Gesammelte Werke. Ricarda Huch

Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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getrennt, um sie dann, eine lange gehegte Absicht ausführend, zu überfallen? Vielleicht, wäre er nicht durch die europäische Lage beschwert gewesen, hätte er eher Gewalt gebraucht; aber, wie es nun einmal war, zog er eine gütliche Vermittlung vor, die ihm um so eher möglich schien, als er meinte, es komme nur auf einige Reformen und Milderungen an, wie viele Katholiken gleichfalls sie wünschten. Mehrfach war ihm von seinen Räten und auch von italienischen Staatsmännern geraten, den Kirchenstaat zu säkularisieren; war es doch offenbar, wie sehr die Päpste durch ihr weltliches Fürstentum von ihrer eigentlichen Aufgabe abgezogen wurden und die ärgerlichsten politischen Verwicklungen ausrichteten. Allein Karl ging darauf nicht ein, sei es, daß er die Schwierigkeit der Ausführung einsah, sei es, daß er nicht außerhalb der Grundformen des mittelalterlichen Weltreiches denken wollte und konnte. Er hätte damit wahr gemacht, was man ihm vorwarf, daß er die Universalmonarchie anstrebe, oder er hätte ein unabhängiges Italien schaffen oder leiden müssen; beides war unmöglich. Im Bewußtsein, daß er das Papsttum erhalten mußte, wenn er Kaiser bleiben wollte, erstrebte er mit allen Kräften eine Einigung, bei der naturgemäß, da Erhaltung des Papsttums Voraussetzung war, die Protestanten am meisten nachgeben und verlieren mußten. Dazu würden sie um so weniger zu bewegen sein, je mehr sie sich durch neue Anhänger verstärkten, und eben das war in letzter Zeit eingetreten. Auf den Kurfürsten Albrecht von Mainz, der zuerst mit dem neuen Glauben geliebäugelt hatte und zuletzt ein katholischer Eiferer geworden war, folgte Sebastian von Heussenstamm, der die Wahl mit Hilfe Philipps von Hessen erlangt hatte und dem Protestantismus zuneigte. Pfalzgraf Friedrich, der alte treue Anhänger des Hauses Habsburg, der 1544 seinem Bruder Ludwig in der Kur gefolgt war, nahm mit seiner Gattin in Heidelberg das Abendmahl in beiderlei Gestalt. Als auch Brandenburg übertrat, waren drei weltliche Kurfürsten evangelisch; als nun noch der Kurfürst von Köln seinen Übertritt vollzog, war die Stimmenmehrheit im Kurfürstenkollegium bei den Neugläubigen. Vielleicht gab es nach dem Tode der kursächsischen Brüder unter den evangelischen Fürsten keinen, der so lauter im Glauben, ohne weltliche Nebenzwecke war wie der alte Hermann von Wied. Anfangs gut katholisch war er im Bestreben, sein Land zu reformieren, das heißt es von Mißbräuchen und Aberglauben zu reinigen, zur Kenntnis der evangelischen Gedanken gekommen, und hielt daran fest, nachdem sie ihm als wahr und gut erschienen waren. Er war entschlossen, lieber sein Fürstentum zu verlieren, als seinen Glauben aufzugeben. Dieser Glaubenswechsel war für Karl äußerst gefährlich; denn dadurch rückte das Luthertum wieder, wie vor dem Clevischen Kriege, gegen die Niederlande vor, wo es ohnehin viele Ketzer gab, und würde sie überfluten, ohne daß er es würde hindern können. Nur die Gewalt konnte das Vordringen der Protestanten aufhalten. Sollte es aber zum Kriege kommen, so mußte er den Augenblick ergreifen, wo sich alles zu seinen Gunsten schickte. Frankreich hatte versprochen, die Protestanten im Reich nicht zu unterstützen, auch mit der Pforte hatte er Frieden geschlossen. Allerdings hatte er fast das ganze Reich gegen sich, ein Gebiet, das reich war an geübten Soldaten; aber seine Spanier waren ihnen gewachsen, und er kannte die Unfähigkeit der Schmalkaldener, sich zu einigen. Seine Brust hob sich im Vorgefühl, die Rebellen zu seinen Füßen zu sehen. »Er wollte«, sagt er in seinen Denkwürdigkeiten von sich, »tot oder lebendig Kaiser in Deutschland sein.« Zunächst setzte er seine diplomatische Kunst ein, um die Gegner zu teilen. Dem Herzog Wilhelm von Bayern machte er Aussicht auf die pfälzische Kur und eine habsburgische Frau für seinen Sohn; dafür blieb er still, unterstützte nur ihn mit Geld. Zwei Hohenzollern, den Markgrafen Albrecht Alcibiades von Kulmbach-Bayreuth und den Markgrafen Hans von Küstrin, gelang es ihm, in seinen Dienst zu ziehen; aber ein noch edleres Wild fing er ein. Moritz von Sachsen, der kürzlich seinem Vater Heinrich gefolgt war, hatte sich schon im Türkenkriege ausgezeichnet und sich dem Kaiser wert gemacht. Er war seinem Vetter Philipp, der zugleich sein Schwiegervater war, ähnlich an Schönheit, Klugheit und Unternehmungslust; aber er hatte nichts von dessen Geradheit, von seiner Wärme und Herzlichkeit in den menschlichen Beziehungen, nichts von seinem Glaubenseifer. Die herkömmliche Feindschaft gegen die ernestinischen Vettern erfüllte ihn ganz, sie suchte vollends nach Betätigung, als Johann Friedrich nicht nur die Stifte Naumburg und Merseburg einzog, sondern auch Schutzherrschaft über das Erzstift Magdeburg geltend machte. Erbitterung und