Pächter der Zeit. Thomas Flanagan
heute in die Hand.
»Unruhen«, sagte Dick und gab ihre Worte in zärtlichem Spott wieder. »Unser Patrick hat eine ausgewachsene Rebellion auf dem Menü. Hochverrat, bewaffneter Aufstand, Gewehre aus Amerika.«
»Die Gewehre sind nie eingetroffen«, korrigierte Prentiss.
»Es gab die Boykottaktionen«, sagte Eleanor. »Von denen haben wir gehört. Hatten die Fenier damit zu tun?«
»Die Boykottaktionen kamen mit der Land League«, antwortete Prentiss. »Mit Parnell. In den 80er Jahren.«
»Es klingt alles so romantisch«, meinte Eleanor. »Wie in einem Roman. Ich kann wirklich nicht begreifen, warum Dick sich über dich lustig macht. Warum machst du dich über ihn lustig, Dick?«
»Ich mache mir Sorgen um unseren Patrick«, antwortete Leese. Aus einer ausgebeulten Tasche zog er Pfeife und Tabaksbeutel. Der Tabaksbeutel überbrückte die Jahre zwischen Oxford und Devon. Prentiss erinnerte sich an ihn. Unser Patrick. »Ich spüre, wie das Stammesblut in Wallung gerät. Wenn wir Farbe und Lack des New College wegkratzen, dann finden wir einen wütenden irischen Rebellen an unserem Tisch und in unserem Garten. Einen Dynamitmann, bereit, unsere arme kleine Brücke in Trümmer zu sprengen. Wie der Bursche, der versucht hat, London Bridge in die Luft zu jagen. Patrick weiß bestimmt, wie er hieß. Wie hieß er doch noch gleich, Patrick?«
»Lomasney«, antwortete Prentiss. »William Mackey Lomasney.«
»Da hast du’s!« sagte Leese zu Eleanor.
»Er gehört auf gewisse Weise zu meiner Geschichte«, erzählte Prentiss. »Lomasney hat 67 die Polizei in Ballyknockane angegriffen. Er war mit Ned Nolan im Gefängnis. Ned war vielleicht bei der London Bridge dabei. Das weiß ich aber noch nicht sicher.«
»Da hast du’s«, sagte Leese noch einmal und grinste, während er den Pfeifenstiel zwischen starken, ebenmäßigen Zähnen hielt. Langsam bewegte er ein brennendes Streichholz über dem Pfeifenkopf hin und her. »Patrick ist sehr angetan von diesem Mr. Nolan. Er war länger bei uns, sozusagen, als die meisten anderen, nicht wahr?«
»Gewissermaßen«, bestätigte Prentiss. »Vor dreizehn Jahren hat er einen Mann getötet. Dort, in Kilpeder, wo alles angefangen hat.«
Eleanor griff sich mit der Hand an den Hals, und sie sah Prentiss aus weitaufgerissenen Augen an, als ob er einen Klumpen Torf auf den Tisch geworfen hätte, zwischen Teetassen und die Platte mit den Sandwiches.
»Da hast du’s«, sagte Leese zum drittenmal. In Oxford war er derselbe gewesen, ein viel schwerer zu befriedigender Fragensteller als Prentiss’ Tutor. »Aber warum willst du das denn?« fragte er manchmal irgendeine unbegabte Frohnatur, die nichts anderes im Sinn hatte, als Oxford zu verlassen und das Familiengeschäft zu übernehmen. »Warum Ceylon? Warum Tee?« – »Warum die Kirche?« hatte Prentiss ihn einmal gefragt, um ihn seinerseits in die Enge zu treiben. »Warum willst du dein Leben lang die Kinder von Bauern taufen und ihre unverheirateten Tanten begraben?« – »Ach«, hatte Leese geantwortet, plötzlich ausweichend. »Es gibt doch noch mehr als nur das, weißt du.« Und hier saß er nun, im Pfarrgarten, voller Selbstvertrauen wie immer.
