Gesammelte Werke. Ricarda Huch

Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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mit großer Kraft nach außen zu verwenden, sie auszubeuten. Der germanische Staat geht von den einfachen unteren Gliedern, der Familie, der Sippe, der Gemeinde aus und begegnet allmählich der von obenher beherrschenden Vertretung des Ganzen. Die Entfaltungsmöglichkeit und Freiheit des Individuums ist dem Germanen unendlich wichtig, und er opfert davon nur soviel wie nötig ist, damit ein Ganzes überhaupt sich bilden kann, während nach romanischer Auffassung der Staat im Besitz der Allgewalt ist und dem einzelnen an Befugnissen möglichst wenig überläßt. Die Vorteile des zentralisierten Staates sind Straffheit, Ordnung, Möglichkeit der Machtentfaltung nach außen, die des gegliederten Staates Mannigfaltigkeit, Reichtum an eigenartigen Individualitäten, Fülle der Natur, des schöpferischen Lebens. Im Hinblick auf den Beamtenapparat kann man den zentralisierten Staat auch den mechanischen nennen, worauf der häufig gebrauchte Ausdruck Staatsmaschinerie oder Staatsmaschine hinweist, während der organische von innen heraus wächst und sich verzweigt. Zu Karls des Großen Zeit konnte allerdings von einer Staatsmaschine im modernen Sinne nicht die Rede sein, sowohl aus technischen wie aus Gründen der Auffassung: er ließ den unterworfenen Stämmen ihr eigenes Recht, das er nur stellenweise ausbildete, und vermied Eingriffe in ihr kulturelles Leben. Der auf die Sachsen ausgeübte Zwang sollte nur dauern, bis die Christianisierung einigermaßen gesichert war. Immerhin zentralisierte er bis zu einem ziemlich hohen Grade, indem er das ganze Reich in Gaue einteilte, Grafen als Vorsteher derselben einsetzte und diese durch Königsboten beaufsichtigen ließ. Als Gegenwirkung gegen diese dem germanischen Geist widerstrebende Bindung an das Ganze bildete sich nach Karls Tode in den einzelnen Teilen des ostfränkischen Reiches das Stammesherzogtum wieder aus, und zwar mit besonderer Kraft in den beiden Ländern, die auch in anderer Hinsicht einander ähnlich waren, in Sachsen und Bayern. Beide Länder bedurften nach dem Verfall der Karolinger vorzugsweise einheimischer Führer, weil sie mehr als die anderen den Einfällen feindlicher Völker ausgesetzt waren, Sachsen der Normannen und Slawen, Bayern der Avaren und Magyaren. Der Herzog von Sachsen, Brun, fiel im Jahre 880 in der Nordsee gegen die Normannen, Luitpold, Graf in Bayern, im Jahre 907 gegen die Ungarn. Das große gemeinsame Erlebnis von Gefahr, Opfer und Sieg knüpfte das Volk fest an diese Familien. Wie nun die Germanen dazu neigen, nirgends ein absolutes Recht aufkommen zu lassen und andererseits nicht absolute Rechtlosigkeit zu dulden, so bestanden die Freien und Edlen auf dem Recht, den König oder Herzog zu wählen, ließen aber insofern den Grundsatz der Erblichkeit gelten, als sie die Verwandten der herrschenden Dynastie berücksichtigten, solange solche vorhanden waren. So gab in Sachsen Verwandtschaft mit dem unvergessenen Widukind ein Recht auf die Führerschaft, und es ist anzunehmen, daß die Familie der Brunonen oder Ludolfinger in verwandtschaftlichem Zusammenhang mit dem alten Helden gestanden hat. Ludolf, von Ludwig dem Deutschen zum Grafen erhoben, in Korvey, Quedlinburg, an den Quellen der Lippe begütert, vermählte seine Tochter Liutgard mit einem Sohne Ludwigs und stellte dadurch auch eine Verwandtschaft mit den Karolingern her. Nachdem Ludolfs Sohn Brun im Kampfe gegen die Normannen gefallen war, folgte ihm sein Bruder Otto, von dem die Überlieferung berichtet, daß ihm die Königskrone angeboten sei, daß er aber als zu alt darauf verzichtet und seine Wähler bewogen habe, sie dem Herzog der Franken zu übertragen. Sein Sohn Heinrich machte seinen Namen berühmt durch glückliche Bekämpfung der Slawen, konnte aber der Ungarn, die sie herbeiriefen, nicht sofort Herr werden.

