Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren . Ricarda Huch

Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren  - Ricarda Huch


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weil ich es so haben wollte. Das verschaffte mir nun zwar das erhoffte Ansehen, aber nicht ohne Unliebsames auf der anderen Seite. Es war herkömmlich, daß die schöne Georgine in ihrem Stuhle lehnte, Limonade einschenkte und aus ihren grünen Augen wohlig lächelte. Wie sollten sich die jungen Leute nun zu dem schönen Weibe stellen? Sie hätten sich gern vor ihr auf den Knieen gewälzt; aber ein bißchen Achtung und Ehrfurcht vor einem Gemüte, das vom Schlechteren zum Besseren übergeht, wollten sie nicht haben. Vielmehr empfanden sie den Wechsel als eine arge Beleidigung. Aber Georgine kehrte sich nicht daran, sondern fuhr fort, mir als Liebesgabe blutende Männerherzen zu Füßen zu legen, wie ein Indianer seiner Geliebten die Skalpe erlegter Europäer überreicht. Es gefiel mir außerordentlich und ihr nicht minder. Sie behandelte die Verschmähten schnöder als nach allem Vergangenen billig und geraten war. So kam es dazu, daß ein niedriger Wicht eine höchst teuflische und unwürdige Rache an ihr nahm, indem er über ihr schönes, weißes Gesicht ätzende Schwefelsäure ausleerte und dies wunderbare Gebilde der Natur dadurch auf immer zerstörte. Es war ein Jammer, sie anzusehen. Die goldene Haarkrone thronte über dem elenden Antlitz wie die Sonne über einem wüsten, rauchenden Schlachtfelde. Sie war nicht nur nicht mehr schön, sie war scheußlich. Ich saß dabei und weinte, nicht anders wie ein Vater über den geschändeten Leib eines verlorenen Kindes. Die unselige Georgine war ganz und gar vernichtet. Sie löste mit zitternden Händen ihre Haare und preßte sie vor ihre Augen. »O mein schönes Gesicht! mein schönes Gesicht!« stöhnte sie, und weiter hörte ich überhaupt kein Wort mehr von ihr. Sie rief diese Worte mit solcher Seelenangst und flehentlicher Klage, daß man im innersten Herzen erbebte, obwohl sie nur einem äußerlichen, vergänglichen Vorzuge galt. Aber man fühlte, daß sie recht hatte, wenn ihr Herz brach; denn sie war nun ganz verwaist, entblößt, geschändet und arm. Ich fürchtete mich in meiner Kläglichkeit, daß sie mich anflehen würde, sie wie bisher zu lieben. Aber das kam ihr nicht in den Sinn, vielmehr schickte sie mich heftig fort und wollte auch kein Geld von mir annehmen. Ich ließ mir das nicht zweimal sagen und unternahm einen weiten Ausflug, um mich meinen Gedanken zu überlassen, die mir sehr tief und bedeutend vorkamen.

      Unterdessen ertränkte sich das verlorene Weib. Sie hatte auf einen Fetzen Papier in großen, schiefen Buchstaben ihre letzte Bitte niedergeschrieben, nämlich daß man, wenn sie im Sarge läge, ihr Gesicht mit ihren Haaren zudecken möge. Das geschah, und es nahm sich recht symbolisch aus; denn ungefähr wie der Goldmantel die Schmach ihres Antlitzes verbarg, so hatte, während sie lebte, ihre Schönheit über der armen entstellten Seele ihre göttlichen Schwingen ausgebreitet, daß man ihr gern verzieh um der hohen Fürbitterin willen. Ihr seltsames Unglück rührte auch alle Gemüter, so daß ihr beim Leichenbegängnis alle Ehre erwiesen wurde: man huldigte unbewußt der waltenden Natur, die ihr Füllhorn ausgießt, wo es sie gutdünkt, nach keinem anderen Plane als ihrer Laune; aber die Launen der Natur sind Gesetz.

      Ich weiß nicht mehr, ob ich mir vorzuspiegeln suchte, ich sei der Held dieses traurigen Abenteuers. Jedenfalls trug ich eine tiefgehende Verstimmung davon und bildete mir ein, das Schicksal verkümmere mir meine wohlerworbenen Genüsse und zeige mir die schönsten Früchte nur, um sie meinen greifenden Händen tückisch zu entziehen wie dem Tantalus. In Wahrheit war es ganz anders und ich oder vielmehr die Mischung meiner Seelenkräfte war an allem schuld. Es gibt unter den Vögeln die hin und her segelnden Schwalben, die wirbelnden Lerchen, die Bachstelzen, die auf und ab trippeln und wippen, die wackelnden, patschenden Enten. Der stolze und gewisse Flug des Falken, der sich wie ein Pfeil in die Lüfte wirft und packt was ihm taugt, dann wiederum über der Erde steht, als hinge er an einem goldenen Faden vom Himmel herab, ist nicht jedem verliehen.

