Todesküsse am Brett. Martin Breutigam
(Kaum zäher wäre 2.Ta2 Ta3! 3.Tb2 Dxb2! 4.Sxb2 Sf2+ und 5…Sxd1, mit gewonnenem Endspiel. Oder 2.De2 Txf3! 3.Dxf3 Tc2 4.h3 Th2+ 5.Kg1 Da7+.) 2… Lxg4 3.Dxg4 Dxd5+ 4.Kg1 Tc2 5.Dh3 (Oder 5.Te2 Dd4+.) 5…Dd4+ 6.Kh1 Te3! (Plant …De4+, bzw. 7.Txe3 Dxa1+.) 7.Df1 Dd2 0:1.
Grauer Held
Eines heißen Sommers übermannte mich auf der niederländischen Insel Schiermonnikoog das Bedürfnis nach einer Schachzeitschrift. Zwar sprach ich kaum ein Wort Niederländisch, wusste aber immerhin, dass Schach „schaak“ heißt. Die Frau im örtlichen Zeitungsladen konnte jedoch nichts anfangen mit meiner Frage „Heb je Schaaknieuws?“. Also probierte ich es auf Englisch, dann auf Deutsch – vergebens. Zerstreut unternahm ich einen letzten Versuch: „Jan Timman!“ – „Aaaah, sraaak!“, rief die Frau nun mit funkelnden Augen. Seitdem weiß ich, wie man „schaak“ ausspricht und wie populär Timman in seiner Heimat wirklich ist. In den 1970er Jahren war er Hippie, in den 1980ern längst Volksheld, in den 1990ern kämpfte er um den WM-Titel. Mittlerweile ist Timman ergraut und rausgerutscht aus den Top 100.
Bei der Landesmeisterschaft in Hilversum sah man nicht viel von der Kraft, die sein Spiel manchmal noch hat. Bloß oben (gegen Jan Smeets) siegte Timman als Weißer mit Stil. Wie?
Lösung: 1.Lxf7+! Kd8 (Auf 1…Kf8 gewänne 2.Dg2! und auf 1…Kxf7 u. a. 2.Txe5! Lxe5 3.Dh5+ Kf8 4.Dh6+ Ke8 5.Dg7! Lxf5 6.f7+! Dxf7 7.Dxe5+.) 2.Dd5! Sxf7 (Oder 2…Dc6 3.Txe5.) 3.Dxf7 Kc8 (Oder 3…Tf8 4.Dg7 nebst 5.Ted1.) 4.Sd5 Da5 5.b4! 1:0 (Denn chancenlos wären z. B. 5…Da3+ 6.Kb1 bzw. 5…Dd8 6.Se7+.)
Fußballfieber in Dresden
Manchen mag verborgen geblieben sein, dass letzten Sonntag nicht Italien Weltmeister wurde, sondern die USA. Zugegeben, was da in Dresden lief, war in Wirklichkeit kein Fußball und im Grunde auch keine WM: 32 Meisterinnen spielten Schnellschach, und jede repräsentierte eines der 32 Länder, die an der Fußball-WM teilnahmen. Im Finale siegte Susan Polgar, die für die USA spielende Favoritin, gegen Elisabeth Pähtz, Junioren-Weltmeisterin aus Erfurt.
„Ein tolles Turnier“, jubelte Pähtz hinterher. Die 20-Jährige, bekannt für schrille Outfits, saß diesmal in einem weißen Nationaltrikot am Brett. Ihren Frohsinn hat offenbar auch der geleistete Grundwehrdienst nicht trüben können. „War lustig“, sagt Pähtz. Seitdem genießt sie die Vorzüge der Sportförderkompanie und trainiert. Das bekam in Dresden im Halbfinale auch die Französin Marie Sebag zu spüren (siehe Diagramm). „Ich hatte gehofft, dass Marie den Bauern auf d6 nimmt.“ Und Sebag tat es! Sehen Sie, wie Pähtz mit Schwarz daraufhin ihre Falle zuschnappen ließ?
Lösung: 1…Tg5! („Danach hätte Marie aufgeben können“, sagte Pähtz. Es droht matt auf g2; und falls 2.fxg5 Le5+ 3.Dxe5 Txe5, verlöre Weiß weiteres Material, z. B. 4.h4 Tb5 5.b4 Dxc3 oder 4.Tec1 Dd2 5.h4 Txe4.) 2.Tg1 Txg2+! (Gewinnt eine Figur.) 3.Txg2 Dxb1 (Nach einigen belanglosen Zügen gab Sebag auf.) 0:1.
Indiens Boom
Es wundert kaum noch, dass immer wieder Wunderkinder auftauchen. In den 1970er und 1980er Jahren wurden Jungstars meist mit 18 oder 19 Großmeister – heute schaffen es manche weitaus früher. Sie erfassen eben das gewaltige Schachwissen dank der Computer viel schneller. Ganz so einfach ist es aber nicht, es wachsen ja nicht überall Wunderkinder heran, in Deutschland zum Beispiel bislang keine. Eigentlich lässt sich auch nicht zweifelsfrei erklären, wieso Parimarjan Negi aus Neu-Delhi soeben mit 13 Jahren zweitjüngster Großmeister aller Zeiten geworden ist. Klar, Negi hat überragendes Talent und Eltern, die ihn fördern. Vielleicht spielte es auch eine Rolle, dass zu Hause kein Fernseher rumsteht und er jeden Tag Yoga macht. Doch besonders prägend für Negi war wohl der indische Schachboom, ausgelöst durch die Erfolge seines Idols, Viswanathan Anand. In diesen Tagen hat Negi in Kopenhagen gespielt. Sehen Sie, wie er oben mit Schwarz den Amateur Aage Olsen flott ausknockte?
