Pächter der Zeit. Thomas Flanagan
von Kerry oder Galway. Reilly, unten in Killarney, scheint sich einzubilden, daß Waffen von irgendwoher in Cahirciveen an Land gebracht werden sollten. Das hätte uns geholfen«, fügte er in einem Tonfall von offenem Sarkasmus hinzu.
»Das hätte es wirklich«, sagte Ned, den Sarkasmus ignorierend. »Vielleicht hat O’Connor deshalb die Küstenwache überfallen. Vielleicht hat O’Connor Befehle ausgeführt, über die wir alle nichts wissen. So arbeitet die Organisation nämlich.«
»Jetzt werden keine Waffen in Kerry an Land gebracht werden«, sagte Bob. »Und O’Connor braucht sehr viel Glück, um mit heiler Haut aus Irland herauszukommen.«
Ich hatte kaum Appetit auf Tee, aber ich goß mir eine Tasse ein, um etwas zu tun zu haben. Ned mochte seine Verdienste als Captain haben, als Teekoch war er dagegen ein Fehlschlag. Schwach und blaß war dieses Gebräu.
»Wir haben noch knapp zwei Wochen Zeit«, sagte Bob. »Und ihr wißt, in welcher Lage wir uns befinden. Kleine Bauern und Landarbeiter mit ein paar Entenflinten.«
»Warum sollte ich nicht wissen, in welcher Lage wir uns befinden? Ich habe schließlich das Kommando über Kilpeder, Bob Delaney, das solltest du lieber nicht vergessen.«
»Ich beneide dich nicht um deinen hohen Rang«, erwiderte Bob. »Was schlägst du vor?«
»Seltsame Frage, Bob. Du weißt doch, was wir vorhaben. Früh am Morgen des Sechsten werden wir die Polizeiwache übernehmen und dann nach Norden marschieren. In Millstreet werden wir uns einer weitaus größeren Streitmacht anschließen.«
»Ohne Waffen«, sagte Bob, »und obwohl Honan fünfzehn Mann Verstärkung bekommen hat. Die nicht geschickt, sondern von einem Inspektor hierhergebracht wurden, bei Gott. Dublin Castle hat sich endlich in Bewegung gesetzt.«
»Nicht ohne Waffen«, widersprach Ned. »Als ich euch beim erstenmal in Knockmany versammelt habe, habe ich euch versprochen, daß wir nicht unbewaffnet losschlagen werden. Und das werden wir auch nicht. Wir müssen etwa siebzig Männer versorgen; die Baronie selber wird die Versorgung übernehmen.«
Und so wurde über Teetassen in der Küche eines Schulmeisters die große Waffenaktion von Kilpeder geplant, »Nolans Beute«, wie es in dieser elenden Ballade heißt. Bob und Ned beugten sich wieder über die Karte und gingen sie Zoll für Zoll durch, wobei Bob die Linien und Punkte in Farmer und Güter und Namen von Personen übersetzte. Er kannte sie nicht alle selber, ebensowenig wie ich, aber er kannte recht viele und konnte damit Neds Plan auf die Sprünge helfen. Bald darauf kam Mary von irgendeinem Besuch nach Hause, krempelte die Ärmel auf und fing an, uns eine richtige Mahlzeit zu kochen. Eine Stunde später kam Vincent, gerade rechtzeitig, um mit uns zu essen. Was Mary, die uns ihren Rücken zukehrte, von unserem Gespräch hielt, kann ich nur erraten, aber sicher hörte sie nichts Angenehmes, als unsere räuberischen Taten geplant wurden, egal, wie sehr die Notwendigkeit diese auch rechtfertigen mochte.
Aber Vincent war uns eine große Hilfe. Schon damals, als junger Mann, kannte er sich im Sportleben der Baronie sehr gut aus und wußte, wer unter dem Landadel als guter Schütze bekannt war und wer in der Armee gedient hatte. Die Vorstellung, daß sie uns mit den Mitteln für unseren Krieg versehen sollten, fand er ausgesprochen komisch, und er machte sich an die Aufgabe, als ob es sich dabei selber um einen Sport oder wenigstens ein Spiel handelte. »Saunders also«, sagte er und tippte mit einem langen weißen Zeigefinger auf die Karte, »den habe ich in den Arms prahlen hören, daß seine Gewehrsammlung diesseits von Mallow nicht ihresgleichen hat, seine Waffen sind wunderschöne Geschöpfe, die ein Waffenschmied in London speziell für ihn entworfen hat. Ich wollte sie immer schon mal ausprobieren.« Zu diesem Zeitpunkt seiner Laufbahn wurde er nur in einer Handvoll der Häuser des Adels empfangen, meistens Häuser ausschweifender unverheirateter Krautjunker, wilder, trunkfreudiger Gesellen. In späteren Jahren war das alles ganz anders.
