Gesammelte Werke. Ricarda Huch
Butzer die Wittenberger Konkordie zustande gebracht hatte, begab es sich, daß der Zürcher Buchdrucker Froschauer Luther eine von Zürcher Theologen herausgegebene lateinische Bibelübersetzung zuschickte. Er hatte vermutlich, den menschlichen Gepflogenheiten entsprechend, einen Dankbrief erwartet; anstatt dessen schrieb Luther, Froschauers Geschenk möge aus gutem Herzen gekommen sein, aber da es eine Arbeit der Zürcher Prediger sei, mit denen er keine Gemeinschaft haben könne, sei es ihm leid, daß sie sollten umsonst arbeiten und noch dazu verloren sein. »Sie sind genugsam vermahnt, daß sie sollen von ihrem Irrtum abstehn und die armen Leute nicht so jämmerlich mit sich zur Hölle führen.« Die Schweizer waren empört, Bullinger, Zwinglis Nachfolger, machte seinem Zorn über Luther Butzer gegenüber Luft. Was würde, schrieb er, der große Reuchlin dazu sagen, daß die Hochstraten und Pfefferkorn in Luther wieder erstünden. Butzer war ebenso wie Melanchthon erschrocken und tief bekümmert. Mit Vorwürfen oder Vorstellungen, schrieb er dem Landgrafen, sei bei Luther nichts auszurichten, er würde nur noch heftiger ausbrechen; »ich kenne den Mann«, setzte er hinzu. Trotzdem zürnte er weniger ihm als den Zürchern, die Luther gereizt hätten; man müsse diesen großen, von Gott auserwählten Mann so nehmen, wie Gott ihn gegeben habe. Was er am meisten fürchtete, war, daß Luther von allen deutschen Reformatoren Unterschrift unter eine Verfluchung der Zürcher fordern werde; es war schon ein Gewinn, daß das nicht geschah. Doch verfaßte er ein »kurzes Bekenntnis vom heiligen Sakrament«, in dem er sich unmißverständlich von den verteufelten, der Höhe zugehörigen Zürchern trennte. Sie vergalten es ihm mit einer womöglich schärfern, weil persönlichen Antipathie.
Wehe denen, die sich Einigung zum Ziel gesetzt hatten. Der Kaiser bemühte sich um die Einigkeit der Deutschen, Butzer um die Einigkeit der Protestanten, beide umsonst. Butzer sah die Vergeblichkeit seines Kampfes und kämpfte entschlossen weiter, denn etwas anderes gab es nicht; das Dasein der Protestanten hing davon ab. Der Nürnberger Frieden war ihnen nur auf begrenzte Zeit verliehen und nur den damaligen Anhängern der Augustana, nicht denen, die seitdem das Evangelium angenommen hatten, noch denen, die es künftig annehmen würden. Ihren Glauben ausbreiten, das wollten aber die Protestanten, daran wollten sie nicht gehindert sein. »Die Protestanten sind seltsame Leute«, sagte ein kaiserlicher Botschafter zum Bürgermeister Welser von Augsburg, »sie wollen ein Fürstentum nach dem andern unter sich bringen und dennoch haben, man solle ihnen Frieden zusagen.« Die größten Schwierigkeiten verursachte die Frage der Kirchengüter: die Altgläubigen bestanden auf ihrer Rückgabe, die Protestanten wollten nicht nur die schon eingezogenen behalten, sondern sie überall an sich nehmen, wo künftig ihr Glaube zur Herrschaft käme. Es hätte schließlich hingehn mögen, wenn zum Beispiel ein Kurfürst von Köln das Evangelium angenommen und dann abgedankt hätte: dann hätte es einen Ketzer mehr im Reich gegeben; aber wenn er sich, wie der Hochmeister von Preußen getan hatte, zum erblichen Fürsten machen, seine Untertanen zu seinem Glauben bekehren und alle Geldquellen seines Territoriums für seine Regierung in Anspruch nehmen wollte, das würde bedenkliche Folgen für die Katholiken haben, konnte ihnen nicht gleichgültig sein.
