Gesammelte Werke. Ricarda Huch

Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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oberdeutschen Städte wußten keinen anderen Rat, als sich gegen Sicherung ihres Glaubens dem Herrscher zu unterwerfen. Karl begnügte sich mit großen Geldbußen und der Demütigung der stolzen Kommunen; auch Jakob Sturm von Straßburg, der das Recht des neuen Glaubens so schneidig durchgekämpft hatte, mußte die Knie beugen. Obwohl furchtbar unter der Gicht leidend, zog der Kaiser, nachdem der Süden beruhigt war, gegen Sachsen und erreichte Ende April 1547 die Elbe bei Mühlberg, wohin Johann Friedrich sein Heer geführt hatte in der Hoffnung auf Beistand von den protestantischen Böhmen. Auch hier wieder wurde von seiten der Evangelischen das Naheliegende und Notwendige unterlassen; in diesem Falle, dem Feinde den Übergang über die Elbe zu wehren. Teils sächsische Schiffsbrücken benützend, teils durch eine Furt überschritt das gesamte kaiserliche Heer den Strom, verfolgte die nach Torgau zu Fliehenden und nahm den Kurfürsten gefangen. Der Kaiser hatte einen vollständigen Sieg errungen, den ein Erfolg der Protestanten im Norden nicht abschwächen konnte; auch Landgraf Philipp unterwarf sich auf Gnade und Ungnade, nachdem ihm die Vermittler, der Kurfürst von Brandenburg und der neue Kurfürst von Sachsen, Philipps Schwiegersohn, zugesagt hatten, daß er nicht in Gefangenschaft gehalten werden sollte. Es lag dem Kaiser daran, diesen Fürsten, der so unzuverlässig, so übermütig, so respektlos war, für immer unschädlich zu machen: er mußte eine bedeutende Strafsumme zahlen, alle festen Plätze mit wenigen Ausnahmen ausliefern, vom Schmalkaldischen Bunde zurücktreten, jeweils Türkenhilfe leisten und das Reichsgericht anerkennen. Daß der Kaiser die beiden letztgenannten Bedingungen allen auferlegte, ist ein Zeichen, wie wichtig diese Punkte ihm waren. In Halle, wo der Kaiser sich aufhielt, wurden dem Landgrafen, nachdem er den Fußfall geleistet hatte, die Todesstrafe, die der Geächtete eigentlich verdient hätte, und ewiges Gefängnis förmlich erlassen. Auf den Abend war er mit den beiden Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen vom Herzog von Alba zu Tisch geladen. Als sie aufbrechen wollten, forderte ihm Alba das Schwert ab und behielt ihn als Gefangenen zurück. Fast mehr als er selbst erschraken die beiden Kurfürsten, die sich für seine Freiheit verbürgt hatten. Sie hatten des Kaisers Verhalten, der nichts Bindendes versprochen, überhaupt eine bestimmte Äußerung über etwaige Gefangenschaft des Landgrafen vermieden hatte, in einem für sie günstigen Sinne ausgelegt und fühlten sich nun Philipp gegenüber entehrt.

      Auf dem Reichstage zu Augsburg, den Karl nach Beendigung des Krieges berief, trat er als wahrer Kaiser auf, wie er im Beginn seiner Regierung es sich vorgenommen hatte. Schwäche und Verrat der Protestanten hatten es ermöglicht; aber das meiste hatten dazu getan sein diplomatisches Geschick, seine Beharrlichkeit, seine unermüdliche Tatkraft. Er ließ den Sieger in seinem Auftreten spüren, ganz konnte er das Triumphgefühl, das ihn beseelte, nicht unterdrücken und wollte es wohl auch nicht. Unschön stach dagegen ab das Benehmen der drei weltlichen Kurfürsten, die sich den üblichen Gastereien hingaben; Moritz belustigte sich außerdem durch Liebeshändel. Zeigte sich Karl als strenger Herrscher, so daß er einen Obersten, der dem König von Frankreich Truppen zugeführt hatte, während des Reichstags enthaupten ließ, eine Warnung an die Mietlinge Frankreichs, verfuhr er doch in bezug auf die Religion nicht so durchgreifend, wie der Papst und viele Altgläubige von ihm erwarteten. Paul III., der gottlose Farnese, wie seine Feinde ihn nannten, hatte bereits im Sommer seine Truppen zurückgezogen aus Wut, daß der Kaiser den unterworfenen Städten den Glauben gelassen hatte. Dann verlegte er das Konzil, das bereits die evangelische Lehre mit Stumpf und Stiel verdammt hatte, von Trient nach Bologna, was den Kaiser erzürnte. Allerlei italienische Händel, Übergriffe des eroberungssüchtigen Papstes betreffend, führten zu einer solchen gegenseitigen Erbitterung, daß Paul III. sich wieder mit Frankreich einzulassen begann. Die Forderung des Kaisers, das Konzil nach Trient zurückzuverlegen, lehnte er ab und gab ihm dadurch Anlaß, die Ordnung der religiösen Fragen selbst in die Hand zu nehmen. Zunächst berief er einen Ausschuß aus den Ständen, der es zu keinem Beschluß brachte; Bayerns Kanzler Leonhard von Eck verlangte schlechtweg Wiederherstellung des katholischen Glaubens in ganz Deutschland. Wieder gab Uneinigkeit dem Kaiser Ursache, als Diktator zu handeln. Er ging dabei immer noch von der Idee der Vermittlung aus, benützte die vorhergegangenen Unionsversuche und berief zu Vorschlägen den Naumburger Domherrn Julius von Pflug, der schon mehrfach die katholische Partei im vermittelnden Sinne vertreten hatte, und den Brandenburger Pfarrer Agricola, Luthers einstigen Freund und Feind, der eine schwärmerische Verehrung für den Kaiser gefaßt hatte. Das Buch Interim, das entstand, ließ allerdings den Protestanten nicht viel mehr als die Priesterehe und das Abendmahl in beiderlei Gestalt, auch das nicht unbedingt und nur bis zur endgültigen Entscheidung durch das Konzil. Die Evangelischen waren tief enttäuscht, da nur ihnen etwas auferlegt worden war, während sie gehofft hatten, auch von den Katholiken würde ein Nachgeben verlangt werden; immerhin war ein Beschluß zur Reformation des Klerus gefaßt worden, namentlich die Bildung der Geistlichen und die Vereinigung mehrerer Pfründen in einer Hand betreffend, Punkte, die zu den ein Jahrhundert alten Beschwerden gehörten. Wie schmerzlich sie auch betroffen waren, es blieb den Besiegten nichts übrig, als sich zu fügen. War doch ein protestantischer Pfarrer, Agricola, bei der Abfassung des Interim tätig gewesen, und erklärte doch Melanchthon, seit Luthers Tode das Haupt der Protestanten, er sei bereit, was er nicht billige, schweigend zu ertragen. Er habe ja früher, schrieb er einem Freunde, durch Luther eine beinah schimpflichere Knechtschaft ertragen. So tief hatte sich in seine Seele eingegraben, was er durch Luthers Übermacht gelitten hatte, daß er sich nicht scheute, das Gedächtnis des großen Mannes zu kränken, dessen Werk in diesem Augenblick zerstört wurde.

