Pächter der Zeit. Thomas Flanagan

Pächter der Zeit - Thomas Flanagan


Скачать книгу
– »Jesus, Maria und Josef«, sagte ich zu mir selber.

      »Ja«, erwiderte Reilly, »so sind sie alle hergebracht worden. Zu zweit und zu dritt.«

      »Die Schlacht von Kerry«, sagte Bob und drehte uns weiterhin den Rücken zu.

      »Die Schlacht von Kerry«, wiederholte Reilly. »Ich kann euch kurz erzählen, was wir bisher darüber wissen, Martin und ich, und er kann mich korrigieren, wenn ich etwas Falsches sage. Es hat keine Schlacht im eigentlichen Sinne dieses Wortes gegeben. Die Küstenwachstation in Keils war durch Polizei verstärkt worden, aber sie haben sich ergeben, ohne einen einzigen Schuß abzufeuern. O’Connor ließ sie ihr Waffenarsenal herausbringen und sorgfältig aufstapeln, damit die Waffen dann an die Jungs verteilt werden konnten. Dann hißte er irgendeine grüne Flagge an einem der Geschütztürme, und sie marschierten weiter. Er schickte aus Keils den Boten an Martin und mich. Der Bote war völlig außer sich über diesen großen Sieg.«

      »Die meisten Leute von der Küstenwache sind Engländer«, sagte Timoney. »Aber die Polizisten sind anständige Iren. Sie haben sich geweigert, das Feuer auf ihre eigenen Leute zu eröffnen.«

      »Das haben sie John O’Connor gesagt«, erzählte Reilly. »Für General Horsfords Ohren hatten sie allerdings eine andere Geschichte, da könnt ihr sicher sein. Auf dem Marsch hierher ist O’Connor bei Glenbeigh auf eine berittene Polizeipatrouille gestoßen, und er hat ihnen befohlen, sich zu ergeben. Es kam zu eineme Handgemenge, und der Sergeant, der den Befehl hatte, Duggan, hat versucht, sich den Weg freizukämpfen. Einer von unseren Burschen hat geschossen und ihn vom Pferd geholt. Duggan brachte Meldungen von hier nach Cahirciveen, und als O’Connor diese gelesen hatte, änderte er seine Pläne und führte seine Männer in die Hügel. Das ist alles. Die Schlacht von Kerry, die in Lied und Legende gefeiert werden wird.«

      Er hatte keine Ahnung von Kerry. Das Lied von der Schlacht von Kerry wird bis heute jenseits der Berge gesungen, über den Angriff auf die Station in Kells und die Jungs aus Cahirciveen, die vorwärts drängen, geführt von O’Connor. Es gibt dazu auch einen Druck, der uns O’Connor in einer Art Uniform und mit einem großen, breitkrempigen Hut mit Feder zeigt, während er seinen Männern mit gezücktem Schwert einen Befehl erteilt.

      »Und wurde der Sergeant verletzt?« fragte ich.

      »Eine üble Wunde«, antwortete Reilly. »Er wurde aus nächster Nähe in den Rücken geschossen, und die Kugel hat einen Lungenflügel durchschlagen. Er lag auf der staubigen Straße in seinem Blut, war aber bei Bewußtsein. John O’Connor hat versucht, ihm etwas Schnaps einzuflößen, aber er hat es wieder herausgewürgt. Das hat die Männer völlig aus der Fassung gebracht, unsere Jungs und auch die Polizisten. John stand neben ihm und las die Meldungen, während die anderen sich um den Verletzten kümmerten. Er ist jetzt schon tot, hier im Krankenhaus gestorben, und das ist ja auch kein Wunder, nachdem er in einem Karren durchgerüttelt worden ist.«

      Das erste Blut, das während des Aufstandes vergossen wurde. Ich sah ihn vor mir auf der Straße liegen. Die anderen waren schattenhaft und vage: die Polizisten in ihren schwarzen Uniformröcken, und unsere Jungs, was immer sie anhaben mochten, und alle starrten einander und den Verletzten auf der Straße an. Aber den Mann selber sah ich deutlich in meiner Vorstellung. Irgendwer hatte eine Jacke zusammengefaltet und unter seinen Kopf gelegt.

      »Er gehörte zu der Verstärkung, die letzten Monat aus Cork geschickt worden ist«, erzählte Timoney. »Er war überhaupt nicht von hier. Aber die anderen Polizisten konnten nicht sagen, welcher von unseren Jungs die Kugel abgefeuert hat, Gott sei Dank.«

      »Und wir haben die Bescherung«, sagte Bob. »Ein Polizist erschossen, und Kerry vollgestopft mit Soldaten. Was zum Teufel hat O’Connor in diesen Meldungen entdeckt?«

      »Das werde ich erfahren, wenn ich mit John sprechen kann«, sagte Reilly. »Ich nehme an, daß er uns einen Boten hierhergeschickt hat, der jedoch nicht angekommen ist. John muß das Land verlassen. Er ist jetzt ein gezeichneter Mann«

      »Auf der Straße unten ist wieder alles ruhig«, berichtete Bob. »Abgesehen von drei jungen Burschen, die auf ein Pint in den Laden kommen. Und so, wie sie aussehen, ist das nicht ihr erstes heute abend.« Er wandte sich vom Fenster ab.