Schon 1521 auf dem Reichstage zu Worms hatte Alexander gesagt, es sei den Fürsten nicht so sehr um Luther wie um die Kirchengüter zu tun, und im Jahre 1537, als die Schmalkaldener Verbündeten tagten, sagte ihnen der kaiserliche Vizekanzler Dr. Held ins Gesicht, ihnen liege mehr am Kirchengut als am Glauben, obwohl doch nach dem Evangelium es nicht der Reichtum sei, der zur Seligkeit führe. Zwar antworteten die Beschuldigten, erst sie hätten die Kirchengüter ihrer wahren Bestimmung zugeleitet; aber sie konnten dabei kaum ein reines Gewissen haben, wenigstens die Fürsten nicht, von denen viele nach dem Ausdruck Luthers geizige Wänste waren, die an sich rissen, was ihre Juristen als herrenloses Gut bezeichneten. Selbst der Kurfürst von Sachsen schlug das Kirchengut zum Teil zu seiner fürstlichen Kammer und würde es noch mehr getan haben, wenn die Stände sich nicht eingemischt hätten, denen es unlieb war, daß der Landesherr sich auf diese Weise von ihnen unabhängig machte. Ulrich von Württemberg, der überhaupt in den kirchlichen Dingen als Autokrat auftrat, gebrauchte die eingezogenen Güter zur Schuldentilgung, einzig der Landgraf Philipp verwendete alles stiftungsgemäß für Kirche, Armenpflege und Schulwesen. Gegen Butzer äußerte er sogar einmal, es sei besser, man ließe viele Sachen, die man jetzt für Religionssachen ausgebe, fallen und bliebe allein auf der lauteren Religion, das heißt auf dem göttlichen Werk, dem Sakrament und der Liebe des Nächsten, und ließe die geistlichen Güter fahren. Butzer lehnte diese Ansicht ab, auf der vielleicht auch Philipp nicht dauernd bestanden haben würde; er meinte, wenn man die Religion wolle, müsse man auch die Instrumente der Religion behalten. Er hob hervor, daß der Landesherr ein Unrecht tun würde, wenn er das Geld zum Unterhalt der Kirche durch Besteuerung seiner ohnehin schon zu sehr belasteten Untertanen aufbringen wollte. Als Organisation ist nun einmal das Überirdische mit dem Irdischen verknüpft. Mehrmals versprach der Kaiser den protestantischen Ständen, daß sie bis zu einem künftigen Konzil in Glaubenssachen nicht vom Reichskammergericht verklagt werden sollten. Allein, da er sich nicht deutlich darüber erklärte, was unter Glaubenssachen zu verstehen sei, gingen die Prozesse wegen der Kirchengüter zum Schaden der Protestanten weiter. Das Reichskammergericht zählte das, was die Protestanten als Glaubenssachen angesehen wissen wollten, zu den Landfriedensbruch- und Spoliensachen. Die Protestanten halfen sich schließlich damit, daß sie das Reichskammergericht in bezug auf diese Sachen rekusierten; sie hätten es überhaupt rekusiert, wenn es ihnen nicht doch davor gegraut hätte, das einzige Organ der Reichseinheit zu zerstören. In den Augen des Papstes waren die protestantischen Stände Kirchenräuber und ohne weiteres der Acht verfallen.
Als Karl V. im Jahre 1540 wieder ins Reich kam, hatte er einen großen Schmerz erlebt: seine geliebte Frau, Isabella von Portugal, war gestorben. So groß war sein Schmerz, daß es des ernstlichen Zuredens seiner Räte bedurfte, um ihn vom endgültigen Eintritt in ein Kloster zurückzuhalten. Wenn er sich seitdem noch mehr als sonst in Schwarz kleidete, war das der Ausdruck tiefempfundener Trauer. Sehr zum Unterschied von den deutschen Fürsten, die oft kaum das Trauerjahr verstreichen ließen, bevor sie die Nachfolgerin der Verstorbenen heimführten, heiratete er nicht wieder. In Haltung, Tatkraft, gewissenhafter Pflichterfüllung hatte er nicht nachgelassen. Obwohl er damals schon mehrfach unter heftigen Gichtanfällen gelitten hatte, saß er unermüdlich zu Pferde, setzte sich jeder Witterung aus, untersuchte er alles, achtete er auf alles selbst. Seine ersten Siege hatten ihm seine Feldherren erfochten; später wurde er auch im Kriege der Führende. Er strebte seinem Großvater Maximilian nach und hat ihn übertroffen, zum Teil weil er reicher an Mitteln war, aber auch weil er sicherer und stetiger seine Ziele verfolgte. Seine größte kriegerische Tat war die Eroberung von Tunis, das ein Statthalter des Sultans eingenommen hatte; er setzte sie gegen vielfachen Widerspruch und unter großen Schwierigkeiten durch, um diesen Punkt nicht zu einer Verbindungsbrücke zwischen Frankreich und der Türkei werden zu lassen. Denn Franz I. scheute sich nicht mehr, nachdem er schon immer mit der Türkei zusammengearbeitet hatte, geradezu ein Bündnis mit dem Erbfeind der Christenheit einzugehen, ein Zeichen, wie die mittelalterliche Welt, die auf dem gemeinsamen Interesse der christlichen Nationen beruhte, auch ohne den Protestantismus sich aufgelöst hatte. Ernste Gemüter gerade unter den Protestanten waren über die Schamlosigkeit des französischen Königs entsetzt; Karl V. erschien als der Glaubensheld. Trotz dieses Sieges und obwohl es gelang, zum Teil durch die Bemühungen der Königin Eleonore, Franzens Gattin und Karls Schwester, einen Frieden zwischen den Monarchen zustande zu bringen, so daß sie zeitweise als brüderliche Freunde auftraten, blieb der Gegensatz bestehen und führte immer wieder zu kriegerischem Ausbruch; Franz wollte nicht auf die Eroberung, Karl nicht auf den Besitz Mailands verzichten. Fortwährend von Frankreich und der Türkei bedrängt, setzte Karl den Evangelischen gegenüber die entgegenkommende Politik fort, deren Ziel die vermittelnde Einigung war. Da die Protestanten von einem durch den Papst berufenen Konzil nichts mehr wissen wollten, bequemten sie sich zu dem vom Kaiser vorgeschlagenen Religionsgespräch, das der Ersatz oder Vorläufer eines Nationalkonzils sein sollte. Es begann im Jahr 1541 in Worms; Redner waren die altbewährten Fechter Melanchthon und Eck. Melanchthon war, um seine Schwäche vom Augsburger Reichstage vergessen zu machen, sehr unnachgiebig. Eck war der alte geblieben, höchstens in seinen Eigenheiten gesteigert, und brüllte so laut, daß man es drei Straßen weit hörte, zum Gelächter der die schöne Rede schätzenden Italiener. Bald nach dem nichts Gutes verheißenden Beginn verlegte der Kaiser das Gespräch nach Regensburg, wo er einen Reichstag eröffnete. Damals sah ihn der zum Unionsversuch beschiedene