Hoffnung, die Beute dem verhaßten Vetter zu entwinden, trieben ihn auf die Seite des Kaisers. Vielleicht hatte Anteil an dem Abfall die Anziehungskraft, die Karl V. persönlich auf junge Fürsten ausübte. Macht wirkt magisch, doppelt, wenn sie mit Überlegenheit besessen und ausgeübt wird. Karl alterte wie Luther früh; aber nicht im Sinne geistiger oder körperlicher Erschlaffung. Er machte die langen anstrengenden Reisen von einem seiner Länder ins andere zu Pferde, zu Schiff, zu Schlitten, um seinen Pflichten nachzukommen, er handelte immer nach großen Gesichtspunkten, er kannte seine Räte und Offiziere durch und durch und verwendete sie nach ihren Gaben. Auch die deutschen Fürsten beurteilte er richtig, er durchschaute ihre Schwächen und hatte Verständnis für ihre Vorzüge; er konnte bis zu einem gewissen Grade traulich mit ihnen verkehren und reden, seit er in den späteren Jahren sich an die deutsche Sprache gewöhnt hatte. Ihr großes überschwengliches Saufen, wie die Tadler es nannten, war ihm widerwärtig, und es kam vor, daß er sie ersuchte, sich zu mäßigen. Wie gemein erscheinen neben ihm seine beiden Nebenbuhler, Franz I. und Heinrich VIII., die zwar begabt waren, aber in der Hauptsache ihre hohe Stellung benützten, um sich zügellos ihren sinnlichen Leidenschaften hinzugeben. Es war ihm immer gegenwärtig, daß er nicht sich allein, sondern das Reich und die höchste Würde der Christenheit darstellte. Es ist begreiflich, daß er junge Menschen bezauberte. Er seinerseits war empfänglich für die Huldigung der Jünglinge, die seine Söhne hätten sein können, wenn er sie auch zugleich oder in erster Linie bei seinen politischen Berechnungen verwendete. Moritz von Sachsen entschädigte ihn dafür, daß es ihm nicht gelang, den Schmalkaldischen Bund zu sprengen. Um das zu erreichen, gab Karl an, er führe keinen Glaubenskrieg; er wolle nur die Ungehorsamen strafen. An Gründen dazu fehlte es nicht, waren doch die gewaltsame Zurückführung Ulrichs von Württemberg in sein Land und die Vertreibung des Herzogs Heinrich von Braunschweig, beides von Philipp von Hessen durchgesetzt, offenbare Landfriedensbrüche. Indessen auch wenn der Papst nicht gleichzeitig erklärt hätte, er verbinde sich mit dem Kaiser, um die Häresie auszurotten, hätten die Protestanten sich doch nicht irreführen lassen: sie wußten, daß es um ihren Glauben und die mit ihm verbundenen weltlichen Interessen ging und hielten in der Hauptsache fest zusammen. Hessen und Kursachsen, die hauptsächlich Betroffenen, rüsteten mit Nachdruck, und die übrigen Bundesglieder leisteten ihre Beiträge, auch die oberdeutschen Reichsstädte erklärten zu des Kaisers Enttäuschung, für das Wort Gottes Gut und Leben einsetzen zu wollen. An der Spitze eines starken Heeres erklärten Philipp von Hessen und Johann Friedrich von Sachsen dem Kaiser feierlich den Krieg, was er mit ihrer Ächtung beantwortete. Allein den großartigen Vorbereitungen entsprachen die Taten der Evangelischen nicht; es war, als ob eine Verblendung die Heerführer befallen hätte. Sie unterließen es, den von den Niederlanden und Italien her heranrückenden kaiserlichen Truppen den Weg zu verlegen und mit ihrer weit überlegenen Macht den in Regensburg fast ungedeckten Kaiser zu bedrängen, eine Entschlußlosigkeit, die sich daraus erklären läßt, daß das Bewußtsein, gegen ihren Kaiser zu fechten, die Fürsten lähmte. Beide hatten sich ungern und erst spät, als die Absichten Karls nicht länger verkannt werden konnten, zum Angriff ein Herz gefaßt. Trotz der seltsamen Ratlosigkeit seiner Feinde hatte der Kaiser, der in der Gegend von Ulm stand, noch keinen entscheidenden Vorteil errungen; da schlug wie ein vernichtender Blitz der Verrat des Herzogs Moritz in die Reihen der Verbündeten: er überfiel das Land seines Vetters als Vollstrecker der kaiserlichen Acht, indem er erklärte, daß dadurch die Rechte des Hauses Sachsen besser gewahrt würden, als wenn ein fremder Fürst es täte. Es ist anzunehmen, daß sein Vorgehen auf einer von Anfang an mit dem Kaiser getroffenen Verabredung beruhte. Schon öfters war mit dem Beginn der Reformation der Gedanke aufgetaucht, der Kaiser könne den Ernestinern, unter deren Schutz Luthers Rebellion sich vollzogen hatte, die Kurwürde nehmen; möglicherweise hatte lange schon eine solche Möglichkeit den jungen ehrgeizigen Albertiner beschäftigt. Die Aussicht, Johann Friedrichs Land und Würde an sich bringen zu können, ließ ihn jedes sittliche Bedenken hintansetzen; er redete sich ein, nur das zu tun, was sonst ein anderer täte. Freiheit des Bekenntnisses für sein Land ließ er sich gewährleisten. Gleichzeitig mit Moritzens Einfall in Kursachsen erklärte der Kaiser förmlich die Übertragung der Kur auf die albertinische Linie. Schwungvolles, straffes Handeln hätte die Verbündeten immer noch retten können; anstatt dessen herrscht Zerfahrenheit auf
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