Michael Unger . Ricarda Huch

Michael Unger  - Ricarda Huch


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mich die Angst, du könntest nicht gekommen sein.«

      Unterdessen deckte Roses Wirtin einen schmalen hölzernen Tisch im Garten unter Bäumen, denn es war schon Nachmittag. Rose und Michael spürten nun auch, daß sie Hunger hatten, und aßen mit großem Vergnügen, während die Bäuerin ab und zu ging und sie bediente. Sie war eine große breite Frau von würdevoller Haltung und ebensolchen Bewegungen und mit dem Kopf einer altdeutschen Königin: auf dem glatten Haar, das sie in der Mitte gescheitelt und über die Schläfen heruntergekämmt trug, hätte man einen schweren Goldreifen voll bunter Edelsteine sitzen sehen mögen. Sie hatte kluge Augen unter stolzen Brauen und eine starke, gebogene, aber nicht unweibliche Nase; es war ihr anzusehen, daß sie mehr tatkräftig, ordnend und umsichtig als weichherzig war, doch zeigte ihr freundlicher Blick, daß man sie auch nicht ungütig nennen konnte.

      In Abwesenheit der Frau erzählte Rose von ihrer Tüchtigkeit, da sie das große Gut allein auf das vortrefflichste bewirtschaftete; denn ihr Mann, ein arbeitsscheuer, trunksüchtiger Mensch, beeinträchtigte sie mehr, als daß er sie unterstützte. Sie hatte aus einer ersten Ehe eine erwachsene Tochter und einen kränklichen, an der Krücke hinkenden Sohn, welcher der Gegenstand geheimer häuslicher Ärgernisse und Zwistigkeiten war. Die Frau nämlich wollte hauptsächlich diesen Kindern, die schon von ihres verstorbenen Vaters Seite Vermögen hatten, den Ertrag ihrer Arbeit zuwenden, besonders dem Sohne, der seiner hinfälligen Gesundheit wegen ungünstig im Leben gestellt war; ihr zweiter Mann hingegen, und hauptsächlich dessen Mutter, verlangten, daß alles in der zweiten Ehe Erworbene dem in derselben erzeugten Kinde zufiele, von dem sie behaupteten, daß seine Mutter es benachteilige, ja nicht einmal liebhabe. Dies, meinte Rose, sei unwahr, eigentlich unmöglich, da das Kind, eben der kleine Knabe, den sie gemalt hatte, zu liebreizend sei, als daß man es nicht liebhaben könne; doch müsse sie sich freilich der Kinder des ersten Mannes, die der zweite und seine Mutter ungern sähen, besonders annehmen, und der Junge hatte infolge seiner Schwächlichkeit stets ihrer Pflege und Sorgfalt mehr als die anderen bedurft. Es sei zum Weinen wie zum Lachen, sagte Rose, daß diese Leute, aufgewachsen inmitten der Unschuld der Natur, und jahraus jahrein nur mit den geduldigen, stillzufriedenen Tieren und den im ruhigen Kreislauf blühenden und fruchttragenden Pflanzen beschäftigt, für nichts anderes Sinn hätten, als für Geld und Erwerb. Auch für die Bäuerin war das Geldverdienen eine Leidenschaft, doch war sie nicht kleinlich, und ihre Zuneigung, wie sie solche zu Rose hatte, drückte sie nicht selten in großartiger Uneigennützigkeit aus.

      Sie luden die Frau ein, sich zu ihnen zu setzen, und Rose sagte: »Nicht wahr, Frau Gundel, ich schelte oft mit Ihnen, daß Sie so viel Aufhebens vom Gelde machen, anstatt des schönen Lebens, das jeder Tag hier bringt, von Herzen froh zu werden.«

      »Das Fräulein kann freilich kaum einen Taler von einem Groschen unterscheiden«, sagte die Bäuerin und lachte; »uns, die wir von frühauf die harte Erde graben, liegt das im Blut. Es ist gewiß schön, nur so den Blumen und Tieren und Kindern zuzusehen und Bilder daraus zu machen; das Fräulein weiß aber nicht, wie es ist, wenn man das alles hat und in Ordnung halten muß, und wenn man denkt, daß die Kinder vielleicht einmal allein in der falschen Welt unter fremden, bösen Leuten zurückbleiben, die keinen Zwetschenkern für sie übrig hätten, im Fall sie es hungerte.« – »Ich glaube, die Welt ist weder so falsch, noch sind die Menschen so böse, wie Sie meinen«, sagte Rose. Die Bäuerin ließ nun ihre klugen Augen langsam zwischen Michael und Rose hin und her gehen und sagte freundlich: »Wie Mann und Frau schauen Sie aus, Sie zwei!« worauf Michael nach einer kleinen Pause antwortete: »Wir möchten es einmal werden.«

      Als die Bäuerin fort war, sagte Michael: »Ich hätte das vielleicht nicht sagen sollen, aber ich glaubte, wir wären der Frau, die dir so zugetan ist, eine Erklärung unseres Verhältnisses schuldig.« Rose schwieg und nickte; sie blieben noch eine Weile unter den Bäumen sitzen und gingen dann zwischen den Wiesen spazieren, aber es hatte sich eine Schwermut auf sie gelegt, die sie nicht bannen konnten. Erst als die Sonne untergegangen war und es im Dorfe still wurde, kam ihnen die vorige Freude zurück. Es war rings kein Singen von Vögeln, kein Bellen von Hunden, kein Sprechen oder Lachen in den Häusern und Gärten, nur der Wind strich mit großem Flügelschlage über die bleichen Wege und die schwarzen, feuchten Äcker. Was singt er? fragten sie einander. Er singt: O Erde, du Liebesstern, du Leidensblume, du träumerische! Ich umschlinge dich und trage dich durch Schwärme von Sonnen, dein Antlitz ist schöner als alle. Als der Mond aufging, sahen sie sich lächelnd an und sagten langsam flüsternd, indem jedes einen Arm zu dem Gestirn emporreckte: »Mond, bleicher Engel, schütze uns vor Tränen!«