      VII

       Inhaltsverzeichnis

      Ich erzählte zu Hause von meinen Liebesabenteuern nur dem Urgroßvater, der mich selbst dazu ermunterte. Man darf sich aber nicht vorstellen, ihn habe eine häßliche Lüsternheit dazu bewogen; denn was ihn antrieb, lag ganz anderswo und ließe sich eher moralisch nennen. Er war überzeugt, daß das Gemüt aus jeder Liebesangelegenheit bereichert hervorgehe, wie sich der Körper im Turnen und jedem Gebrauch seiner Kräfte stählt. Da ich ihn wohl kannte, pflegte ich meine Geschichten romantisch auszuschmücken und vorzüglich mit allerhand Bemerkungen aus dem Gebiete der Seelenkunde zu verbrämen, als ob ich eigentlich mehr zum Behuf einer psychologischen Studie, als um des Vergnügens willen geliebt hätte. Ich erlog dies zwar nicht ganz, aber meine diesbezüglichen Beobachtungen kamen mir meist erst in dem Augenblick zum Bewußtsein, wo ich dem Urgroßvater gegenüber saß und erzählte. Er selbst besaß so viel natürliche Menschenkenntnis und Lebhaftigkeit, daß er über die in Frage kommenden Personen die zutreffendsten, feinsten Urteile fällen konnte, als hätte er jahrelang mit ihnen verkehrt.

      Er schrieb mir auch, wenn ich fort war, über alles was zu Hause vorging, geistreiche und anmutige Briefe, in denen sein ganzes Wesen wie auf einer Photographie niedergelegt war, bis auf das allerjüngste Fältchen. Es belustigte mich besonders, wahrzunehmen, wie sich in jedem Briefe seine hauptsächliche Zu- und Abneigung verriet, nämlich die überschwengliche Liebe zu Galeiden und die Feindseligkeit gegen Onkel Harre. Denn Onkel Harre hielt er für einen nicht gut konstruierten Menschen, etwa einem gotischen Dome der Spätzeit ähnlich, den der ungewissenhafte Baumeister mit Hintansetzung der Kunstregeln in zu kühnen Formen hat aufschießen lassen, als daß sie sich noch selbst zu tragen vermöchten. Mit solchen Aussprüchen suchte er seine Abneigung vor sich zu erklären und zu rechtfertigen.

      Um die Zeit, von der ich spreche, wurmte es ihn besonders, daß die Beziehungen zwischen meinem Vetter Ezard und Lucile Leroy sich immer fester knüpften; denn er hatte Ezard, dem er sehr gewogen war, meiner Schwester Galeide zugedacht und hielt diesen Plan, da er sich einmal in ihm festgesetzt hatte, für den Willen der Vorsehung, der mit allen Mitteln auszuführen sei. Er war also in dem einen Punkte mit Onkel Harre einig, daß Ezard nicht die Lucile heimführen dürfe. Aber dessenungeachtet maß er die Hauptschuld an der Durchkreuzung seiner Hoffnungen eben diesem zu; denn so fein auch sein Verstand war, immer trugen es seine Gefühle über ihn davon und verführten ihn zu den absonderlichsten Verstößen gegen die klare Logik. So behauptete er, durch sein verfrühtes, unvernünftiges Reden gegen eine Heirat mit Lucile habe Onkel Harre einen solchen Gedanken erst in Ezard geweckt, ja, durch seine Sucht, ihn eine möglichst vorteilhafte Verbindung eingehen zu lassen, habe er in seinem Sohne, der das natürlich nicht billigen könne, die Gegensucht rege gemacht, nun gerade eine Frau heimzuführen, die ihm nichts als sich selber mitbringe.

      In Wahrheit lag ein solcher Eigensinn gar nicht in Ezards Art; er sah nun einmal sein Heil in dem braunaugigen, feurigen Schweizermädchen. Galeide war noch ein Kind; und warum hätte er überhaupt gerade die lieben sollen? Der Urgroßvater lächelte, indem er an sie dachte, und sagte, das verstände ich nicht; Brüder seien nie unbefangen und könnten nur entweder zu hoch oder zu niedrig schätzen. »Sie ist ein holdes, unschuldvolles Kind,« sagte er, »eine Blume. Oft mahnt sie mich an eine weiße Lilie auf hohem, schwankem Stengel, voll beseligender Düfte in ihrem tiefen Kelche. Sie wird euch noch alle in Erstaunen setzen.«

      Dieses oder ähnliches sagte der Urgroßvater zu mir, als ich einmal in den Universitätsferien zu Hause war und unsere Unterhaltung, wie so oft, die Liebe zwischen Ezard und Lucile berührt hatte. An einem der folgenden Tage vollzog sich die Verlobung. Der Urgroßvater war voll Zornes und beschuldigte meine Eltern, die Verbindung begünstigt, ja, herbeigeführt zu haben, wie sie überhaupt, seit Lucile im Hause sei, ihr eigenes Kind, die »gute kleine Galeide«, in empörender Weise hintangesetzt und um ihre Anrechte betrogen hätten. Meine Mama nahm sich diese Anschuldigungen nicht sehr zu Herzen, freute sich vielmehr über des Urgroßvaters Vorliebe für Galeiden, die sie als eine Art Bürgschaft für ihre Vorzüge ansah. Denn diese sprangen damals nicht allen Menschen in die Augen.

      Ezard war in liebenswürdiger Weise bekümmert darüber, daß der alte Herr so unzufrieden mit ihm war. »Aber,« sagte er, »ich kann mich doch nicht ihm zu Gefallen in Galeiden verlieben. Ich wüßte nicht, wie ich das machen sollte, und bezweifle noch mehr, ob sie es sich gefallen ließe. Sie zeigt bei weitem mehr Wohlwollen für ihre Salamander und Frösche - so ekelhafter Geschöpfe hatte sie nämlich einen ganzen Glaskasten voll - als für mich. Und ich


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