Im Alten Reich. Ricarda Huch
Stadt hatte über die Ritter gesiegt; aber als die Schenken ausstarben, war auch die Herrlichkeit der Städte vorüber.
Halls dritter Nachbar war das Stift Komburg. Ursprünglich war es eine Burg, die sich ein Graf von Rotenburg am Ende des 11. Jahrhunderts erbaut hatte. Von seinen vier Söhnen, Einhard, Burkhard, Rugger und Heinrich, wurden zwei von der damals das Abendland bewegenden kirchlichen Strömung ergriffen und verwandelten die Burg in ein Kloster, dessen Ruf sich bald so verbreitete, daß ein mainzisches Ehepaar, das in seinem Hause einen Schatz entdeckte, denselben zur Vollendung der drei steinernen Türme der Klosterkirche stiftete. Der dritte Abt des Klosters, Hartwig, hat seinen Namen dadurch denkwürdig gemacht, daß er den berühmten Kronleuchter schenkte, der jetzt den edelsten Schmuck der ziemlich liederlich barockisierten Kirche bildet. Seltsam spukte in dem reichsunmittelbaren Kloster der Rittergeist fort, aus dem es hervorgegangen war. Verschiedene Äbte legten gern den Harnisch an und lagen mit ihren Nachbaren in Fehde, so Konrad von Münkheim und Gottfried von Stetten. Im Anfang des 13. Jahrhunderts wurde die Bestimmung gemacht, daß keiner als Konventuale aufgenommen werden sollte, der nicht edel von Vater und Mutter sei. Die adligen Mönche führten ein weltliches, verschwenderisches Leben, wovon die Folge war, daß das Kloster aus den Zahlungsschwierigkeiten und unangenehmen Verwicklungen nicht heraus kam. Nach langen Kämpfen wurde es endlich in ein weltliches Chorherren- oder Ritterstift verwandelt, als welches es bis zur Säkularisation im Jahre 1803 bestanden hat. Seine wertvolle Bibliothek, die reich an Inkunabeln ist, enthält eine niederländische Handschrift des Reineke Fuchs. Die reichgegliederte Gebäudemasse, die der Berg hoch über das Tal hinaushebt, als wolle er ein gelungenes Meisterwerk weithin sichtbar machen, ist überraschend wirkungsvoll. Die mit Türmen besetzte Mauer umgibt den Gipfel wie ein Kronreif, aus dem die alten Kirchtürme mächtig hervorragen. Die Vereinigung zweier Hauptmächte des Mittelalters, der Kirche und des Rittertums, kommt hier zu monumentaler Erscheinung.
Den schlimmsten Nachbar, denjenigen, der es zuletzt verschlingen sollte, bekam Hall, als Eberhard I. von Württemberg, von den Zeitgenossen der Recke, von seinem respektvolleren Volke später der Erlauchte genannt, seine kleine Grafschaft auszudehnen unternahm. Damals schritten die Kaiser noch gegen das Bestreben der Fürsten, sich einen Territorialstaat zu bilden, strafend ein; aber sie verfuhren dabei so wenig folgerichtig, daß Albrecht dem Eberhard die Landvogtei von Niederschwaben übertrug, wodurch vierundzwanzig Städte, darunter Hall, unter seinen Schirm, und das hieß soviel wie unter seine Gewalt, kamen. Gegen den landgierigen Grafen bildete sich jedoch ein Landfriedensbund, in dem neben verschiedenen Herren zweiundzwanzig Städte vertreten waren, und in dem Kriege, den Heinrich VII. anführte, verlor er seine ganze Grafschaft. Es kam die Zeit der großen und einflußreichen Städtebündnisse, wo eine Entwicklung möglich schien, die derjenigen der schweizerischen Eidgenossenschaft ähnlich gewesen wäre; indessen ein Enkel Eberhards I., Eberhard der Greiner, machte ihr durch den Sieg bei Döffingen ein Ende, den der Alternde mit dem Tode seines Sohnes zahlen mußte.
In allen diesen Fehden fand der zahlreiche hallsche Adel Gelegenheit, sich zu betätigen. Als ein Hund von Wenkheim im Jahre 1438 in Rothenburg o. d. Tauber turnierte, war er von dreißig Edlen von Hall begleitet; und doch hatte damals schon ein großer Teil der Patrizier die Stadt verlassen. Die Unzufriedenheit der vom Regiment ausgeschlossenen Handwerker führte zu drei sogenannten Zwietrachten, deren Folge die gänzliche Auswanderung der Geschlechter war. Bei der zweiten Zwietracht, die im Jahre 1340 stattfand, änderte Ludwig der Bayer zugunsten der Handwerker die Verfassung, so daß künftig zwölf Edelleute, sechs Mitterbürger und acht Handwerker im Rat vertreten sein sollten. Auch ein Nichtadliger sollte das Amt des Städtmeisters, so hieß in Hall der Bürgermeister, bekleiden dürfen.
Entrüstet über die kaiserliche Entscheidung wanderten etwa fünfundzwanzig bis dreißig adlige Familien aus und ließen sich zum Teil in Straßburg nieder, wo eine Straße nach ihnen Haller Gasse benannt wurde. Immerhin blieben noch hundertundvierzehn adlige Familien zurück, die auch verfassungsgemäß das Übergewicht hatten.
