Todesküsse am Brett. Martin Breutigam

Todesküsse am Brett - Martin Breutigam


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in Belgien.

      Als unsterblich gilt seine brillante Opferpartie gegen Rotlevi in Lodz 1907. Kenner denken vielleicht an jenes Meisterwerk, wenn sie die obige Stellung sehen, zu der es nun in Amsterdam kam. Zumindest erinnert der schwarze Gewinnzug, ausgeführt vom Briten Mark Ferguson (gegen Ben Ahlers), an Rubinsteins Unsterbliche.

      Lösung: 1…Td2! (Eine feine Ablenkung. Falls nun 2.gxf4, gewänne 2…Txe2 3.Lg3 exf4 4.Lxf4 Txc2 eine Figur; und 2.Dxd2 scheitert an 2…Df1 matt.) 2.Lxd2 Dxg3 (Nun droht’s auf g1.) 3.Sc3 (Oder 3.Le3 Dh3+ 4.Kg1 Sxe3 und gewinnt, z. B. 5.Df2 Sd7 6.Ta3 Dg4+ 7.Kh2 Sxd1.) 3…Dh3+ 0:1.

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      Junge Russen

      Zwar haben die Russen zurzeit kein Nachwuchstalent im guten, alten K-Format wie Karpow oder Kramnik, doch die Schachkultur ist bei ihnen immer noch enorm tief verwurzelt, was anlässlich der 59. russischen Meisterschaft in Tomsk mal wieder deutlich wurde. Die sieben Spieler, die sich dort für das Superfinale qualifiziert haben, sind alle erst zwischen 16 und 22 Jahre alt. Man sollte, auch wenn es manchmal schwer fällt, ihre Namen im Kopf behalten: etwa Jan Nepomnjaschtschi, 16 Jahre jung, oder Nikita Witjugow und andere bisher kaum bekannte Größen, die sich den zweiten Platz teilten hinter Ernesto Inarkijew, dem Turniersieger.

      Vielleicht vollzog sich in Tomsk bereits ein abrupter Generationswechsel. Etablierte Großmeister wie Chalifman, Drejew oder Najer verpassten die Qualifikation; Jewgeni Najer allerdings ziemlich knapp. Tröstlicherweise hatte er oben als Weißer am Zug (gegen Großmeister Oleg Kornejew) eine besonders erfrischende Kombination ausgeheckt. Wie kam’s?

      Lösung: 1.Txc6+! (Schon in der Vorausberechnung musste Najer das Feld b8 als den wunden Punkt im schwarzen Lager ausgemacht haben; Schwarz erkannte es nun auch und kapitulierte. Denn auf 1… bxc6 folgt die hübsche Pointe 2.Dxc2! Dxc2 3.Tb8 matt.) 1:0.

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      Der Anrufer

      Seit gestern spielen die Weltmeister Wladimir Kramnik und Wesselin Topalow in Elista, Hauptstadt der autonomen russischen Republik Kalmückien. In drei Wochen wird es nur noch einen Champion geben und die Schachwelt, seit 13 Jahren entzweit, zumindest in dieser Frage wieder vereint sein. Das Dilemma hatte mit einem Anruf begonnen: Im Jahr 1993 schlug der Brite Nigel Short, gerade als Herausforderer qualifiziert, dem damaligen Weltmeister Kasparow vor, das gemeinsame WM-Finale ohne den Weltschachbund Fide durchzuführen. Der Russe stimmte erfreut zu. Im Grunde erschien ihnen das Preisgeld von 2,58 Millionen SFr. zu gering. Sie gründeten einen eigenen Verband, übersahen aber, dass dies den traditionsreichen Titel eines Weltmeisters arg beschädigen sollte. Fortan gab es zwei Verbände und zwei Weltmeister. Heute ist (der damals chancenlose) Short 41.

      Und er hat kaum etwas verlernt, wie sein Turniersieg bei der EU-Einzelmeisterschaft in Liverpool zeigt. Dort fand er mit Weiß gegen den Finnen Karttunen ein leises Gewinnmanöver.

      Lösung: 1.Th6! (Dies gewinnt sofort, denn der mächtige Läufer d5 ermöglicht das entscheidende Manöver Th6-g6; z. B. 1…Lg7 2.Tg6 gefolgt von 3.f6, oder 1…Dd8 2.Tg6+ Kf8 3.Dh6+ nebst 4.Txf6, oder 1…Kg7 2.Th7+ Kg8 3.Dh5 und ggf. 4.Dg6+. Ergo gab Schwarz auf.) 1:0.

