Pächter der Zeit. Thomas Flanagan

Pächter der Zeit - Thomas Flanagan


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      Es gab in dieser Nacht in Laffans Hütte oder auf den Straßen niemanden, der nicht vom Aufstand in Kerry gehört hatte, obwohl es nur wilde Gerüchte darüber gab, was wirklich dort geschehen war. Aber es gab unserem eigenen Unternehmen einen feinen, scharfen Beigeschmack, das Gefühl, daß wir endlich begonnen hatten. Als Ned zu Anfang unserer nächtlichen Arbeit zu den Männern sprach, hatte er es erwähnt, und obwohl er sich sehr vorsichtig ausgedrückt hatte, waren die Männer in wilden Jubel ausgebrochen. In Killarney und Cahirciveen wurde gekämpft, nahm man an, und die Halbinsel Iveragh war abgeriegelt. Die Wahrheit jedoch war anders, und sie wurde am Freitag von zwei Männern in die Baronie gebracht, die dabei gewesen waren und die über die Berge gekommen waren, um bei ihrem Vetter in Graney Zuflucht zu suchen, einem Mann namens Phil Larkin. Larkin ließ Bob benachrichtigen, und Bob und Ned suchten ihn auf.

      Die beiden Männer, Brüder mit Namen Egan, Cornelius und Denny, waren nicht die besten Kriegsberichterstatter. Sie waren noch jung, Cornelius kaum älter als 18, sein Bruder noch etwas jünger, und sie waren prahlerisch und verängstigt zugleich. Der Aufstand hatte in Cahirciveen stattgefunden, Hunderte hatten sich daran beteiligt, unter dem Kommando eines Colonels namens O’Connor, eines zurückgekehrten Yanks wie Ned, der noch weitere Amerikaner mitgebracht hatte. O’Connor war offenbar Hector und Odysseus in einer Person, furchtlos und listenreich, mit einer weißen Hahnenfeder an seinem weichen schwarzen Hut. Der junge Dennis war ausgesprochen fasziniert von dieser Feder und von O’Connors Geschicklichkeit im Umgang mit dem Revolver. Aber sie begriffen kaum, was passiert war, oder warum. Sie hatten die Polizeistation in Cahirciveen eingenommen und waren dann über die Straße nach Glenbeigh zur Küstenwache in Keils marschiert, die ebenfalls, zusammen mit einem Vorrat an Waffen, an sie gefallen war. Dann waren sie nach Killarney marschiert und unterwegs einer Abteilung Polizei begegnet, mit der sie sich eine Schlacht geliefert hatten. Ein Triumph hatte den anderen gegeben, und O’Connor hatte sie angeführt, wobei seine Feder wie eine weiße Flamme loderte.

      Es war wirklich bewegend, vor allem durch die unzusammenhängende und stürmische Darstellung der Egans. Bob kannte die Straße nach Glenbeigh, und er konnte, während die Brüder uns alles erzählten, die Kolonnen der Männer aus Cahirciveen sehen, wie sie über die staubige Landstraße marschierten, zu ihrer Linken die weite, liebliche Bucht, dahinter, weit weg und von blauem Dunst verschleiert, die Berge von Dingle. Für uns war das keine kleine Angelegenheit – zum erstenmal, seit die armen verdammten Bauern von 1798 in Antrim und Mayo ihre Flaggen gehißt hatten, unternahmen Iren einen Angriff. Aber der Bericht der Egans brach an der Stelle auseinander, als O’Connor nach dem Sieg über die Polizei einige seiner Männer zurück nach Cahirciveen geschickt und die übrigen ins Gebirge geführt hatte.

      Die Egans waren mit ihm auf dem Berg gewesen, wo sie die Nacht und den gesamten folgenden Tag verbracht hatten. Dann war der Berg gegen Abend, einem kalten, verregneten Abend, als sie vor Hunger und Durst schon geschwächt waren, von britischen Soldaten umstellt worden, die anfingen, zu ihnen hinaufzuklettern. Es waren Schotten in Kilts und Federmützen, ein Volk, das keiner der Männer aus Kerry je zuvor gesehen hatte, laut Cornelius Egans Beschreibung wütende Kämpfer – ein schrecklicher Anblick –, Nebelschwaden zogen herauf, die Kilts schwangen über kräftigen, knochigen Knien, die Sonne war noch stark genug, um den Stahl der aufgepflanzten Bajonette ein-oder zweimal auffunkeln zu lassen. Und ebenso unheimlich war es, daß die Schotten sich auf Gälisch verständigten, dem groben und barbarischen Gälisch des schottischen Hochlands, das die Männer aus Kerry nur zur Hälfte verstehen konnten.