      »Trotz notwendig gewordener Veränderungen im Lokal werden die Geschäfte weitergeführt«, sagte Timoney »Dennis wird sich um sie kümmern. Wenn ihr ein ruhiges Leben sucht, dann ist Dennis der richtige für euch.«

      »Das ist er wirklich«, stimmte Reilly zu. »Dennis wird nicht traurig sein, wenn ich hier Abschied nehme.«

      Bob ging durch das Zimmer zur Anrichte, nahm eine Flasche und Gläser und trug sie zum Tisch.

      Er schenkte für uns vier ein und hob sein Glas, ohne zu prosten, an die Lippen. Erst nach dem Trinken setzte er sich wieder zu uns.

      »Sie werden selber bald genug ein gezeichneter Mann sein, Captain Reilly. Irgendeiner von den festgenommenen Burschen wird etwas zu erzählen haben, um seine eigene Haut zu retten.«

      »Das habe ich mir auch überlegt«, erwiderte Reilly. »Wie Sie sich bestimmt vorstellen können.« Er drehte das Glas in seiner Hand, dann hob er es. »Ein unrühmliches Kapitel in der Geschichte des Reilly-Clans. Sechs Wochen in Killarney herumgelungert und keinen einzigen Schuß im Zorn abgegeben. Man weiß ja nie, Jungs. Vielleicht tauche ich in Kilpeder auf, wie ein gefälschter Penny.«

      »Nein«, sagte Bob. »Gehen Sie dieses Risiko nicht ein!«

      »Man hatte uns Waffenlieferungen versprochen«, sagte Reilly. »Das wissen Sie selber. Und wo zum Teufel stecken die? An den Stränden hinter Cahirciveen sollten Waffen an Land gebracht werden. Wir waren bereit, sie in Empfang zu nehmen.«

      »In Irland gibt es keinen sichereren Ort«, sagte Timoney. »Und das war immer schon so. Die Küstenwache ist wegen der Schmuggler nach Keils gelegt worden, und sie war hilflos. Mein Vater hat manche Flasche auf den Tresen unten gestellt, die Königin Victoria keine zwei Pence eingebracht hat.«

      Wieder schwingt Kerry sein Schwert für die Freiheit, dachte ich. In späteren Jahren habe ich die Behauptung gehört, Reilly und O’Connor hätten in den nächsten Tagen tatsächlich versucht, über die Berge zu uns zu gelangen, die Leute aus Kerry hätten davon jedoch nichts hören wollen. Die beiden wurden einige Wochen in einem sicheren Haus versteckt gehalten und dann zu Schiff vom berühmten Strand von Cahirciveen aus aus dem Land geschmuggelt. Bis vor einigen Jahren bekam ich jedes Jahr zu Weihnachten einen Brief von Captain Reilly, der sich als Eisenwarenhändler in Newark, New Jersey, niedergelassen hatte. In jedem Brief erinnerte er sich an den Abend, als Bob und ich im Zimmer über Timoneys Gastwirtschaft mit ihm geredet hatten, es waren sorgfältig aufgebaute Briefe in flüssiger Handschrift. »Jetzt heißt es«, schrieb er in einem dieser Briefe, »die Briten hätten all unsere Pläne gekannt und wir wären von Denunzianten verkauft worden. Aber Sie und ich wissen, daß nur das Fehlen der Waffen daran schuld war. Kerry war bereit, und West Cork auch.« Wie die Briefe, zweifellos, die die Jakobiten aus ihrem Exil in Paris und Rom in die Highlands schrieben, während sich Prince Charles, ihr schmucker Anführer, in Brandy und Selbstmitleid ertränkte.

      An jenem Abend war er ein anderer, noch nicht der gemütlich in Newark lebende Geschäftsmann mit großer Leibesfülle und wachsender Familie der Weihnachts-Daguerreotypien. Wie Ned Nolan war er an jenem Abend ein Mann, bereit zu großen Unternehmungen, wie Bacon sagen würde, und in dieser Hinsicht hatte er keine große Ähnlichkeit mit irgendeinem von uns, abgesehen höchstens von Bob selber.

      Um die Wahrheit zu sagen, wäre ich gern in diesem behaglichen dunklen Limbo geblieben. Ich hatte durchaus nicht den Wunsch, mich noch einmal unter die rotröckigen Soldaten zu mischen, die durch die Straßen von Killarney wanderten, und in Gedanken sah ich immer wieder das Bild von Sergeant Duggan vor mir, der die Straße mit seinem Blut färbte. Bob dagegen erhob sich und verabschiedete sich, als er sein Glas und dessen andere Hälfte geleert und festgestellt hatte, daß weder Martin Timoney noch Eugene Reilly uns noch mehr erzählen konnten, und ich folgte ihm.

      »Mr. Delaney-Bob, nicht wahr?« fragte Reilly, als wir die Tür bereits erreicht hatten. »Was hier geschehen ist, war nur ein Zwischenfall.


Скачать книгу