Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren . Ricarda Huch

Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren  - Ricarda Huch


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erklärte. Deutsch sprach er nicht, weil er es zu häßlich fand. Nun war ich zwar überzeugt, daß er es gar nicht gekonnt hätte, und wenn es eitel Musik und Melodie gewesen wäre, aber nach deutscher Art ließ ich mir durch sein gutes Französisch, das ja nun freilich sein Verdienst nicht war, doch imponieren, und das vermehrte meine Abneigung. Ich nannte ihn für mich den Kasper, um ihn vor mir herabzusetzen. Er verstand, obwohl er sich vorgesetzt hatte zu studieren, viel von der Landwirtschaft und war, wie seine Mutter angab, ein großer Blumenliebhaber und -züchter. Ich traute ihm höchstens das letztere zu. Madame Leroy hatte mir gestattet, Rosen zu pflücken, soviel ich wollte, wovon ich auch Gebrauch machte; denn die Rosen liebte ich von jeher über alles wegen des himmlischen Überflusses, den sie in Form, Farbe und Duft verschwenden.

      Doch nahm sich Gaspard heraus, mir einige Knospen an Sträuchern, die ihm zu gehören schienen, zu verbieten, da er sie zu einem Hochzeitsstrauß für seine Schwester verwenden wolle. Von diesen blühte die eine dicht unter seinem Fenster; und da ich am Vorabend der Hochzeit dort vorbeiging und ihn am geschlossenen Fenster stehen sah, reizte es mich, ihn dadurch zu necken, daß ich ihn ansah und gleichzeitig eine Hand nach der Rose ausstreckte, als ob ich sie brechen wollte. In demselben Augenblicke stieß das Ungeheuer eine geballte Faust mitten durch die Glasscheibe und pflückte mit der blutenden Hand die Knospe, bevor ich sie hätte nehmen können, wenn ich überhaupt wirklich gewollt hätte. Der Anblick des fließenden Blutes war für mich zu angreifend, als daß ich den Kasper hätte auslachen können; ich war im Grunde erschreckt und sagte mit ärgerlichem Vorwurf, daß ich ihn nur hätte necken wollen. Worauf er nichts erwiderte, die zerbrochene Scheibe vollends aushob und seine Wunde verband. Seine Mutter fragte nach dem Fenster, als er aber sagte, es sei durch seine Schuld zerbrochen, mischte sie sich nicht weiter hinein und ließ ihn für die Wiederherstellung sorgen. Ich legte es ihr als Schwäche und Torheit aus, daß sie nicht eine nachdrückliche Prügelstrafe über ihn verhängte. Er schien übrigens sehr streng und methodisch erzogen zu sein, denn er war so ordentlich, pünktlich, fleißig, kurz ganz voll Tugend, daß es mir ekelte. Öfters betrachtete ich mit besonderem Widerwillen seine Hände, welche unleugbar etwas Niedliches, kindlich Täppisches hatten, dabei aber eine unbändige Kraft in ihrer Bildung verrieten. Er war mir ungemein zuwider. Ezard hatte eine ausgesprochene Vorliebe für ihn, was meinen Grimm nicht unerheblich verstärkte, obwohl ich mir einredete, der Bube verdanke diese Zuneigung nur seiner Verwandtschaft mit Lucile. Diese, die ich bei uns fast immer meisternd, besserwissend und ihrer Sache sicher gesehen hatte, schien an diesem Früchtchen, ihrem Bruder, wenig auszusetzen zu haben, vielmehr erkundigte sie sich nach seinem Tun und Treiben und seinen Zukunftsplänen, als ob er der ältere und reifere wäre, kurz, behandelte ihn mehr wie ihresgleichen als mich. Wenn sie ihn nun vollends bei der Ausübung seiner religiösen Pflichten betraf, womit er es ebenso genau nahm wie mit der Blumenzucht, bemächtigte sich ihrer eine peinliche Scheu, und ich sagte zu mir selbst: Wahrscheinlich würde dieser Unhold sie mit seinen klumpigen Fäusten prügeln, wenn er wüßte, daß sie eine Abtrünnige ist.

      Die Trauung wurde in der kleinen Kirche des Dorfes vorgenommen. Wie wir nun alle so feierlich und gemessen den geheiligten Raum betraten, überkam mich doch ein beklemmendes Gefühl, daß wir eine Komödie aufführten, denn keines von den Brautleuten gehörte dem katholischen Glauben an. Von meinen Eltern wußte ich wohl, daß sie gar nicht daran dachten; Ezards schönes Menschentum schien an jedem heiligen Orte am rechten Platze zu sein, wäre es nun ein griechischer Säulentempel, ein germanischer Hain oder eine bunte Heiligenkapelle gewesen, und ich bin überzeugt, daß an diesem Tage keiner der Anwesenden so im tiefsten Sinne fromm war wie er, obschon er eine positive Religion nicht bekannte; völlig unverständlich war mir nur Lucile, die darauf beharrte, einen katholischen und einen protestantischen Gott zu unterscheiden und nun doch den einen oder den andern verriet. Man sah ihr aber wohl an, daß ihr im Grunde alle Götter der Christen- und Heidenheit einerlei waren neben ihrem Idol, meinem Vetter, und ich mußte für mich lächeln und dachte: sie wird sich schon vor ihrem himmlischen Vater zu rechtfertigen wissen, die Sophistin.