       Inhaltsverzeichnis

      Zur Begründung seines Verhaltens führte Melanchthon an, daß man sich dem Kaiser unterwerfen müsse, damit doch wenigstens gute evangelische Pfarrer im Amte blieben und die Kirche nicht ganz veröde. Es ist der Grund, der bei Umwälzungen oder Vergewaltigungen immer von denen vorgeschützt wird, die bequemes Sichfügen dem Widerstand und seinen für sie schädlichen Folgen vorziehen. Sie verkennen, daß eine Regierung, die stark genug ist, sich gewaltsam einem Volke aufzudrängen, erst recht nicht durch die allmähliche Wirksamkeit einzelner beeinflußt wird, daß vielmehr ziemlich schnell diese einzelnen umgewandelt werden. Indessen, es dachten nicht alle wie Melanchthon. Wenn es schmerzlich ist, zu sehen, wie die Führer der Protestanten, militärische und theologische, durch Uneinigkeit, Geiz, Schwäche, Verrat die erkämpfte Glaubensfreiheit einbüßten, so verweilt man gern bei der aufrechten Gesinnung derer, die nicht wankten. Etwa 400 Prädikanten sollen ihre Stellen aufgegeben und ihr Heim verlassen haben. Brenz, der Reformator von Schwäbisch-Hall, flüchtete auf eine Warnung hin, die ihm auf der Straße gegeben wurde, ohne sich von den Seinigen zu verabschieden; er ließ seine kranke Frau zurück, die mit ihren Kindern von der Stadt ausgewiesen wurde und bald darauf starb. Butzer und sein Freund Fagius hielten sich in Straßburg unnachgiebig, bis Jakob Sturm, der einst so tapfere Städtemeister, die treuen Mitkämpfer vieler Jahre zum Wohle der Stadt ihres Amtes zu entsetzen nötig fand. Sie gingen nach England, mit dessen führenden Protestanten Butzer Beziehungen unterhielt. Die meisten Flüchtenden wurden von ihren Gemeinden, die sie liebten und verehrten, ebenso vermißt, wie sie ihren Wirkungskreis vermißten. Von den Städten hielten sich Konstanz und Magdeburg. Mit wundervollem Heroismus warf Konstanz den Überfall eines spanischen Heeres zurück, dann aber, da die katholischen Orte nicht zuließen, daß ein protestantisches Gemeinwesen in den eidgenössischen Bund aufgenommen würde, mußte die tapfere Stadt ihre Reichsfreiheit aufgeben und die österreichische Herrschaft anerkennen. Alle Prädikanten wurden ausgewiesen, der Reformator von Konstanz, Ambrosius Blaurer, der Freund Butzers und Zwinglis, hatte die Stadt schon verlassen. Ungebändigt blieb das stolze Magdeburg, die Zuflucht vieler Vertriebener und Rebellen, darunter Amsdorff, Luthers alter Freund, und Flacius, gleichfalls ein unbedingter Anhänger Luthers.

      Es zeigte sich hier, wieviel besser eine entschiedene, klar ausgeprägte Überzeugung dem Unglück widersteht, als eine, die vielleicht reicher und eindringender, aber unbestimmter ist; Sicherheit und Bestimmtheit hatte auch Luther immer als das Wesen des Glaubens bezeichnet. Johann Friedrich, der von Anfang an unerschütterlich fest, bisweilen unbequem starr im Glauben gewesen war, zeigte in der Gefangenschaft eine so großartige Haltung, daß er, der so manchen Anlaß zu Tadel und Spott gegeben hatte, der Dicke, Schwerfällige, Ungestalte, nicht nur die Bewunderung der Glaubensgenossen


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