Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren . Ricarda Huch

Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren  - Ricarda Huch


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das sich in ihrem Hause auftat.

      Lucile war eine sehr reizvolle Braut. Das unablässige Strahlenspiel ihrer großen, glänzenden Augen zu sehen, war mein besonderes Vergnügen. Ihre Zunge war noch geläufiger als sonst, hingegen verfiel sie nun auch manchmal in eine träumerische Schweigsamkeit, die man vorher nie an ihr beobachtet hatte. Gegen ihren Verlobten war sie bald schelmisch und spröde, bald hingebend, anziehend und abstoßend zugleich. Sie liebte ihn, wie ein jeder bemerken konnte, über alle Maßen, aber sie schien sich Mühe zu geben, mit der Äußerung dieses Empfindens zurückzuhalten, als wolle sie die Würde der eigenen Persönlichkeit wahren.

      Galeide verriet in ihrem schwermütigen Wesen, wie schwer es ihr wurde, Lucile zu verlieren; denn es war ihr, als ob es nun gleich nichts mehr wäre, da sie sie nicht mehr allein hatte. Sie hatte eine Art, die Menschen, die sie lieb hatte und die ihr gefielen, mit ihrer Zuneigung wie mit einem starken Magneten an sich zu ziehen und für sich zu haben. Sie verfuhr mit ihnen ungefähr so, wie sie es von ihren Tieren her gewohnt war, die sie dermaßen pflegte und verzärtelte, daß sie zuletzt gar nicht mehr ohne sie sein konnten und rein verderben mußten, wenn sie die Hand von ihnen abzog. Ich sage ihr das nicht als etwas Böses nach, es war ihre Natur, und sie handelte aus ihrem gedankenlosen unersättlichen Herzen heraus. Damals freilich war sie noch ein Kind, und für ihre Beute Lucile hatte es einen stärkeren Magneten gegeben. Immerhin war Lucile, unähnlich manchen von der Liebe ganz überwältigten und hypnotisierten Bräuten, nach wie vor von großer Zärtlichkeit für meine Schwester. Sie sagte einmal in meiner Gegenwart zu Ezard: »Wenn ich du wäre, so hätte ich Galeiden geliebt; es ist gut, daß du nicht weißt, wie wohl es tut, sie zu küssen.« Was denn in der Tat gut war, denn Lucile hätte dabei nicht so großmütig entsagend zugesehen, wie sie sich vom sicheren Port aus eingeredet hatte.

      Onkel Harre suchte dem unerwünschten Verlöbnis dadurch einen Stein in den Weg zu legen, daß er von Lucile verlangte, sie müsse den protestantischen Glauben annehmen, obwohl er selbst unbedenklich eine Türkin geheiratet hätte, wenn es ihn gelüstet hätte. Ezard erklärte zwar, daß er an Lucile festhalten werde, welcher Kirche sie auch immer angehöre, aber er sah ein, daß es der Kinder wegen zuträglicher wäre, wenn sie protestantisch würde, und es war ihm wohl auch ein lieber Reiz, zu prüfen, ob sie ihm etwas recht Großes zuliebe tun könnte. Es setzte nun jedermann in Erstaunen, wie rasch sich Lucile zu diesem Schritt bereit erklärte. Das Verstandesmäßige im protestantischen Glauben mochte ihr zusagen; ich bemerkte aber, daß sie überhaupt gar nicht im stande war, eine Überzeugung, mit der sie in ihrer Umgebung allein stand, auf die Dauer festzuhalten. Während sie einen Grundsatz fortwährend in beredtester Weise verteidigte, wurde er unmerklich an den gegnerischen so abgeschliffen, daß er ihr entfremdet war, wenn sie ihn einmal wieder prüfend betrachtete. Sie hielt aber immer den Schein aufrecht und glaubte auch selbst, daß sie durch verständiges Erfassen der protestantischen Lehre von der Richtigkeit derselben überzeugt worden sei und einzig deswegen übertrete. Im Grunde wollte sie sich nur in ganz denselben Formen bewegen, in denen Ezard lebte. Der Urgroßvater, welcher Lucile längst nicht mehr leiden mochte, stellte leichthin, aber nicht ohne Bosheit, die Behauptung auf, es ließe sich begreifen, daß einer von der protestantischen zur katholischen Religion übergehe, nicht aber das Umgekehrte. Lucile errötete und sagte eifrig: »Wie die Menschheit vom Katholizismus zum Protestantismus gekommen ist, so ist dieser Weg auch für den einzelnen der richtige. Von kindlicher, unüberlegter Gläubigkeit schreitet man fort zur Forschung und zum geläuterten, bewußten Erkennen. Mir scheint das Umgekehrte den Rückschritt zu bedeuten.«

      Galeide wiegte sich während dieses Gespräches in einem großen, grünen Schaukelstuhle, der in einer nur halb beleuchteten Ecke des Zimmers stand. »Aber warum streitet ihr?« sagte sie schläfrig; »man tritt einfach zum Glauben des Mannes oder der Frau über, um heiraten zu können.«

      »Du Heidenkind,« rief Mama und lachte, »sag das niemals laut in Gesellschaft! Unter gebildeten Leuten hat man seine Überzeugung.« - »So?« entgegnete Galeide, »aber wenn ich nun ein Hindu werden wollte, würdet ihr mich doch nicht lassen.« Sie sah, indem sie dies sagte, so lieblich herausfordernd aus, daß ich einmal begriff, wenn einer sie hätte beim Kopf nehmen und recht gründlich küssen mögen.