      Da ich gar keine zusagende Gesellschaft hatte, verlegte ich mich aufs Beobachten und beobachtete umso schärfer, als ich selbst in diesem Kreise so wenig Verständnis für meine Person fand. Ich sagte zu mir, diese Leute sind Landleute, und daraus lassen sie sich erklären. Der Bauer ist Abkomme geknechteter Väter, und jetzt noch front er der strengen Mutter Erde. Er sieht das Leben als eine Pflicht an, die man ernsthaft vollführen muß. Glück und frevelhaften Übermut kann er nicht unterscheiden. Und die heiteren Menschen, die das Haupt mit Lachen in den goldenen Himmel tauchen, betrachtet er mit Mißtrauen als Narren oder Taugenichtse. Oder aber, wenn er sich unter die andern mischen und ihnen gleichen will, so verliert er sich selbst, und mit den andern kann er nicht fort. Für Leute der letzteren Art war mir Lucile ein Beispiel, ihr Bruder für die ersteren. Das einzige, was ich mir nicht ganz erklären konnte, war, daß meine schöne Mutter sich in diesem Lebenskreise so wohl und heimisch fühlte. Denn als wir andern am Tage nach der Hochzeit uns verabschiedeten, zog sie es vor, noch auf einige Zeit als Gast dort zu verweilen. Sie saß den ganzen Tag unter den Weinlauben und Rosen, und dahin paßte sie auch freilich, als ob sie eben da aus dem Boden gesproßt wäre. Madame Leroy und ihr Sohn Gaspard nicht minder behandelten sie wie eine wunderbare Tropenpflanze, die sich in ihre Spelzfelder verirrt hätte; und Pflanzen hielten sie unnütze Lieblichkeit zu gute, schienen sich ihrer sogar zu erfreuen. Noch sehe ich sie vor mir, meine Mutter, wie sie in einer sich herbstlich färbenden Laube saß, den Schoß voller Früchte und schwellende Trauben dicht über ihrem lockigen Haupte; wie sie die kräftigen weißen Zähne langsam in den roten Pelz eines überreifen Pfirsich senkte, den Duft mehr als den Geschmack genießend. So sah ich sie, als ich Abschied von ihr nahm. Sie hielt mich fest und wollte mir alle Taschen mit ihren Früchten füllen, aber ich wehrte mich lachend, und die gelben und roten Äpfel und die Pflaumen und Aprikosen rollten vor unsere Füße. Ich schwur mir in dem Augenblicke, so schön und glücklich sollte meine Mutter immer bleiben; nie mehr wenigstens sollte ein Kummer um mich dies blühende Antlitz beschleichen. Aber das hatte ich am nächsten Tage vergessen.

      IX

       Inhaltsverzeichnis

      Ich trieb mich nun des weiteren auf den Universitäten herum, und meine Vorstellung von der Jurisprudenz war noch immer die von einer Arznei, die einmal geschluckt werden muß, die man sich aber in eine gebackene Zwetsche wickelt, worauf sie glatter hinuntergeht (aber auch weniger wirkt). Etwas Rechtes wurde ich doch einmal, weil ich zu den Ursleuen gehörte; ich brauchte mich nur hinzustellen und wie ein Schlaraffe das Maul aufzusperren, dann würde es schon hineingeflogen kommen. Ich dachte, ich würde mir ein schlechtes Zeugnis ausstellen, wenn ich arbeitete und schwitzte. Nur störte es mich, wenn mein Vater zuweilen schrieb, seine Geschäfte gingen nicht gut, ich möchte weniger verausgaben und mehr studieren. Mein Vater hatte leicht ein Pathos in seiner Rede, welches mich immer sehr erschütterte und zu bewunderungswürdigen Versprechungen und Plänen hinriß. Aber ich vergeudete nach wie vor das Geld zu den unsinnigsten und verwerflichsten Zwecken, wobei ich noch dazu das Verschwendertum in eine poetische Beleuchtung zu setzen wußte und mir dabei gar nicht übel gefiel. Es ist freilich gewiß wahr, daß ich mich damals im Allerinnersten unsäglich unglücklich fühlte, und sowie ich einen Augenblick Atem schöpfte und mich bedachte, beschlich mich eine fürchterliche Trostlosigkeit, daß es mir oft vorkam, als müßten mir die Zähne klappern vor seelischem Froste. Aber deswegen fing ich doch kein anderes Leben an; ich hatte nicht einmal die Ausdauer ein schönes Buch zu lesen, was ich als Knabe mit verfrühter Leidenschaft, aber doch auch mit Verständnis so gern getan hatte. Ich schmollte mit dem Schicksal, daß es mir nicht mehr Reichtümer zur Verfügung gestellt hatte; denn auf deren Mangel schob ich alles Elend. Es kam mir nie in den Sinn, frisch und fröhlich zu arbeiten und zu sparen; aber daß ich insgeheim die Verpflichtung dazu und daneben die Unfähigkeit ihr nachzukommen fühlte, das war es eigentlich, was mich so unglücklich machte.

      Indessen arbeitete mein Vater unablässig, um uns die Mittel zu unserer behaglichen Lebensweise zu verschaffen, aber endgültig rettende Erfolge hatten seine Anstrengungen nie mehr. Das hätte ich nun wohl, so wenig ich auch vom Kaufmännischen verstand, bemerken können, aber ich kam meinem Vater in seinem Bestreben, den traurigen Stand der Dinge vor


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