Gesammelte Werke. Ricarda Huch
Nachdem er zum Kaiser gewählt war, hatte Karl die österreichischen Lande seinem jüngeren Bruder überlassen, der äußerlich weniger anziehend und geistig weniger begabt, aber ein ebenso fleißiger und gewissenhafter Arbeiter und ein ebenso aufrichtiger Katholik war. Da der Kaiser durch die neuen Kriegsverwicklungen ferngehalten wurde, leitete er den Reichstag.
Im allgemeinen wagten die Stände sich damals die Möglichkeit einer dauernden Spaltung noch nicht einzugestehen. Einigkeit im Glauben war nach allgemeiner Meinung die notwendige Grundlage des Reiches; gerade der Reichstag war dazu da, aus den verschiedenen Interessen und Willensrichtungen der Stände einen einmütigen Reichswillen herauszubilden. Insgeheim hoffte jede Partei, die andere zu sich hinüberzuziehen, anstatt das auszusprechen, beredete jede die andere, etwas nachzugeben. Unter den katholischen Ständen waren namentlich die weltlichen, an der Spitze Herzog Georg von Sachsen, der erbitterte Feind des Luthertums, durchaus bereit zur Abstellung von Mißbräuchen, wie sie längst in den hundert Gravamina vom Papst gefordert wurden. So saßen denn Kommissionen zusammen und berieten über eine Einigungsmöglichkeit durch Reform des Klerus; mit Empfehlung der Priesterehe und der Austeilung des Abendmahls in beiderlei Gestalt kamen die Katholiken den Evangelischen entgegen. Mitten in dieser verheißungsvollen Arbeit überraschte Ferdinand den Reichstag durch die Mitteilung, daß sein kaiserlicher Bruder fest auf der Ausführung des Wormser Edikts beharre, also auf der endgültigen Vernichtung der lutherischen Ketzerei. Schrecken auf der einen, Verlegenheit auf der anderen Seite verbreiteten sich; der Reichstag hätte sich aufgelöst, wenn nicht allen bald klargeworden wäre, daß weder Karl noch Ferdinand scharfe Beschlüsse durchzuführen augenblicklich imstande waren.
Hauptsächlich die Städte und der junge Landgraf von Hessen waren es, die durch die Entschlossenheit, mit der sie für ihre Überzeugung eintraten, einen für die Evangelischen vorteilhaften Ausgang bewirkten. Philipp, der Sohn der schönen und kampflustigen Anna von Mecklenburg, hatte schon auf dem Reichstage zu Worms, damals 17 Jahre alt, Interesse für die lutherische Lehre gezeigt und sich in Gedanken damit beschäftigt. Drei Jahre darauf begegnete er, als er zu einem Armbrustschießen nach Heidelberg ritt, Melanchthon, der von einem Ausfluge in die Heimat nach Wittenberg zurückkehrte, und begrüßte ihn mit einer scherzenden Anrede. Nachdem sie sich über die religiösen Fragen der Zeit unterhalten hatten, ersuchte Philipp den Professor, ihm eine schriftliche Erklärung der Grundgedanken von Luthers Lehre zuzustellen, und wurde durch die Abhandlung, die Melanchthon ihm zuschickte, vollständig gewonnen. Philipp war kein tiefsinniger, kaum ein nachdenklicher Mann, aber voll Verständnis und Interesse für alle Fragen des geistigen Lebens, und mit einem gesunden Verstande ging er gern und ohne Vorurteile auf die Probleme ein. Er vertiefte sich so in die Bibel und die Glaubensfragen, daß er es mit gelehrten Theologen aufnehmen konnte. Ihm kam es aber weniger auf die Lehre an als auf die praktischen Folgerungen aus derselben; als tatkräftiger Mann und Fürst betrachtete er die Religion als erzieherische Macht, die ihre Wahrheit durch die Früchte erweist, die sie an den Menschen erzielt. Seine Liebenswürdigkeit, ja man darf sagen seine Größe, bestand darin, daß er mit einer Freiheit lebte und handelte, wie sie nur Menschen von angeborenem Adel und vollkommener Ehrlichkeit auch gegen sich selbst eigen ist, und daß er, in Deutschland eine Ausnahme, im Umgang mit Menschen nicht ihren Stand, nur ihre Sinnesart beachtete. Er war nicht frei von Fehlern, aber seine Unbefangenheit und Bereitwilligkeit, sie einzusehen und einzugestehen, fielen dagegen in die Waage. Er und der Kurfürst von Sachsen hatten ihre Prediger mitgebracht und ließen sie, da es in der Kirche nicht anging, in ihren Herbergen predigen. Am ersten Freitag seiner Anwesenheit ließ Philipp einen Ochsen schlachten und aß an offener Tafel Fleisch, damit jedermann sehe, daß er die Fasten nicht halte. Die Wichtigkeit der Städte für die Sache der Reformation einsehend, setzte er sich über die zwischen Fürsten und Städten herrschende Verstimmung hinweg und gewann ihr Vertrauen. Besonders der Vertreter Straßburgs, der berühmte Jakob Sturm von Sturmeck, kam ihm an Energie und Furchtlosigkeit gleich.