      Schöne Gestalt, schönes Antlitz, königliche Haltung, Festigkeit, Gelassenheit und vermutlich die kühle Kindlichkeit, der gutmütige Humor und die Spielfreude, die dem niedersächsischen Menschen eigen sind, machten Heinrich zum Liebling des Volkes und der Sage. Man verübelte es ihm nicht, daß er Hatheburg, die der erste Gegenstand seiner Liebe war, als sie ihm gleichgültig geworden war, in das Kloster zurückschickte, aus dem er sie geholt hatte, die Güter aber, die sie ihm zugebracht hatte, behielt. Seine Ehe mit der jungen Mathilde, die durch ihren Vater von Widukind abstammte, befriedigte die Anhänglichkeit der Sachsen und machte ihn zum Vater ausgezeichneter Söhne und Töchter. Die Frage der Reichseinheit löste er dadurch, daß er die einzelnen Stämme in Güte zu gewinnen wußte; Herzog Arnulf von Bayern verband er sich in persönlicher Unterredung und indem er ihm allerlei Sonderrechte, hauptsächlich auf kirchlichem Gebiete, zugestand. Es kam Heinrich allerdings zugute, daß er von vornherein im Bunde mit den Franken war. Auf eine eigentliche Unterordnung der Herzogtümer unter die Königsgewalt verzichtete er, die weitere Ausbildung der Verfassung seinem Nachfolger überlassend. Es gehört zu dem Anziehenden seines Wesens, daß er sich im Augenblick bescheiden konnte, um für die Zukunft das Unmögliche möglich zu machen. So hielt er es mit den Ungarn, denen er jahrelang Tribut zahlte, um inzwischen ein Heer und passende Verteidigungsanstalten auszubilden und den Feind mit Sicherheit besiegen zu können. So begnügte er sich damit, einen losen Staatenbund zu schaffen und wenigstens das Auseinanderfallen des Reiches zu verhindern, so verfuhr er in bezug auf Rom und das Imperium. Als er in Fritzlar zum König der Sachsen und Franken gekrönt wurde, und der Erzbischof von Mainz ihn salben und krönen wollte, lehnte er das ab als solcher Ehre nicht würdig. Ob er am Ende des Lebens daran dachte, sich die Kaiserkrone in Rom zu holen, ist ungewiß. Stetig, schlicht, frei von Prahlerei und Eitelkeit, sicher in der eigenen Kraft ruhend, ging er in das liebevolle Gedächtnis nicht nur der Sachsen, sondern des ganzen deutschen Volkes ein.

      Dem vorbereitenden, grundlegenden Fürsten folgte sein großer Sohn Otto, der von Anfang an mehr Königsbewußtsein und höhere Ziele hatte. Heinrich blieb immer in erster Linie Herzog der Sachsen, wenn er auch als ein pflichttreuer Mann die Aufgaben, die das Schicksal ihm zuwies, erfüllte; Otto fühlte sich als Nachfolger Karls des Großen. Wo sein Vater als Erster unter Gleichen auftrat, war er Herrscher, ohne daß ihm doch das schöne Gleichgewicht der Seele, das jenen auszeichnete, gefehlt hätte. Von allen Seiten befehdet, von Verrat umgeben, konnte er wohl heftig zürnen und strafen; aber er blieb im Herzen gelassen und frei. Wenn er auf einsamen Wegen unter den Eichen seiner Wälder sich mit der Vogeljagd belustigte, sang er selbstvergessen liebliche Lieder vor sich hin. Großmütig, gar nicht mißtrauisch konnte er denselben Feinden, die ihn immer wieder verrieten, immer wieder verzeihen.

      Obgleich zur Zeit Ottos die Zahl der freien Leute noch beträchtlich war, so hatten sich infolge der Lehensverfassung doch die Vasallen schon zu sehr zwischen König und Volk geschoben, als daß er sich darauf hätte stützen können. Um ein Gegengewicht gegen das Unabhängigkeitsstreben der Stämme zu schaffen, bediente er sich seiner Verwandten und der Bischöfe. Da er in der Verwandtschaft seine ärgsten Feinde hatte, erwies sich die erstgenannte Waffe als zweischneidig. Sehr wertvoll war ihm sein jüngster Bruder Brun, ein ausgezeichneter Charakter, sich selbst streng beherrschend und gerecht gegen andere, den er zum Erzbischof von Köln und Herzog von Lothringen machte. Bruns zugleich wissenschaftliche und staatsmännische Begabung machten ihn für diese Doppelstellung geeignet. Heinrich dagegen wollte selbst König werden und machte sich zum Mittelpunkt aller Feindseligkeiten gegen seinen Bruder. Schweigsam, verschlossen, ränkesüchtig, dabei maßlos heftig und rachsüchtig erscheint sein Charakter durchaus nicht anziehend, aber eine Persönlichkeit muß er doch gewesen sein; weil er seinem blonden Vater glich, bevorzugte ihn die Mutter, überhaupt machte ihn seine Schönheit bei den Frauen beliebt. Nachdem er sich endgültig unterworfen hatte, erhielt er das Herzogtum Bayern und erwies sich seitdem als zuverlässige Stütze des Königs. Durch seine Heirat mit Judith, der Tochter des verstorbenen Herzogs Arnulf, nahm er an dem Ansehen der einheimischen Dynastie teil. Seinen Schwiegersohn Konrad machte Otto zum Herzog von Lothringen, seinen Sohn Ludolf zum Herzog von Schwaben, nachdem er ihn mit der Tochter des letzten Schwabenherzogs Hermann verheiratet hatte; beide fielen von ihm ab. In den Stämmen war ein so starker Widerstand gegen die königliche Oberherrschaft, daß die Stammeshäupter wie durch eine Naturkraft davon ergriffen wurden; die Zeitgenossen wenigstens haben den unglücklichen Ludolf, bevor er Herzog wurde, der Untreue und Widersetzlichkeit nicht fähig gehalten, und Konrad hat durch den Eifer, mit dem er, um sein Vergehen gutzumachen, sich am Kampfe gegen die Ungarn beteiligte, bewiesen, daß er nicht unedel dachte.

      Eine ganz andere Grundlage bestimmte die Stellung der Bischöfe. Als Glieder der Kirche vertraten sie von vornherein die Idee der Reichseinheit, die in Rom ihren Mittelpunkt hatte. Sie waren bereit, sich der Hoheit des Königs, nicht aber den Herzögen unterzuordnen. Der Erzbischof von Mainz besonders, dessen Diözese sich durch das ganze Reich erstreckte, fühlte sich dem Reiche verbunden. Alle Erzbischöfe erhielten die Erinnerung an das Karolingerreich, wo Papst und Kaiser gemeinsam, Karl der Große fast allein, Kirche und Reich regiert hatten,


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