Vom Anfang bis zum Ende hat Ned Vincent wohl niemals riehtig eingeschätzt, glaube ich. Ned hatte eine grobe Art von Humor und lachte manchmal über die komischen oder albernen Seiten menschlicher Angelegenheiten. Aber im Grunde nahm er das Leben ernst und wägte ständig Gewißheiten ab, die schwer waren wie Blei oder Gold. Und zuviel von Vincent erschien ihm als Schaum und Neckerei, silberne Taschenflaschen und geblümte Westen, Gerede über Frauen und Pferde. Darin irrte er, glaube ich, weil er so viele Jahre fern von diesem Land verbracht hatte, denn nach allem, was man über sie hört oder liest, sind die Amerikaner ein nüchternes und fleißiges Volk, die an ihren wichtigen Erfindungen arbeiten und ihre von Indianern bevölkerte Wüste erobern. Die Vincents dieser Welt jedoch sind aus demselben Stoff, aus dem unser Nationalcharakter zugeschnitten ist, und wir kennen sie gut. Man findet sie beim Pferderennen, die Hüte zurückgeschoben und Zigarren zwischen weiße, regelmäßige Zähne geklemmt. Oder sie sitzen am Kamin einer Gastwirtschaft bei einer Schüssel voll dampfendem Punsch gegen die Kälte des Winters zusammen. Vor allem aber sieht man sie an einem rostroten Morgen auf der Jagd, in ihren Tweedanzügen und ihren hohen, mit Kletten besetzten Gamaschen, wenn ihr Geschrei sich mit dem Kläffen der Hunde vermischt. Und wir wissen, daß sich unter Schaumschlägerei und Geplänkel vielleicht nichts befindet, nur eine Menge leerer Luft. Oder aber ein eisenharter Wille und die Gerissenheit eines gehetzten Fuchses.
Auf jeden Fall brach Ned voller Ungeduld alle pikanten Anekdoten ab, die Vincent über die Leute erzählen wollte, die ausgeraubt werden sollten – »eine Abgabe für die nationale Sache«, wie Ned sich taktvoll ausdrückte. Ihn interessierten nur Vincents Überlegungen, was für Waffen wir wohl finden und welche ihrer Besitzer wahrscheinlich Widerstand leisten würden. Vincent nahm ihm das nicht übel. Er genoß Ned, so wie er fast alle neuen Erfahrungen genoß, einen nie vorher gekosteten Sherry oder das Eintreffen einer neugekauften Zuchtstute in der Baronie. Bob machte sich über alles, was wir zusammentragen konnten, Notizen, und als wir damit fertig waren, beugten er und Ned ihre Köpfe wieder über die Karte und arbeiteten unseren Aktionsplan aus.
So einfach lief das alles ab, die Planung von »Nolans Beute«, »der Waffenaktion von Kilpeder« – nennt es, wie ihr wollt. Zwei Stunden Arbeit, und dann das Essen, das Mary während dieser ganzen Zeit vorbereitet hatte, die Karte wurde sorgfältig zusammengefaltet und beiseite gelegt, die schmutzigen Tassen mit kaltem Tee wurden in die Spülküche getragen, und die blauweißen Porzellanteller wurden vor uns hingestellt. Wie weit Gedanken und ihre Folgen voneinander entfernt sind, erstaunt mich immer wieder, und deshalb habe ich zweifellos einen gesetzten häuslichen Beruf gewählt. Für Ned und Bob war alles erledigt, als sie die erfolgversprechenden Häuser ausgesucht und auf der Karte gekennzeichnet und ein wenig darüber gesprochen hatten, wer die einzelnen Gruppen anführen sollte, und sie machten sich über ihr gekochtes Geflügel her. Für sie stand nichts so fest wie die Tatsache, daß ihre Pläne zur Wirklichkeit reifen würden, wie diese japanischen Kügelchen, die man ins Wasser fallen läßt, wo sie sich zu Pflanzen und kleinen mißgestalteten Drachen entfalten.
Und so geschah es natürlich drei Nächte später auch. Dieselbe Karte wurde auf Laffans grobem Tisch ausgebreitet, in der dunklen Nacht, deren Schwärze nur von den Sternschnuppen der Laternen der Wachtposten durchbrochen wurde. Es war eine Aufgabe, die die ganze Nacht in Anspruch nahm und die bis zur Morgendämmerung anhielt. Jede Abteilung hatte ihre Route zugewiesen bekommen, vier oder fünf oder eine halbes Dutzend Häuser, und als sie zurückkehrten, wurden sie, wenn sie ihre Zeit richtig und effektiv ausgenutzt hatten, dadurch belohnt, daß sie noch einmal losgeschickt wurden. Jede Gruppe mußte über einen oder gar zwei Fehlschläge berichten. In Rosalis war, trotz allem Gegenteiligen, das Bob und Vincent angenommen hatten, keine einzige Waffe vorhanden, obwohl eine Woche früher zwei Entenflinten zur Reparatur nach Cork geschickt worden waren. Und Summit’s Eye, die baufällige Farm eines Krautjunkers namens Nagle, war nach Aussage einer Abteilung besser befestigt als ein Oxhoft, gerade so, als ob Nagle schon mit Ärger gerechnet hätte. »Wir hätten mit viel Zeit und Geduld die Tür einschlagen können«, sagte Kennedy, der Anführer dieser Gruppe. Dann fügte er vernünftig hinzu: »Aber zum Teufel damit, haben wir gesagt.«
Unser Erfolg konnte sich jedoch sehen lassen. Zu viert und fünft und sechst wurden alle Arten von Gewehren und Schrotflinten in Laffans Hütte gebracht. Jede wurde zuerst von Ned und dann von Vincent untersucht und auf einen der ordentlichen Stapel in der hintersten Ecke des Zimmers gelegt. Daneben, auf einer umgedrehten