Gesammelte Werke. Ricarda Huch

Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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ausschalten zu müssen; Städte, wo es zu demokratischen Unruhen kam, wurden aus der Hanse ausgestoßen und nicht wieder aufgenommen, bis der frühere Zustand wiederhergestellt war. Das Feuer des neuen Glaubens nährte die Unzufriedenheit der so lange zurückgedrängten Schicht; mit ihrer Hilfe machte sich Wullenweber zum Bürgermeister von Lübeck. Die katholischen Stadthäupter wanderten in die Verbannung. Es ist bezeichnend, daß Wullenweber und seine Gefährten Fremde, nämlich Hamburger waren; die Lübecker waren in ihren Unternehmungen zurückhaltend, vorsichtig abwägend, wohl nachdrücklich handelnd, wenn sie sich einmal zum Handeln entschlossen hatten, aber nicht Spieler, die das Unmögliche wagen. Wullenwebers Pläne waren großartig und nicht ganz und gar aussichtslos; er war sich bewußt, daß er bei dem aufgelösten Zustand der Hanse höchstens auf Rostock, Wismar und Stralsund, daß er auf Hilfe vom Reich überhaupt nicht zählen konnte und daß er deshalb irgendeine deutsche oder ausländische Macht gewinnen mußte. Der Norden war im Beginn des 16. Jahrhunderts in wühlender Bewegung: in den skandinavischen Reichen rang der Adel mit Bauern und Städten, die wechselnden Könige stützten sich bald auf diese, bald auf jene Partei, und alle trachteten nach der Herrschaft über die Ostsee, die der Hanse entglitt. Es gelang Wullenweber, England und Mecklenburg in seine Pläne hineinzuziehen, außerdem hoffte er, der selbst durch eine protestantisch demokratische Bewegung getragen war, sich dieselben Kräfte in Schweden und Dänemark zunutze zu machen. Er hatte in Dänemark bedeutende Erfolge; aber als er zu Meer und zu Lande Niederlagen erlitt, sank sein Ansehen in Lübeck. Während er abwesend war, kehrten die vertriebenen Patrizier zurück und erkauften sich die Anhängerschaft des Volkes, klug und gemäßigt wie immer, durch Freigabe des evangelischen Bekenntnisses. Die stürmisch weitgreifende Politik Wullenwebers war der besonnenen Hansestadt nicht gemäß. Es läßt sich kaum noch feststellen, ob Schwächen in Wullenwebers Charakter oder in seinen Fähigkeiten an seinem Sturze Mitschuld hatten; sein größter Fehler war wohl, daß er eine Sache vertrat, die die Verhältnisse der Zeit zum Untergang verdammt hatten. Ein Städtebund konnte sich zwischen den erstarkenden Territorien nicht halten. Immerhin errang sich Hamburg, dessen erste Sendlinge scheiterten, als sie den Traum Adalberts von Bremen von einem meerumspannenden Nordreich unter deutscher Führung wiederholten, eine bedeutender Entwicklung fähige Stellung. Hier, der Neuen Welt zugewendet, erhielt sich das republikanisch-aristokratische Element, das einst im Reich so kostbare Früchte gezeitigt hatte, das seit dem 15. Jahrhundert immer mehr zurückgedrängt worden war, in Kraft. Hamburg war wie Wien eine Weltstadt. Mitten im Dreißigjährigen Kriege ging von hier durch die Anregung des Kaufmanns Otto Brüggemann die Gesandtschaft nach Rußland und Persien aus, die den Zweck hatte, den Seidenhandel mit Ostindien auf dem Landwege zu führen, und an der sich der bedeutendste Dichter des Jahrhunderts, der Sachse Paul Fleming, beteiligte. Unablässig war seit dem 15. Jahrhundert die wachsende Stadt mit ihrer Befestigung und baulichen Verschönerung beschäftigt. Im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts begann der holländische Artilleriehauptmann Valkenborgh die neue Fortifikation, die die glückliche Republik im Dreißigjährigen Kriege und auch später namentlich vor Dänemark sicherte. Als die betriebsamen Niederländer vor Alba flüchteten, gründeten die Hamburger Kaufleute eine Börse. Auf dem Rathause stand, wie uns Merian um 1612 erzählt, ein öffentlicher Geldkasten, nach Art der Amsterdamer und Venediger Bancum oder Banco genannt, in welchem »zu alten Zeiten auf gewisse Versicherung man den Jenigen, denen man trauen darff, große Summen Gelts fürstrecken thuet. Und solche Erfindung ist der Statt, dem gemeinen Mann und der Gewerbschafft sehr ersprießlich«. In Hamburg, rühmt Merian, sei täglich Messe, während Frankfurt und Leipzig nur einmal im Jahre solche hätten.

      Lübeck, die Stadt, von der Enea Silvio Piccolomini einst sagte, ihr Reichtum und Einfluß sei so gewaltig, daß große Länder auf ihren Wink gewärtig seien, Könige einzusetzen und abzusetzen, trat immer mehr hinter Hamburg zurück, und was es an Ansehen bewahrte, war ein mit Anstrengung festgehaltenes Gut, das die Gegenwart nicht mehr speiste. Die Herrschaft über Ost- und Nordsee war für die Hanse verloren, sie wurde von der neuen Großmacht Schweden ausgeübt, die sich, nach Gustav Adolfs Plan, an der deutschen Küste festgesetzt hatte. Holland, Dänemark, Rußland waren ihre Nebenbuhler. Brandenburg, das ein Anrecht auf Pommern hatte, das aber wie die übrigen protestantischen Reichsstände Schweden nicht reizen durfte, da sie ohne seine Unterstützung ihre kirchlichen Ansprüche nicht durchsetzen konnten, behielt sich die Wiedererringung des Meerlandes in künftigen Kämpfen vor.

