Gesammelte Werke. Ricarda Huch
aber auch durch seine Lage war er mannigfach gebunden. Die Armee, die ihn mächtig machte, war, wie sehr sie ihm auch anhing, doch des Kaisers Armee; es war fraglich, ob sie sich gegen den Kaiser würde gebrauchen lassen. Ob die Gegner es aufrichtiger mit ihm meinten als der Kaiser, war auch ungewiß. Wenn die Schweden ihm mißtrauten, sagte er sich, täten sie es mit Recht, denn er fühlte als Reichsfürst, und sie vom deutschen Boden zu verjagen blieb sein eigentlicher Wunsch. Der Kaiser auf der anderen Seite mußte endlich einsehen, Wallenstein sei nicht sein Diener und könne seine eigene Armee benutzen, um ihn zu vergewaltigen; auch Wallensteins treueste Freunde am kaiserlichen Hofe gaben das zu. Die unaufrichtige Verbindung zwischen Ferdinand und Wallenstein mußte sich auflösen; so zweideutig schleichend, wie die Beziehungen von Anfang an gewesen waren, ist es begreiflich, daß es durch Verrat und Mord geschah. Als Wallenstein die Probe machte, ob die Offiziere ihm unbedingt, auch gegen den Kaiser, folgen würden, mußten sie sich entschließen. Ritterlich wäre es von den abfallenden gewesen, sich offen zu bekennen; anstatt dessen verließen sie ihn heimlich, unter Vorwänden. Den ihm treugebliebenen befahl der Kaiser, sich des geächteten Generals lebend oder tot zu bemächtigen. In Eger, wohin er sich im Februar 1634 gewendet hatte, um sich nun, da die Trennung vom Kaiser vollzogen war, mit den Schweden zu verbinden, wurde er samt seinen Anhängern ermordet.
Die Aussicht auf den Frieden war damit fürs erste geschwunden. Denn es war kein Überragender mehr da, der einem möglichen Ende zugestrebt hätte. Es gab nun eine Anzahl größerer und kleinerer Mächte, von denen jede auf ihre Entschädigung oder Rettung bedacht war, und dazwischen die Abenteurer, die bald dieser, bald jener Partei anhingen und aus dem Greuel der Zerstörung ein Geschäft machten. Wie wenig das Grundsätzliche mehr die treibende Kraft des Krieges war, zeigt sich darin, daß das Restitutionsedikt zwar nicht gesetzlich, aber doch tatsächlich aufgehoben war, ohne ihn aufzuhalten. Der Kurfürst von Sachsen allerdings schloß mit dem Kaiser den Frieden zu Prag, zu dem allen, auch den Schweden, der Beitritt offenstehen sollte. Die Schweden aber, denen ihre Ansprüche nicht zugestanden worden waren, zogen es vor, den Krieg mit Hilfe Frankreichs fortzusetzen, dem sie das erst noch zu erobernde Elsaß mit Hagenau und Breisach versprachen. Daß der schwedische Kanzler deutsches Land verhandelte, begreift man; nicht, daß deutsche Fürsten sich herbeiließen, einen so schimpflichen Vertrag zu unterzeichnen. Weniger bedrängt, sind sie weniger zu entschuldigen als die, welche hundert Jahre früher Metz, Toul und Verdun abtraten. Das Glück der kaiserlichen Waffen – denn der Sohn des Kaisers trug einen glänzenden Sieg über Bernhard von Weimar bei Nördlingen davon, der ihm den Weg nach Schwaben öffnete – veranlaßte Frankreich, auch mit den Waffen in den Krieg einzutreten. Von den deutschen Fürsten hatten es Herzog Bernhard von Weimar und Landgraf Wilhelm von Hessen verschmäht, dem Prager Frieden beizutreten. Bernhard von Weimar, der nach dem Fall Gustav Adolfs den Sieg bei Lützen herbeigeführt hatte, betrachtete sich als Nachfolger des Königs. Er war als Ernestiner ein geborener Rebell und hatte sich gleich anfangs dem König Erretter angeschlossen, wenn auch nicht ohne Vorbehalt; er fühlte sich deutsch und wollte nicht leiden, daß deutsches Gebiet von Deutschland abgerissen würde. Gezwungen in französischen Dienst zu treten, da er sich ohne französisches Geld nicht hätte halten können, war er fest entschlossen, das schöne, an blühenden Städten und Dörfern reiche Elsaß, das nacheinander Spanien und Frankreich begehrten, nicht den Fremden zu überlassen, sondern als eigenes Fürstentum in Besitz zu nehmen. Sein früher Tod entriß ihn den schweren Kämpfen, die sich daraus ergeben haben würden. Die Einnahme Breisachs, das die Kaiserlichen mit äußerster Anstrengung verteidigt hatten, war sein letzter Erfolg. Das Elsaß für Deutschland zu erhalten, blieb nun keine Aussicht mehr.