»Das sieht dir so wenig ähnlich, Patrick«, sagte Eleanor. »Wirklich,« Sie stützte ihr Kinn in die Hand und lächelte ihn an. »Hat es politische Gründe? Siehst du eine Karriere für dich in der irischen Politik? Ich glaube nicht, daß die Iren gern an ihre Revolverhelden und Mörder erinnert werden wollen. Oder vielleicht doch?«
»Durchaus möglich«, antwortete Prentiss. »Du würdest sie für ein seltsames Volk halten, Eleanor. Einer der Revolverhelden von Kilpeder ist in die Politik gegangen, hat geholfen, diese Boykotts zu organisieren, von denen du gesprochen hast, und hat später mit Parnell im Parlament gesessen.«
»Kurz gesagt«, meinte Leese, »hat das Beste aus seinem Verrat gemacht.«
»Vielleicht hoffe ich auch, das Beste daraus zu machen«, sagte Prentiss. »Mir als Historiker einen Namen zu machen.«
»Nicht sehr wahrscheinlich«, erklärte Leese. »Nimm dir die Rosenkriege. Den Hof des Sonnenkönigs. Aber nicht Revolverhelden und von Heckenschützen ermordete Polizisten. Das ist guter, sensationeller Stoff, aber keine Geschichte.«
»Wir haben keine andere Geschichte«, erwiderte Prentiss. »Hinterhalte, Demagogen, Hungergräber. Das ist unsere Geschichte.«
»Wir«, wiederholte Leese. »Unsere. Jetzt nähern wir uns dem Kern der Sache. Siehst du das also so? Ein bißchen romantisch, wenn du meine Meinung hören willst. Dein Vater war doch wohl kaum ein Revolverheld, oder? Ein höchst ehrenwerter Anwalt, wenn ich mich recht erinnere. Und Oxford, wie du?«
»Ja«, bestätigte Prentiss, »höchst ehrenwert, ein Kronanwalt. Aber nicht Oxford. University of Dublin. Ein Trinity-College-Katholik. Bis zur Spaltung hat er Parnell unterstützt. Ehemalige Fenier waren Gäste an unserem Tisch. Ich habe Parnell einmal gesehen; er war zum Essen bei uns.«
»Aber keine Revolverhelden«, sagte Leese sanft, unnachgiebig.
»Nein«, bestätigte Prentiss. »Keine Revolverhelden.«
Aber Hugh MacMahon, ein Mann aus der Generation seines Vaters, hatte neben ihm auf Knockmany Hill gestanden und ihm das Feld gezeigt, auf dem Nolan und Delaney mit ihren Männern, darunter MacMahon selber, exerziert hatten. Eine Pöbelarmee mit einigen Dutzenden gestohlener Gewehre und Jagdflinten.
»Und an diesem Morgen haben wir uns schließlich hier versammelt«, sagte MacMahon. »Am berühmten Morgen des 6. März.« Er verlieh der Wendung eine Prise Ironie.
»Und der Schnee«, sagte er. »Der berühmte Schnee der Fenier. Es hatte ziemlich spät am vorherigen Nachmittag angefangen, gegen Abend. Der Himmel war schon dunkel geworden, mit schweren, tiefhängenden schmutziggrauen Wolken, aber der Schnee selber hatte dann gar nichts Graues; große, schöne weiße Flocken. Ich erinnere mich bis heute an diesen Schnee, in meiner Erinnerung vermischt er sich mit dem, was danach passiert ist.«
»Ja«, sagte Prentiss. »Ich habe von diesem schweren Schneefall gehört.«
»Nun ja«, meinte MacMahon. »So weit würde ich nicht gehen. In der Ballade heißt es so, das stimmt schon. ›When the snow fell fast in each mountain pass, from Cork to Aherlow.‹ Balladendichter sind eine traditionsgetreue Sorte von Menschen. Es gab keinen dichten Schneefall, wie die Sage behauptet. Ich bezweifle, daß die Pässe unbegehbar waren. Später war das so, als es zum zweitenmal geschneit hatte. Nicht daß wir überhaupt die Möglichkeit gehabt hätten, sie zu erreichen, nicht wir aus Kilpeder jedenfalls.«
»Traditionsgetreu«, wiederholte Prentiss und nahm damit dieses Wort in sein Magazin von Redewendungen auf.
»Der Überlieferung zufolge hat sich das Wetter gegen uns verschworen, die Wolken und der Wind. Ist Ihnen das nie aufgefallen? Die Stürme, die die Schiffe der Armada an unseren Küsten zerschellen ließen, gewaltige Seestürme. Wolfe Tone 96 in der Bantry Bay. Auch an diesem Weihnachtsfest gab es Stürme. Vom Deck seines Schiffes aus konnte er den Schnee auf den Berggipfeln sehen.«
Das dichtbewachsene Feld fiel im Osten zu einem kleinen, rotbraunen Moor hin ab. Geschichte auf diesem Hügel war ein Flickwerk aus zerfetzten Sagen.
»Wissen Sie«, sagte MacMahon, »es hat wirklich geschneit, aber es war ein seltsamer Schnee. Wir konnten ja nicht wissen, was die Jungs in Tipperary machten, oder in Limerick, wir hatten nicht einmal von O’Brien im Osten unseres eigenen Countys etwas gehört. Und Dublin, das alle für den Mittelpunkt der Ereignisse hielten, wie man sagt, war so weit von uns entfernt wie Konstantinopel. Das erzählte uns der Schnee. Wir waren von der Welt abgeschnitten. Dort unten, genau dort« – er zeigte mit seinem dornigen Schlehenknüppel »standen wir gegen Morgen und warteten, und auf der Welt gab es nur uns und den Schnee.«
»Aber es gab doch sicher Kuriere, die zwischen Cork City und Ihrer Abteilung hin- und hergeschickt wurden?«
»Sicher, die gab es«, erwiderte MacMahon trocken. »Phantastische Kuriere, und phantastisch wenige davon. Frühmorgens am Zweiten, einem Samstag, kam ein