      Es fiel nun kein einziger trüber Schatten nieder in die Reihe der herrlichen Tage. Sie wanderten ziellos hierhin und dahin, von jedem Sonnenstrahl, wie von jedem Regentropfen beglückt. Am Sonntag gingen sie während des Gottesdienstes auf dem kleinen Friedhof spazieren, in dem die unförmige weiße Kirche lag: sie sah aus, wie von wilden Riesen flink in einer kurzen Nacht zusammengewälzt. Langsam gingen sie von einem Hügel zum andern und lasen die Inschriften der Kreuze unter dem singenden Gebrumm der Orgel; ein paar kleine Kinder krochen still zwischen den Gräbern umher. Als sie die Kirche umgangen hatten, blickten sie zu Michaels Überraschung in ein Tal, durch welches ein starker, hellgrüner Strom floß; der pyramidenförmige Schatten des Turmes, der darauf fiel, berührte das jenseitige Ufer. »Da können die Toten nachts hinuntersteigen und ans Meer fahren«, sagte Michael; sie sahen lange mit unbewußtem Lächeln in die Strömung und glühten vor Leben.

      Die Farben in der Luft und auf der Erde wurden um diese Zeit stärker und leuchtender, und die Wiesen, die vom Löwenzahn durchwachsen waren, zogen sich wie gelbe Flammen durch die Saatfelder hin. In den Bauerngärten hing die Wäsche an Stricken zwischen den blühenden Obstbäumen; rote und blaue Kinderschürzen, weiße Hemden, die sich langsam blähten, und lange, wehende Windeln; auf dem grünen Rasen lagen kirschrote Betten und Kissen zum Sonnen. Rose stand mit Entzücken vor allem, als wäre dies der erste Frühling aller Zeiten, der einzige, schönste, den je glückliche Augen sähen. Oft beugte sie sich zurück und atmete tief, und es schien, als wollte sie alles, was Glieder und Sinne könnten, in sich hineinziehen. »Ich möchte alles verschlingen, bis meine Seele voll wäre«, sagte sie. Er konnte sich nicht satt an ihr sehen; an der kindlichen Schwelgerei, die sich in ihren Zügen so offen aussprach, ebenso wenn sie die Wolken oder die Fluren bewunderte, wie wenn sie ganz bei ihm war und ihn ansah und küßte. Sie schien keine Unruhe, keinen Mangel, keinen Zweifel zu kennen; was sie tat und sagte, strömte in schweren Wellen aus einem goldenen Brunnen, fiel wie ausgereifte Früchte von einem sommerlichen Baume.

      Nur das wollte ihn zuweilen schmerzen, daß es ihm vorkam, als bedürfe sie seiner nicht durchaus zu ihrer Lebenswonne, als schöpfe sie Liebe, Übermut und Träumerei, Spielzeug und Bilder aus ihrer eigenen Seele, und er wäre nur der Kamerad, den sie mitspielen ließe. Äußerte er das, so erstarrte sie vor Verwunderung und Entrüstung und sagte inbrünstig: »Nur weil du schön bist, ist die Erde schön, nur weil ich dich liebe, liebe ich auch mich und die Welt!«; sie hatte vergessen, daß es auch, eh sie ihn kannte, Leben, Tätigkeit und Glück für sie gegeben hatte. Er machte sie lächelnd darauf aufmerksam, aber sie schüttelte den Kopf und ließ sich nicht irremachen. »Du weißt es ja nicht«, sagte sie. »Einst beglückte es mich, Schönes zu sehen und zu schaffen, was mir schön schien; jetzt bin ich selbst schön und schaffe mich selber, weil wir uns lieben.«

      Auch wenn er ihr von seiner Wissenschaft mitteilte, was ihn fesselte und bewegte, fühlte er sich durch ihre innige und stürmische Teilnahme bereichert. Sie hatte fast gar keine naturwissenschaftlichen Kenntnisse besessen und war immer der Meinung gewesen, sie könnten im unbefangenen Genusse der Natur nur stören. Nun sah sie ein, daß vielmehr jede Erscheinung, je besser sie sie kennenlernte, an Lebendigkeit gewann; es sei ihr zumute, sagte sie, als täten ihre verschwiegenen Lieblinge, deren Wesen sie nur ahnend erfaßt hätte, den Mund auf und erzählten ihre heimlichen Geschichten. Er glaubte, nie etwas Wunderbareres und Reizenderes gesehen zu haben als die Tiere auf dem großen Bilde, das sie gemalt hatte; obwohl mit feinster Beobachtung der Wirklichkeit gemalt, glichen sie doch olympischen Fabeltieren, Verwandlungen der Götter, dem Stier, der Europa entführte, dem Schwan, den Leda liebte. In ihrer heidnischen Majestät und Ruhe umgaben sie das Friedenskind mehr als ob sie es freiwillig beschützten, als daß seine überirdische Kraft sie zu bändigen schien. Das Kind war das Ebenbild des Söhnchens der Bäuerin aus


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