      Mit allerlei Tricks und Kniffen quetschten Ned und Bob aus den Egans eine Erklärung darüber heraus, wie das alles passiert war, aber sie taugte nicht viel. Sie waren anständige, unwissende Bauernburschen, eher Knaben als Männer, und ihre Geschichte zerfiel in zwei Hälften, die einfach nicht zueinander passen wollten. ln einer Minute stürmten sie die Station der Küstenwache, die ich mir sehr gut vorstellen konnte, eine protzige Konstruktion mit falschen, sinnlosen Türmen, spitz wie Minarette. Und in der nächsten hockten sie zwischen Felsen und Ginster im Nebel. Es hatte keinen Sinn. »Der Teufel soll dich holen«, sagte Ned und packte Cornelius am Revers. »O’Connor muß euch doch gesagt haben, warum er gerade jetzt seine Operation gestartet hat.« Aber Cornelius starrte ihn mit den milden, entsetzten Augen eines Berghasen an. Am Ende wurden die Egans in der Obhut ihres Vetters Larkin zurückgelassen, mit dem strengen Befehl, mit niemandem zu reden. Larkin stimmt widerstrebend zu. Er war durchaus bereit, Verwandten Zuflucht zu gewähren, aber er hatte keinen Eid abgelegt, und daß er Bob Bescheid gesagt hatte, war das Äußerste, zu dem er bereit war. »Eid hin, Eid her«, sagte Ned, »die Armee der Republik Irland hat Ihnen einen Befehl erteilt!« Larkin war ein wachsamer, sardonischer Mann, und er warf Bob einen bitteren, belustigten Blick zu und sagte dann zu Ned: »Die Republik Irland. Na, la-di-da!«

      Neds Vorsichtsmaßnahme erwies sich als nutzlos, denn andere Männer aus Cahirciveen kamen über die Berge und erzählten ebenso unheilverkündende Geschichten, die sich bei jedem Bericht großartiger anhörten, bis es schließlich ein arges Rätsel war, wie dieses gewaltige Heer zu diesen versprengten Flüchtlingen zusammenschrumpfen konnte. Inzwischen hatte Ned beschlossen, Bob und mich nach Killarney zu schicken, um selber Erkundungen einzuholen. »Ihr solltet versuchen, O’Connor zu finden«, sagte er, »aber ich bezweifle, daß euch das gelingt. Und wenn nicht…«

      »Ich kenne mich da aus«, sagte Bob und unterbrach ihn mit seinem lässigen Lächeln, denn Ned hatte vergessen, daß Bob bis zu seinem eigenen Eintreffen unser Ortskommandeur gewesen war und sich mit den Männern in Kerry beraten hatte.

      »Ein verdammter Scheißcolonel«, fluchte Ned, »der seine Leute auf einen Berg führt!«

      »Wenn das wirklich so passiert ist«, sagte Bob.

      Bob war mir ein Rätsel. Ned entzog sich meinem Verständnis, er war ein Exot. Aber Bob, mein Busenfreund, vernünftig und unerschütterlich, konnte es mit ihm aufnehmen.

      Wir brachen am nächsten Morgen früh auf, einem klaren, frischen Wintermorgen, der das Gemüt belebte, auf Pferden, die Joe Gaffney, ein eingeschworener Junge, der in Trainors Mietstallung arbeitete, für uns gefunden hatte, wenn ich das so sagen darf. Wir ritten von Kilpeder aus westwärts und folgten einer Landstraße, die durch die Derrynasaggarts führte und dann nach Kerry hinunter abfiel. In der Vergangenheit hatten wir diesen Ausflug ein halbes dutzendmal zum Vergnügen unternommen, und mehr als einmal war Mary mitgekommen, und wir hatten einen Ferientag daraus gemacht, mit Brathähnchen und Schinken in einem Korb und allem, was dazu gehört. Wir hatten jedoch nie einen schöneren Tag als diesen erlebt, und da der Mensch nun einmal ein Mensch ist, verdrängten wir über lange Strecken unseres Rittes dessen Ziel aus unseren Gedanken und freuten uns über den Tag und über unsere Gesellschaft. Mir ging das wenigstens so. Bei Bob konnte man sich nie sicher sein. Er konnte einfach drauflos plaudern, Karten austeilen oder in einer Schenke eine Runde ausgeben, und doch gab es in seinen Gedanken immer eine kühle, saubere Ecke, in der Bob abwägte, berechnete, abschätzte.

      Reiche Weideland fiel zu den Vorhügeln hin ab, das Gras war lang und üppig, tiefgrün und noch naß vom Morgentau, hier und da Felsbrocken, in der Ferne Schafe wie weiße Farbtupfer. Und aus den Vorhügeln ritten wir dann ins eigentliche Gebirge, schroff und felsig, hier und da mit Stechginster bewachsen, der gerade erst anfing, sich lila zu färben, ein blasses, rosahaftes Lila. Wir hatten die Berge für uns, kein anderer Reiter war auf der Straße, es gab nicht einmal einen vereinzelten Bauern mit seinem Karren oder seinem Esel, auf dem zu beiden Seiten ein Fischkorb hing.

      Es war die absolute Einsamkeit, und von den Kämmen der hohen Hügel aus konnten wir sehr weit sehen, bis zu den Hügeln in der Ferne, die Kerry noch immer unseren Blicken entzogen, oder, wenn wir uns in den Sätteln umdrehten, bis West Cork, wo Kilpeder jetzt nicht mehr zu sehen war, obwohl wir den Knockmany erkennen konnten, der die Stadt überragt. Wir waren jetzt so weit oben, daß Vögel unsere einzige Gesellschaft darstellten, Habichte, einmal sahen wir drei dicht beieinander – ein seltener Anblick, denn der Habicht ist ein einsamer Jäger. Bob zog die Zügel an und beobachtete einen davon, der über uns kreiste, wobei die ausgezackten Ränder seiner Flügel wie Finger ausahen. Der Habicht drehte weite, suchende Kreise und stand dann bewegungslos vor der Wintersonne, dann ließ er sich fallen und war nicht mehr zu sehen.

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