      Unterdessen neckte Ezard seine Braut, da er der unschuldigen und richtigen Meinung war, sie habe den Übertritt in erster Linie um seinetwillen vorgenommen und bedacht, daß der Unterschied zwischen protestantischem und katholischem Glauben nicht groß genug sei, um einen Gott in der Beurteilung von Menschenseelen zu beeinflussen; sie suche es nun aber nachträglich sich und andern als eine Folge ihrer klügeren Einsicht darzustellen, etwa um ihrer Würde als Erzieherin nichts zu vergeben. Als er aber sah, mit welcher Empfindlichkeit sie es aufnahm, wurde er traurig und sagte sehr freundlich zu ihr: »Nun, dann ist es ein Glück, daß deine Überzeugungen dir ermöglichen, einen Schritt zu tun, der meinen Vater mit so viel Freude und Dankbarkeit erfüllt.«

      Lucile mochte durch seine Zartheit beschämt sein, denn sie legte plötzlich eine freiwillige Hingebung an den Tag, die bei ihrer vorherrschenden Herbheit wohl etwas Bezauberndes für den hatte, dem sie galt. So schienen sie nach jenem Streite verliebter und glücklicher als zuvor.

      Der Urgroßvater sagte nachher zu mir: »Wenn man Lucile reden hört, so erfährt man reichlich, was sie sein möchte, und das ist etwas Außerordentliches; was sie in Wirklichkeit ist, wird man vielleicht später erfahren, vielleicht aber nie, wenn sie nämlich überhaupt gar nichts ist. Das kann bei den Leuten leicht vorkommen, die allzuviel aus sich machen wollen.«

      VIII

       Inhaltsverzeichnis

      Lucile hatte eine Mutter und einen jüngeren Bruder. Vor diesen verheimlichte sie ihren Übertritt zur protestantischen Religion, was sie zwar selbst für tadelnswert hielt, aber sie hatte den Mut nicht, sich den Vorwürfen ihrer Familie auszusetzen. Sie war besonders reizend, wenn sie tief beschämt, daß sie so gar nicht ihren Grundsätzen entsprechend handelte, sich schwach und zaghaft entschuldigte, ohne daß irgend einer von uns ihr ihre Unfolgerichtigkeit vorgehalten hätte. Dies einzige Mal machte sie gar keinen Versuch, ihre Handlungsweise vor sich und andern geschmackvoll auszustaffieren.

      Einige Wochen vor der Hochzeit reiste sie nach Hause und nahm von Galeiden einen nahezu verzweiflungsvollen Abschied, da diese nicht zur Hochzeit kommen sollte. Das geschah weniger deshalb, weil Galeide noch zur Schule ging, denn meine Eltern waren darin gleichgültig und betrugen sich zuweilen, als ob das merkwürdige Kind Galeide schon mit allen Kenntnissen zur Welt gekommen wäre, die andere Menschen mühselig im Laufe des Lebens erlernen müssen; aber sie fürchteten, daß sie sich zu sehr aufregen würde, wie denn meine Mama überhaupt ihr wildschmerzliches Gebaren um Luciles Verlust ungern mit ansah, wohl auch ein weniges eifersüchtig war. Überdem wollte der Urgroßvater, welcher vorgab, daß ihm die Reise in die Schweiz zu weit sei, Galeiden bei sich behalten. Ich meinerseits wäre am liebsten bei meinen Kumpanen auf der Universität geblieben, denn die Zeiten waren leider vorbei, wo mir der Name Schweiz das Herz mit Entzücken bewegte, indessen weil es Ezard anging, trug ich eine Teilnahme zur Schau, die eigentlich nichts war als Pietät für meinen ehemaligen besseren Menschen.

      Die Mutter Luciles hatte ein nettes reines Häuschen inmitten einer ziemlich ausgedehnten Region bebauten Landes, von dessen Ertrag sie lebte. Sie besaß auch einen kleinen Weinberg und hantierte tüchtig darin herum, war aber in ihrem Äußeren keineswegs eine Bäuerin nach unseren Begriffen. Sie trat mit Sicherheit auf und redete neben ihrem Französischen auch ein wenig Deutsch; in der glänzendsten Gesellschaft hätte sie sich nicht unbehaglich gefühlt. Meine Mama fand hier reichliche Nahrung für ihren empfänglichen Sinn und legte unerwarteterweise ein großes Wohlgefallen für die Landwirtschaft an den Tag, von der sie gar nichts verstand. Sie ließ sich von der Madame Leroy unermüdlich überall herumführen und versetzte uns in die glücklichste Laune, wenn sie uns nun ihrerseits durch die Stallungen und Felder begleitete und die üblichen berufsmäßigen Ausdrücke, die sie eben zum ersten Male gehört hatte, mit wichtiger Miene wieder bei uns anbrachte.

      Mir blieb nicht viel übrig, als mich an den jungen Gaspard zu halten; der mochte etwa zwölf Jahre alt sein,


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