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      Kortschnoi empfindet „nichts“

      Viktor Kortschnoi ist endlich Weltmeister geworden, genauer: Senioren-Weltmeister. Und was bedeutet ihm der in der italienischen Gemeinde Arvier errungene Titel? „Nichts“, sagt der 75-Jährige und lacht. Gewiss, viel lieber wäre er einmal „richtiger“ Weltmeister geworden, damals, 1978 und 1981, in den Duellen gegen Anatoli Karpow, im Kalten Krieg auf dem Schachbrett, der Sowjetflüchtling Kortschnoi gegen den linientreuen Karpow. Obwohl Kortschnoi beide Male unterlag, gilt er längst als eine der größten Persönlichkeiten der Schachgeschichte. Dieser Kampfgeist! Diese Hingabe! Seine Energien scheinen unerschöpflich. Demnächst wolle er die Mannschafts-EM spielen und im November vielleicht einen Wettkampf in Teheran. Immer unterwegs. Mit 75. „Für mich ist Schach ein bisschen Kunst, ein bisschen Psychologie und ein bisschen Sport“, sagt Kortschnoi. Bei der Senioren-WM habe er auch ein bisschen Glück gehabt.

      Jedoch nicht in der Diagrammstellung! Sehen Sie, was Kortschnoi mit Schwarz Stefano Tatai vorsetzte?

      Lösung: 1…Dd2! (Die eine Lady opfert sich, um die andere abzulenken: auf 2.Dxd2 folgt 2…f2+ 3.Tg2 f1D matt.) 2.Tf1 Dxf2 3.Txf2 Ta8?! (Weiß gab auf, obwohl er mit 4.Kg1 noch etwas kämpfen könnte. Klarer als 3…Ta8 gewann 3…Tf6! 4.Sg5 Lc6 nebst …e4 und …e3.) 0:1.

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      Viktor Kortschnoi

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      Psychotricks in Kalmückien

      Eigentlich sind der Russe Wladimir Kramnik und der Bulgare Wesselin Topalow nach Kalmückien gekommen, um die geteilte Schachwelt zu einen. Doch aus dem großen WM-Kampf ist ein Spiel mit Psychotricks geworden. Als Kramnik 3:1 in Führung lag, streute Topalows Manager, Silvio Danailow, den Verdacht, Kramnik empfange während der Partien heimlich Computerzüge auf der Toilette. Der Bulgare erwirkte mithilfe seiner Freunde im (mittlerweile zurückgetretenen) Schiedsgericht sogar die Verriegelung des Klos. Woraufhin der empörte Kramnik nicht zur fünften Partie antrat und diese kampflos verlor. Jetzt, nach tagelangem Hin und Her, spielt der Russe weiter. Unter Protest.

      Vor der WM waren auf Wunsch Kramniks strikte Maßnahmen gegen Hilfen von außen getroffen worden, u. a. Störsender rund um das Spielgebäude und eine Glaswand zwischen Zuschauern und Spielern. Zudem weisen einige typisch menschliche Fehler stark darauf hin, dass in Elista nicht gemogelt wird. Oben übersahen beide, wie Topalow mit Weiß leicht hätte gewinnen können.

      Lösung: 1.Dg6+? (So nicht! Topalow hat ebenso wie Kramnik ein einfaches Matt auf g7 übersehen. Richtig war 1.Txg4+! Lg7 2.Dc7! Df1+ 3.Sg1 bzw. 1…Kh8 2.Th4+ und 3.Dh7 matt.) 1…Lg7 2.f5 Te7 3.f6 De2! (Danach befreite Kramnik sich allmählich aus seiner misslichen Lage und gewann später sogar noch.)

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      Edler Bauer

      „Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose“, ist, zugegeben, ein viel zitierter Satz aus Gertrude Steins Die Welt ist rund. Es lässt sich ja auch allerhand hineindeuten in so einen schönen, runden Satz. Schachspieler kennen eine ähnliche Weisheit: Ein Bauer ist ein Bauer. Gut, das klingt vergleichsweise plump; aber die Welt ist eben rund und das Schachbrett eckig. Das mit dem Bauern ist ungefähr so gemeint: Selbst ein kleiner Bauer hat seinen Wert. Schon Meister Philidor hatte im 18. Jahrhundert erkannt, die Bauern seien die Seele des Schachspiels. Und wer ihre Bedeutung begreift, wird die gewaltige Macht einer Dame erst recht zu schätzen wissen, die ist schließlich neunmal so viel Wert wie ein Bauer.

      Bloß manchmal scheinen all diese ehernen Gesetze auf den Kopf gestellt, beispielsweise in der Diagrammstellung, die beim Turnier in Gausdal/Norwegen zu sehen war. Zeigen Sie, womit der Lette Kaido Kulaots als Weißer am Zug seinen Großmeisterkollegen Felix Levin überraschte!

      Lösung: 1.Db5+! (Nach diesem reizvollen Damenopfer ist der letzte verbliebene weiße Bauer, der bis dahin kümmerlich am Brettrand herumstand, der Held des Tages. Schwarz gab sofort auf, denn nach 1…axb5 folgt natürlich 2.axb5 matt!) 1:0.

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      Kurz und frech

      Fast jeder Schachprofi hat einen Freund namens Fritz. Früher mussten die Meister immer selber denken, heute fragen sie Fritz, und der weiß oft Rat. „Fritz ist einer von uns, bloß


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