Lösung: 1…Txg2+! (Negi entfernt humorlos den einzigen Verteidiger des Königs. Zu brav wäre 1… Se8?! gewesen, dann hätte Weiß nach 2.Dg4 noch hoffen können.) 2.Kh1 (Oder 2.Kxg2 Dxe4+ nebst matt, z. B. 3.Kh2 Sf3+ usw.) 2…Th2+! (Weiß gab auf, wegen 3.Kxh2 Sf3+ und 4…Sxg5.) 0:1.
Elenis Züge
Bertina Henrichs Debütroman Die Schachspielerin hat es inzwischen in die Bestsellerlisten geschafft. Es ist die Geschichte von Eleni, die in einem Hotel auf der griechischen Insel Naxos als Zimmermädchen arbeitet und täglich „die Spuren des Lebens in all seinen Formen [beseitigt]. Spritzer von Blut, Sperma, Wein oder Urin“. Ihr ödes Leben ändert sich, als sie zufällig das Schachspiel kennenlernt. Eleni, Mutter zweier Kinder, entwickelt fortan eine Leidenschaft, die in ihrer Welt aber auf Widerstände stößt. Eine Emanzipationsgeschichte – mit missglückten Details: Als Eleni zum Beispiel gegen einen Schachcomputer spielt, wird sie nach acht Zügen matt gesetzt. Huch? Ich überlegte. Rief Meisterspieler an und las ihnen die Textstelle vor. Nein, wie Henrichs den Partieverlauf beschreibt, ist ein Matt unrealistisch.
Anders in der Stellung oben, zu der es jüngst in Göteborg kam: Großmeister Johan Hellsten setzte mit Schwarz Johan Eriksson in vier Zügen matt und wurde schwedischer Meister. Wie?
Lösung: 1…Dxa3+! (Rums! Übrigens ist 1…Dxa3+ der einzige Gewinnzug – und was für einer! Falsch wäre natürlich 1…Lxh1?? 2.Tg1+!) 2.bxa3 Tc2+ 3.Kb1 (Auch mit 3.Ka1 Sb3+ 4.Kb1 Td2 hätte der König dem Mattnetz nicht entkommen können.) 3…Td2+ 4.Ka1 Sb3 matt 0:1.
Vor dem Millionenspiel
Früher saß Peer Steinbrück sommers gerne mal im Dortmunder Schauspielhaus und schaute Schachgroßmeistern beim Grübeln zu. Doch schon als Ministerpräsident ließ es sich nicht mehr so gut unerkannt kiebitzen; und auch diesmal verpasste der schachbegeisterte Bundesfinanzminister, wie Weltmeister Wladimir Kramnik das Turnier in Dortmund gewann. Zwei Tage später saßen beide aber nebeneinander und gaben Auskunft über ein im November in Bonn beginnendes Duell zwischen Kramnik und Deep Fritz, jenem Computerprogramm, das viele Millionen Züge pro Sekunde berechnet.
Eine Million Dollar bekäme Kramnik, wenn er Deep Fritz nach sechs Partien bezwungen haben sollte. Natürlich wünsche er dem Menschen den Sieg, sagte Steinbrück, der Schirmherr der Veranstaltung ist. Gespielt wird in der Bundeskunsthalle, wo Steinbrück im letzten Jahr selber eine Schaupartie gegen Kramnik austrug. Und mithielt! Erst spät nahm ihm der mit Schwarz spielende Russe entscheidendes Material ab. Wie?
Lösung: 1…Te5! (Steinbrücks Springer hat sich nach h6 vergaloppiert, also schneidet ihm Kramnik den Rückweg über f5 ab.) 2.Txa6 (Auch andere Züge änderten nichts.) 2…f6 3.Ta7 Kxh6 (Steinbrück gab auf. Mit einer Minusfigur machte das Weiterspielen gegen den Weltmeister natürlich keinen Sinn mehr.) 0:1.
Fast wie Rubinstein
Der großartige Akiba Rubinstein vertraute einst einem Kollegen an, dass er sich quer durch Europa von einer Fliege verfolgt fühle. Wohin er auch komme, hindere ihn das Tier daran, konzentriert Schach zu spielen. Ein schicksalhaftes Vorzeichen. Ausgangs des 19. Jahrhunderts hatte sich der junge Pole entschieden, statt der Tora lieber Schachbücher zu studieren. Bald gelangen ihm Partien voller Kraft und Klarheit, und von 1907 bis 1913 war er der wohl schärfste Rivale des deutschen Weltmeisters Emanuel Lasker. Ein WM-Kampf kam aber nie zustande. Rubinsteins