Aus der verfahrenen Lage, in die der Reichstag durch die Botschaft des Kaisers geraten war, fanden denn auch die Städte einen Ausweg. Sie erklärten sich außerstande, ihren Untertanen das Wormser Edikt aufzudrängen. Sie wiesen darauf hin, wie die Lage des Kaisers durch den Krieg mit dem Papst verändert sei, daß in absehbarer Zeit schwerlich ein Konzil zustande kommen werde, von welchem man doch die Abstellung der Mißbräuche erwarte. Deshalb, schlugen sie vor, möge man eine Botschaft an den Kaiser schicken und ihn bitten, ein freies Konzil in deutschen Landen anzuberaumen, einstweilen aber die Vollziehung des Wormser Edikts zu verschieben und die durch Versäumnis desselben verwirkten Strafen gnädig zu erlassen. Bis zum Konzil wollten sich die Stände so verhalten, wie sie es vor Gott und Kaiserlicher Majestät verantworten könnten. Da alle Kurien einverstanden waren, kam ein Reichstagsabschied in diesem Sinne zustande. Es war ein Ausweg, der der deutschen Bequemlichkeit und Saumseligkeit entsprach, er überhob sie einer augenblicklichen Entscheidung, die allerdings nur zerstörend hätte sein können. Immerhin war dieser Abschied ein Sieg für die Lutheraner; denn mehr konnten sie nicht erhoffen, als daß sie zunächst einmal unbehelligt die Reformation in ihrem Gebiet durchführen und neue Anhänger gewinnen konnten. Der Weg einer alle Stände gemeinsam verpflichtenden Losung war verlassen worden.
Zwei Tage nach der Beendigung des Reichstages wurde die furchtbare Schlacht bei Mohacz geschlagen, in welcher die Türken das ungarische Heer gänzlich besiegten und der junge König Ludwig, Schwager des Kaisers, fiel. Ein Teil der Ungarn wählte gemäß dem 1515 mit Maximilian geschlossenen Vertrage Ferdinand, den Mann der Schwester des kinderlos Verstorbenen, ein anderer Teil den mächtigsten Vasallen der ungarischen Krone, Johann Zápolya, Woiwoden von Siebenbürgen, der stets bereit war, sich durch Anschluß an die Türkei gegen Österreich zu stärken. Während die Türken unabwendbar dem Reiche näherrückten, bekriegten sich Kaiser und Papst, die Häupter der Christenheit.
Im Spätherbst 1526 führte Frundsberg unter größten Schwierigkeiten und nachdem er die Juwelen seiner Frau versetzt hatte, um Geld zu schaffen, seine Landsknechte über die Alpen. Das Gerücht ging, er habe einen goldenen Strick bei sich, um den Papst daran aufzuhängen; sicherlich gönnte er dem hinterlistigen Feinde seines Kaisers eine gründliche Strafe. Zwischen Parma und Piacenza vereinigte er seine Rotten mit einem spanisch-italienischen Heer unter dem berüchtigten Connetable von Bourbon, dem mit seinem König entzweiten französischen Vasallen; sie waren bereit, in den Kirchenstaat einzufallen. Im Schrecken darüber schloß Clemens VII. einen Waffenstillstand ab, der aber nicht nach dem Sinn der wie immer unbezahlten Soldaten war. Der Papst erklärte sich bereit, eine gewisse Summe zu ihrer Befriedigung zu geben, aber nicht soviel wie verlangt wurde. Eine Meuterei entstand, die nicht einmal das persönliche Dazwischentreten Frundsbergs stillen konnte: als die Empörer die Spieße auf ihren Vater richteten, brach er, vom Schlage getroffen, zusammen. Ein Jahr lang versuchten die Ärzte des Herzogs von Ferrara vergeblich ihre Kunst an ihm, er verlangte heim und kam rechtzeitig in Mindelheim an, um dort zu sterben. Doppelt erbittert über den Verlust, der die aufgeregten Soldaten jäh ernüchtert hatte, zog das deutsch-spanische Heer über den Apennin und erstürmte die Ewige Stadt am 6. Mai. Da der Papst, in Erwartung französischer Hilfe, sich auch jetzt noch weigerte, die zur Entschädigung der Truppen verlangte Summe zu zahlen, begann die Plünderung. Zwei Wochen lang verheerte ein ausgelassenes, wütendes Kriegsvolk mit Raub und Mord die üppige Herrin des Abendlandes. Die Deutschen waren dabei, obwohl Lutheraner und erpicht auf Essen und Trinken wie auf Geld, das sie rasch wieder verspielten, weniger grausam als die katholischen Italiener und Spanier. Mit dem heidnisch übermütigen, glanzvollen, Göttern sich gleichsetzenden Rom war es für immer aus. Eine Epoche schwindelnd hoch gesteigerter Kultur war zu Ende. Die Humanisten trauerten; daß Melanchthon in die Klage über den Fall der großen Mutter einstimmte, die Gesetze, Wissenschaften und Künste der Welt gegeben habe, zeigt, wie der doppelte Ursprung des geistigen Lebens in Deutschland bis in die Seelen der einzelnen sich verzweigte und nebeneinander herging oder miteinander verschmolz. Der Staatsmann Karl V. freute sich über die Bestrafung seines italienischen Gegners, als Kaiser und Katholik beklagte er das Unglück des Heiligen Vaters. Er stellte sogar die Festlichkeiten zur Geburt seines Sohnes Philipp ab, die um diese Zeit Spanien mit Jubel erfüllte.
Der Abendmahlsstreit
Hutten