Im Anfang des 15. Jahrhunderts wurde ein hervorragender Mann, Hermann Büschler, Städtmeister, der, aus mittelfreiem Stande hervorgegangen, vom Adel ungern gesehen wurde. Als er um Aufnahme in die Trinkstube der Patrizier nachsuchte, wurde sie abgeschlagen, obwohl seine Frau aus altadligem Geschlecht, eine Hornberger aus Rothenburg war; als geladener Gast, wurde ihm geantwortet, sollte er willkommen sein, nicht als berechtigtes Mitglied. Als nun Hermann Büschler mit verschiedenen des Rats eine bürgerliche Trinkstube gründete, wendeten sich die Geschlechter an den Schwäbischen Bund und setzten mit dessen Hilfe durch, daß die Trinkstube geschlossen und eine Veränderung der Verfassung im aristokratischen Sinne eingeführt wurde. Nachdem alle Versuche Büschlers, dies Verfahren auf dem Rechtswege zu bekämpfen, durchkreuzt worden waren, floh er aus Hall, um persönlich vor den Kaiser zu gelangen. Ein Rad um den Hals, Asche auf dem Kopf, ein Schwert in der Hand, so sei er, erzählt man, in Frankfurt am Main bis zum Kaiser vorgedrungen. Man wollte ihn in seinem närrischen Aufzuge nicht vorlassen, allein Maximilian, der öfters in Hall gewesen war, erkannte ihn wohl wieder und hieß ihn sprechen. Indem er seine Sache vortrug, soll Büschler gesagt haben, er wolle sich gerne dem Feuer, dem Rade, dem Strang, dem Schwert unterwerfen, wenn er strafbar sei. Vielleicht war dem Kaiser die Persönlichkeit Büschlers sympathisch, der außerdem eine gerechte Sache vertrat; Maximilian schickte eine Kommission nach Hall, die anordnete, daß die Verfassung Ludwigs des Bayern wiederhergestellt werde. Diese Verfassung hinderte nicht, daß sich wieder eine Oberschicht bildete; aber der alte Adel, der Jahrhunderte hindurch die Geschicke der Stadt geleitet hatte, verschwand gänzlich und für immer. Die Adelsheim, Crailsheim und Theurer waren schon nach der ersten Zwietracht aufs Land gezogen, nach der zweiten und dritten folgten ihnen die Backenstein, die Bebenburg, Erbküchenmeister des Reichs, die Berler, oft Reichsschultheißen von Hall, die Clingenfels, Egen, Geyer, Gottwollshausen, Münzmeister, Ottendorf, Lamparter von Ramspach, Sturmfeder und Eschelbach. Zum Teil starben sie bald aus. Der Städtmeister Simon Berler, der das Haupt der Adelsverschwörung gewesen war, soll ruhelos im Land herumgewandert und in Armut gestorben sein. Der letzte Büschler starb im 18. Jahrhundert wahnsinnig im Arbeitshause.
Man kann es als einen Vorzug ansehen, daß durch die Auswanderung des Adels die Bevölkerung vereinheitlicht wurde, andererseits bedeutete sie einen Verlust und nicht nur durch das Sinken der Steuerkraft, was sich ziemlich bald wieder ausglich. Der Adel, so herrschsüchtig er im Inneren war, war er es auch nach außen, im allgemeinen stets auf das Ansehen, die Erweiterung, den Glanz der Stadt bedacht, und dadurch, daß er in den Waffen geübt, und nicht durch Erwerbsarbeit behindert war, in der Lage, große Pläne auszuführen. Gewiß waren auch die Zünfte wehrfähig und stets zur Verteidigung der Mauern bereit, auch ihnen lag das Wohl der Stadt am Herzen, auch aus ihrer Mitte gingen tüchtige und unternehmende Männer hervor; aber sie waren doch ihrer Natur und Aufgabe nach behutsam und sparsam, ein unentbehrliches Gegengewicht gegen den verwegenen Übermut des Adels, einseitig ohne ihn. Die kurzsichtige Überhebung und Herrschsucht des Adels hatte die unheilbare Spaltung herbeigeführt.
Die letzten 50 Jahre vor der dritten Zwietracht waren für Hall eine Zeit der Blüte, die sich in monumentalen Bauten ausdrückte. Damals entstanden das große Bollwerk, von dem nur der Pulverturm unterhalb des Bahnhofs übriggeblieben ist, der Brunnen am Fischmarkt, die Michaelskirche, das Spiral am Markt und die schönen Patrizierhäuser in der Oberen Herrengasse. In den Grundstein der Kirche schloß man ein Glas voll roten Weins, ein Glas mit Korn, einen rheinischen Goldgulden, einen hällischen Reichstaler und einen hällischen Pfennig, eine Bleitafel mit der Jahreszahl und den Namen des regierenden Kaisers und der amtierenden Ratsherren. An den Namen Hermann Büschlers, der es ursprünglich zum Schutze gegen Limpurg erbaute, knüpft sich das Büchsenhaus oder der sogenannte Neue Bau, der die Stadt von ihrem höchsten Punkte aus beherrscht. Die Schmucklosigkeit des vorderen Giebels, dessen einzige Zierde das kaiserliche und das hällische Wappen bilden, läßt ihn um so gewaltiger erscheinen. Das Haus wurde beim Übergang an Württemberg Staatseigentum, aber später von der Stadt zurückgekauft und soll jetzt zur Abhaltung von Festen und Tagungen eingerichtet werden; ein der stolzen Lage auf dem Felsenvorsprung und der herausfordernden Massigkeit entsprechender Zweck findet sich nicht.
Auch mit kaiserlichen Besuchen, an denen es Hall nie gefehlt hat, wurde die Stadt in diesem Zeitraum mehrfach beehrt. Friedrich III., der sich, aus Wien durch Mathias Corvinus vertrieben, einstweilen von seinen Reichsstädten