir entschieden, trotzdem in den Urlaub zu fahren, weil wir sowieso nichts machen konnten, als abzuwarten. Zu diesem Zeitpunkt wusste nur meine beste Freundin von der Schwangerschaft. Ich erzählte ihr von unserer Sorge und sie versprach, für uns zu beten. Wir erzählten es dann auch unseren Eltern, die auch für uns beten wollten.

      Im Urlaub kamen nach ein paar Tagen der ältere Bruder meines Mannes und unsere Schwägerin nach, auch ihnen erzählten wir von unserer Schwangerschaft und der Sorge um unser ungeborenes Kind. Alle machten uns Mut und bestärkten uns darin, dass die Ärzte in so einem frühen Stadium der Schwangerschaft wohl etwas falsch gesehen hätten. Wir versuchten uns daran zu klammern, aber in uns waren ganz viel Angst und Sorge, die wir immer wieder vor Gott brachten. Wir beteten häufig für Heilung.

      Die Schwangerschaft trat etwas in den Hintergrund, als unser Sohn schon zu Beginn des Urlaubs krank wurde. Es ging ihm sehr schlecht. Er war rund um die Uhr auf meinem Arm, ließ sich auch schlafend nicht ablegen. Wir mussten zweimal einen Arzt aufsuchen und kümmerten uns intensiv um ihn. Es war anstrengend, wir schliefen schlecht, aber unsere Gedanken kreisten dadurch nicht ständig um unser Ungeborenes. Wenn mein Sohn einmal ruhig schlief, fiel ich auch sofort in einen erholsamen Schlaf und lag nicht grübelnd wach. Ich brauchte meine Kraft jetzt ganz für unseren Kleinen. Er erholte sich nur langsam und war erst die letzten Tage des Urlaubs wieder etwas munterer.

      Als wir nach Hause fuhren, trafen wir eine Entscheidung. Julia, eine Freundin von uns und zugleich eine Kusine meines Mannes, ist Hebamme. Sie wollten wir fragen, ob sie uns in dieser Schwangerschaft begleiten würde – egal, wie es weitergehen würde. Wir machten ein Treffen aus, schilderten unsere Situation und baten sie, uns zu begleiten. Sie sagte sofort zu und fand auch beruhigende Worte, die uns Hoffnung gaben. Mit ihr besprachen wir einige Dinge, die uns zu dem Entschluss brachten, über einen Frauenarztwechsel nachzudenken. Julia empfahl uns eine Ärztin, mit der sie schon viel und gut zusammengearbeitet hatte. Uns erschien es sehr sinnvoll, in dieser besonderen Situation zwei Ansprechpartner zu haben, die auf einer Linie lagen und gut zusammen kooperieren. Was uns jetzt noch gefehlt hätte, wären gegensätzliche Meinungen, die uns verwirren und alles zusätzlich erschweren würden. Ich besprach auch sofort mit Hebamme Julia, dass ich nicht noch einmal die Situation erleben wollte, dass der Embryo für eine genaue Aussage eigentlich zu klein sei. Wir waren uns außerdem immer sicher gewesen, dass wir niemals eine Abtreibung durchführen lassen wollten. Damit gab es keinen Grund zur Eile. Ich war jetzt in der zwölften Schwangerschaftswoche, und wir entschieden uns, noch einige Wochen bis zur nächsten Untersuchung zu warten. Dann würde hoffentlich eine eindeutigere Diagnose möglich sein.

      Ich bekam bei der neuen Frauenärztin einen Termin für die siebzehnte Schwangerschaftswoche. Die Zeit bis dahin war nicht einfach, von Hoffen und Bangen bestimmt, aber immerhin hatten wir Hoffnung. Wir beteten viel, besonders baten wir, dass Gott alles gut machen möge, dass alles nur ein großer Fehlalarm sei – oder dass Gott ein Wunder tun und unser Kind gesund machen solle.