Das große Sterben
Im Jahre 1611 beschloß der Rat von Luzern, die gedeckte Brücke, die über die Reuß führt, welche die Spreuerbrücke genannt wird, zur Erbauung und Erquickung der Bürger mit schönen Bildern ausschmücken zu lassen; als Gegenstand derselben schien ihm ein Totentanz geeignet. Unterstützt von mehreren Mitarbeitern, hat der Maler Kaspar Meglinger das Werk in den Jahren 1626 bis 1632 mit beachtenswerter Kunst ausgeführt. Das Besondere seiner Auffassung war, daß er den Tod so in das Treiben der Menschen einbezog, als sei er immer gegenwärtig, wenn auch den in ihre Geschäfte Versunkenen nicht kenntlich. Sein Geisterauge umspielt sie, sein Moderhauch weht sie an, seine fleischlosen Finger greifen sie, ohne daß die Verblendeten sein dämonisches Wesen wahrnehmen. Er sitzt als Kutscher auf dem Wagen, in dem die Gräfin vermeintlich zur Kirche oder zu einem Fest fährt, er steht unter der Linde und spielt die Geige, die die Jugend zum Tanze lockt, er trägt die Schleppe des Papstes, er tritt als Gerichtsdiener in den Gerichtssaal und überreicht dem von seinen Beisitzern umgebenen Richter einen Brief, er schwingt sich zum Reiter auf das Roß, er beugt sich als Pfleger über den Kranken. Bald sitzt ein Barett mit bunten Federn auf seinem nackten Schädel, bald trägt er die Armbrust zur Jagd, bald spielt er im Gemach der Dame auf Kissen sich wiegend die Harfe. Auf 67 Bildern stiehlt sich seine schaurige Gegenwart in alle menschlichen Kreise. Kaspar Meglinger malte den letzten Tanz mitten im Dreißigjährigen Kriege, als der Tod in hohen Stiefeln, das lederne Wams um die Rippen geschnürt, als Werber durch das Reich ritt. Er trug eine große Trommel um den Leib, und der Schlapphut mit grünen und roten Federn war tief in sein entfleischtes Gesicht gezogen. Dumpfe Märsche rollten über Land und Meer, sie wurden im Süden und Norden vernommen und lockten Bauern und Edelleute und Könige. Sie liefen den eintönigen Wirbeln der Trommel nach, ließen sich anwerben und leerten den Becher voll heißen Weins, den der stille Werber ihnen zutrank. Lustig steckten sie die Werbetaler in ihren Beutel, kaum daß einen einmal ein Schauder überlief, wenn der Schlangenblick des Todes seine Beute betastete. Alle die, welche kühn und leidenschaftlich den Knoten des Krieges geschürzt hatten, die, welche gleichgültig wie zu einem alltäglichen Geschäft, die, welche ungeduldig und habgierig, die, welche rauflustig kamen, alle verschlang der Krieg, der ein Menschenalter dauerte. Die ihn begonnen hatten, erlebten seinen Ausgang nicht, die Sieger stürzten mit den Besiegten ins Grab. Böhmen war zwei Jahre nach dem Kriege verödet und verarmt. Von den Schätzen mittelalterlicher Kunst war nichts übriggeblieben. Der protestantische Adel war hingerichtet oder in der Schlacht gefallen oder ausgewandert. Vor dem Kriege hatte es 150 000 Bauerngüter gegeben, nach dem Kriege gab es noch den dritten Teil. Von den berühmten Heerführern fielen zuerst die beiden kaiserlichen Generale Dampierre und Boucquoi, die im Kampfe Spaniens gegen die Niederlande emporgekommen waren, Dampierre 1620 bei dem Versuche, Preßburg zu erstürmen, Boucquoi das Jahr darauf bei Neuhäusel. Mansfeld starb im Jahre 1626 in Dalmatien auf dem Wege nach Venedig, wo er Geld aufzutreiben hoffte. Nachdem er von Wallenstein vollständig geschlagen war, dachte er an Vereinigung mit Bethlen Gabor, dem Herrn von Siebenbürgen und Vasallen der Türkei, um mit ihm zusammen den Kaiser in Wien anzugreifen; allein Bethlen hielt es für vorteilhafter, sich mit Wallenstein zu verständigen, als sich mit dem geschlagenen und geldbedürftigen Mansfeld einzulassen. Es ist Überlieferung, daß der Todkranke stehend im Harnisch gestorben sei. Im gleichen Jahre starben auch die Herzoge Johann Ernst von Weimar und Christian von Braunschweig, der letztere 27 Jahre alt. Bethlen Gabor starb ein Jahr darauf. Bei dem Versuche, Gustav Adolf, als er gegen Bayern vordrang, am Überschreiten des Lechs zu hindern, wurde Tilly verwundet und starb in Ingolstadt. Es war ein tragisches Ende eines tapferen und rechtlichen Mannes, dem die Protestanten als einem blutdürstigen Wüterich, dem Zerstörer Magdeburgs, fluchten, und der tat, was er konnte, um die Härten des Krieges zu mildern. Er war einer von den wenigen, die sich durch den Krieg nicht bereicherten. Das Erscheinen Wallensteins verdunkelte und verbitterte ihn, das Erscheinen Gustav Adolfs machte seinem Siegeslauf ein Ende; der siegreiche Feind sprengte über den Sterbenden hinweg. Im Herbst desselben Jahres fiel Gustav Adolf bei Lützen. Ein ungeheurer Trauerzug führte die Königsleiche an das Meer, das zwei Jahre vorher den Auserwählten gehorsam an die deutsche Küste getragen hatte. Er war, als er seinen Ruhm mit dem Schlachtentode besiegelte, erst 37 Jahre alt. Bei Lützen fiel auf kaiserlicher Seite Graf Pappenheim, der Mann der unzählbaren Narben, dem es nur wohl im Kampfgedränge war. Er hatte den Hauptanteil an der Eroberung Magdeburgs, wie er überhaupt immer der war, der, oft zur Unzeit, zum Angriff riet. Wie der unglückliche Pfalzgraf Friedrich den König von Schweden begleitet hatte in der Hoffnung, er werde ihn wieder als Landesherrn nach Heidelberg führen, so folgte er ihm im Tode. Bereits