       Inhaltsverzeichnis

      Die hohe Flut des dramatischen Jahrhunderts versiegte, die leidenschaftlichen Gespräche mit Gott verstummten. In einem unvergleichlichen Aufschwung war das Gewölk aufgerissen, das die Erde vom Himmel trennt, und die Völker fühlten sich angerufen von der Stimme des Ewigen. Nachdem der Himmel sich wieder geschlossen hatte, blieb die Erinnerung des großen Erlebnisses zurück, aber sie ging nicht mit der Kraft des Wirklichen in die Herzen ein. Die Tatsache Gott erfüllte noch das Bewußtsein; aber es war für viele nicht der persönliche Gott, zu dem Luther betete, der Vater und Richter, dessen Antlitz über seinem Volke leuchtet. Auf den protestantischen Kanzeln tobte die Schlacht der Theologen, die sich wegen der Ubiquität oder wegen der Verderblichkeit der guten Werke gegenseitig verdammten; für sie war Gott eine von ihnen zu lösende Streitfrage. Von den Denkenden, die Gott glaubten und Gott suchten, begriffen ihn viele als die Weltseele, die Harmonie des Weltalls, die Musik der Dinge, die sie zum Ganzen fügt, nicht als Person. Das war eine geistige Ermattung; aber es war auch das Bedürfnis, das Bild dessen, den keine Namen nennen, nach einer Richtung zu ergänzen, die die vorausgegangenen Geschlechter übersehen hatten. Jene hatten den Herrn angebetet, der zum Menschen spricht: du sollst heilig sein, denn ich bin heilig, der fordert und richtet; nun sehnte man sich nach dem Gott, den man im Rauschen der Bäume, im Zuge der Wolken, in der Ordnung der Sterne anschauend ahnt. Der Pantheismus griechischer Naturphilosophie wurde begierig ergriffen. Spinoza, der klassische Philosoph des Pantheismus, ging von der metaphysischen Gottesidee aus, der er zwei Eigenschaften zuschrieb, das Denken und die Ausdehnung, in die er insofern die Natur einbezog. Die Laien folgten in der Regel den strengen, mathematisch bedingten Gedankengängen des einsamen jüdischen Scholastikers nicht, ihr Pantheismus war eine Vergöttlichung der Natur. Nachdem Gott lange als sittliche Macht im Gewissen verherrlicht worden war, wollten sie in der göttlich-mütterlichen Natur ruhen, sich eins mit ihr fühlen, in ihr untergehen.

      Als eine wundervolle Frucht dieses gefühlsmäßigen Pantheismus entstand um die Wende des 16. Jahrhunderts die Landschaftsmalerei; es ist kein Wunder, daß sie hauptsächlich in Holland, der Heimat Spinozas, gepflegt wurde. Zuerst erschien die Landschaft als eine Beigabe zu dargestellten Menschen. Auf den Porträts des 15. und 16. Jahrhunderts blickte man wohl am Antlitz des Mannes oder der Frau vorüber durch ein Fenster auf einen ein Tal durchströmenden Fluß oder auf eine einen Felsen krönende Burg, die auf des Dargestellten Beziehung zur heimischen Erde deutete. Auf den Bildern des 1578 in Frankfurt geborenen Adam Elsheimer, Wunderwerken kleinen Formats, die die Zeitgenossen entzückten, war die Landschaft der hauptsächliche Gegenstand, den der Mensch begleitete. Ob er die Predigt des Täufers oder eine mythologische Szene, eine antike Idylle malte, die Personen waren gleichmäßig verschlungen in Wäldern und Gewässern und bläulicher Ferne. Die handelnden Figuren seiner Geschichte sind eigentlich die Bäume, Urväter der Menschen, ehrwürdige Häupter, die überwunden haben, was jene noch quält. Der feierliche Choral ihrer Stimme voll unaussprechlicher Weisheit rauscht über dem bunten Geschick der Menschen hin, ihre Drangsal beschwichtigend, ihre Lust und Freude auslöschend. Das Aufblinken eines Teiches, eine Blume, die aufblüht oder sich entblättert, das Lodern einer Flamme ist wesentlicheres Geschehen als die Tragödien der Menschheit. Daß die Menschen auf diesen Bildern oft mit leichtem Fuß vorübereilen wie Joseph und Maria auf der Flucht nach Ägypten oder Tobias mit dem Engel, scheint darauf hinzudeuten, daß die Natur das Dauernde, der Mensch etwas Unstetes, Vorübergleitendes ist. Architektur kommt auf Elsheimers Bildern fast nur in Gestalt von Ruinen vor, Menschenwerk, das allmählich wieder in die Natur zurückbröckelt.

      Manchmal, besonders wenn auf der Wiedergabe die Farbigkeit dieser Bilder wegfällt, möchte man Elsheimer einen Vorläufer Rembrandts nennen, jenes großen germanischen Künstlers, der vier Jahre vor Elsheimers Tode geboren wurde, obwohl er, ganz verschieden von Elsheimer, der


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