      Nun wussten schon viele von unserer Schwangerschaft, aber nur wenige von unseren Sorgen. Ich hatte inzwischen – etwas eher als in der ersten Schwangerschaft – eine deutliche kleine Wölbung am Bauch, sodass meine Schwangerschaft sichtbar war. Ich ging weiterhin mit meinem Sohn zur Krabbelgruppe, zum Einkaufen und in die Gemeinde, wurde aber nie in Erklärungszwang gebracht. Soweit ich mich erinnere, wurde ich kaum detailliert nach meinem Befinden gefragt, was mir sehr recht war.

      Am Tag der Untersuchung bei der Frauenärztin war ich vormittags mit meinem Sohn in der Krabbelgruppe. Ich war innerlich sehr unruhig. Nachdem ich meinen Sohn zu meinen Eltern gebracht hatte, holte ich meinen Mann ab, der mich begleitete. Er hatte seine Arbeit früher beendet, weil wir unbedingt zusammen sein wollten, wenn nach unserem Baby geschaut wurde. Die Wahrheit würde jetzt ans Licht kommen. Das Kind war nun groß genug, sodass es gut mit dem Ultraschallgerät zu sehen war. Die Frauenärztin kannte unsere Vorgeschichte und ging sehr sensibel mit der Situation um. Sie begrüßte uns freundlich und zögerte die Untersuchung nicht hinaus, damit wir schnell Klarheit bekommen konnten. Sie musste nicht lange schauen, um die Einschätzung ihrer Kollegen zu bestätigen. Bei unserem Kind waren nach wie vor deutliche unnormale Strukturen am Kopf, Bauch und Rücken sichtbar. Sehr behutsam, aber auch eindeutig sprach sie mit uns und betonte, dass unser Kind nicht normal entwickelt sei und dass wir dringend zu einem Spezialisten in der benachbarten Stadt fahren sollten. Sie vereinbarte dort umgehend einen Termin und wir fuhren direkt dorthin.

      Alles Hoffen war jetzt zunichte gemacht, mir wurde schlagartig eiskalt. Die Gedanken überschlugen sich. Was konnte das jetzt bedeuten? Die lebenswichtigen Organe unseres Kindes mussten betroffen sein. Es war keine Fehlbildung der Hand oder des Fußes, womit man hätte leben können. In welchem Ausmaß war die Fehlentwicklung? Auf der halbstündigen Autofahrt und beim Warten im Krankenhaus überlegten wir kurz, wie es sein würde, ein schwerstbehindertes Kind zu bekommen. Danach sah es für uns aus. Ich fragte mich, warum ich bei einer so gravierenden Fehlbildung keine Fehlgeburt gehabt hatte. Die Frauenärztin hatte nochmals betont, wie gut der Fötus trotz der Probleme in der Gebärmutter eingenistet und sehr gut versorgt sei. Was würde das alles für unsere Familie bedeuten? Ein Wirrwarr von Gedanken ohne erkennbaren Ausweg. Ein Horrorszenario für alle Eltern – und wir mittendrin. Der Augenblick war so schockierend, dass innerlich alles erstarrte.

      Der Spezialist wollte unser Kind mithilfe eines sehr guten Ultraschallgeräts genau untersuchen. Das Gerät war wirklich hervorragend, das Bild hat sich mir bis heute eingebrannt. Da sahen wir unseren kleinen Schatz ganz deutlich, die Finger, die Füßchen. Auch den Kopf konnte man ganz klar erkennen: Mund, Nase und Augen. Doch da, wo normalerweise durch eine dicke weiße Linie die Schädeldecke sichtbar sein musste, war nichts. Einfach nichts. Die weiße Linie, die das Gesicht und den Nacken- und Halsbereich markierte, endete einfach und schloss sich nicht zu einem schönen runden Kreis. Jedem Laien wäre auch ohne Erklärung sofort aufgefallen, dass hier etwas ganz Wichtiges fehlte.

      Wie anders sehe ich mir seit diesem Tag kleine Babyköpfe an. Den Glatzkopf meiner später geborenen Tochter habe ich immer wieder gestreichelt und bewundert. Viele wollten


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