Michael Unger . Ricarda Huch

Michael Unger  - Ricarda Huch


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werden konnte; aber im Grunde war er ihr nie unsympathisch gewesen, und nun sie sich mehr mit ihm beschäftigte, fand sie sich ihm sogar in mancher Hinsicht verwandt. Auch näherte sie das einander, daß sie sich als Unglücksgefährten betrachten konnten, die ein wütendes Gestirn jählings aus ihrer Bahn geschleudert hatte. Im Grunde zwar kam Raphael erst jetzt recht zum Genusse seines Künstlerberufes; früher hatte er stets darunter gelitten, daß er keine Werke aufzuweisen hatte, da er doch den Künstlernamen führte, jetzt aber machten es ihm die widerwärtigen Verhältnisse unmöglich, etwas Handgreifliches zu leisten, und er konnte sich in den Stunden, die das Geschäft ihm freiließ, unbehelligt und ungekränkt als Dichter fühlen. Wie er selbst sein Poetentum zuversichtlicher als sonst betonte, fand er auch in weiteren Kreisen mehr Glauben; auch Verena neckte ihn nicht mehr, seit sie für sich selbst das große tüchtige Schaffen immer weiter hinausschob und sich mit dem Seifenblasenschimmer mühelos vorgespiegelter Möglichkeiten befreundete. Eine hübsche Gabe besaß Raphael wirklich: den Augenblick mit netten, launigen und auch empfindungsvollen Versen zu schmücken, besonders wenn Zuhörer da waren, denen er gefallen wollte und die seine Eitelkeit rege machten, und wenn der Wein und fröhliche Stimmung ihn angefeuert hatten.

      Ohne ihn mochte Verena bald nicht mehr in Gesellschaft erscheinen, denn seine anmutige Huldigung ersetzte ihr den Leuten gegenüber, daß ihr der Mann fehlte. Es schmeichelte ihr, daß der umworbene junge Mann sie sichtlich allen anderen vorzog, und von den jungen Mädchen, denen er flüchtig den Hof machte, immer wieder zu ihr zurückkehrte. Schließlich lag ein besonderer Reiz darin, sich der lockenden Süßigkeit, die zuzeiten von ihm ausströmte, hinzugeben, und doch sicher zu sein, daß sie ihn niemals lieben würde. Gefahren drohten ihnen keine, weder ihm von ihr noch ihr von ihm, dazu kannten sie einander zu genau; nur an der Oberfläche berührten sie sich mit schmeichelndem Gefühle. Begegneten sie sich auf einem Balle in einem Figurentanze, so legten sie ihre Hände mit ganz feinem Druck ineinander, und ihre Augen begrüßten sich mit einem zarten, liebgeheimen Verständnis, das in einem letzten Schleier, mochte er noch so dünn sein, verhüllt blieb. Ihre Seelen näherten sich einander in manchen Augenblicken, aber sie traten nie ganz über die Schwelle und wichen wie auf Verabredung geschwind wieder in das Innerste zurück.

      Raphael war nicht Verenas einziger Verehrer, es verstand sich von selbst, daß die schöne, von ihrem Manne preisgegebene junge Frau, die das Gesellschaftswesen mit solcher Leidenschaft betrieb, Männer aller Art an sich zog. Bei anderen Frauen konnte man etwa den Gatten beleidigen, junge Mädchen konnten durch Heiratspläne gefährlich werden, bei Verena hingegen wagte man nichts, als plötzlich einmal, wenn es ihre Laune wollte, übersehen und beiseite geworfen zu werden. Ihr den Hof zu machen, gestattete sie jedem, ja es war ein unersättlicher Hunger in ihr, den nur Schmeichelei stillte, die immer stärker werden mußte, je häufiger sich die Berauschung wiederholte. Wenn sie allein war, kamen Stunden, wo ihre stolze, hochfliegende Seele die Hände rang und zürnend zu ihr sagte: Ich leide! Siehst du denn nicht, wie ich leide? Du hast mich Hochgeborene auf den Markt gebracht und in die Sklaverei verkauft. Du gehst in gestickten Kleidern, und Toren und Gecken begaffen und betasten dich, und ich bücke meine Stirn in den Staub, ich, die ich nach den Höhen wollte und eine Krone suchte.

      Michael sah bei seinem nächsten Besuche mit Verwunderung den freundschaftlichen Verkehr, der sich zwischen seiner Frau und seinem Bruder angesponnen hatte, und so sehr ihn alles erfreute, was sie beschäftigte und gewissermaßen von ihm ableitete, konnte ihm doch nicht ganz wohl dabei werden. Das stattliche Haus lag im tiefen Schatten, und nichts, was darin vorging, konnte man mehr leichtnehmen. Er fühlte Verenas inneres Leiden lebhafter, als sie selbst es sich zugestand, und grübelte darüber, wie ihr eine Bahn zu eröffnen sei, wo sie ihre Talente üben und ihren Ehrgeiz befriedigen könnte. Das Nächstliegende mußte auch für ihn die Malerei sein, und obwohl er den Gegenstand scheute, fing er doch eines Tages davon an, indem er sie zu überreden suchte, daß sie jetzt ihre alten Pläne ausführte. Sie lächelte spöttisch und fragte, ob jetzt in seinen Augen nur Malerinnen liebenswerte oder achtenswerte Frauen wären. Er machte sie ruhig darauf aufmerksam, daß es von jeher, wie sie ihm früher oft gesagt hätte, ihr sehnlicher Wunsch gewesen sei, sich auszubilden, worauf sie rasch, um das Gespräch damit abzubrechen, entgegnete: »Das war früher, jetzt aber bist du deine Wege gegangen und solltest mich die meinen gehen lassen.« Michael sagte: »Als ich den neuen Weg einschlug, von dem du jetzt so bitter sprichst, billigtest du ihn und hast mich sogar darauf gefördert; hast du jetzt deine Ansicht geändert?«

      »Er hat dich weit von uns weggeführt«, sagte Verena, und sah ihm mit dunklem Blick ins Auge, »und ich fürchte anderswohin, als wo deine Frau dich gerne sehen könnte.«

      Michael wußte, daß das einmal zur Sprache kommen mußte, und obwohl er sichtlich erblaßte, blieb er in unveränderter Stellung auf seinem Platze sitzen und sagte: »Ich habe Rose wiedergesehen und liebe sie so wie damals. Das ist ein Unglück für uns beide, aber kein schlimmeres, als sehr viele Menschen trifft, und wir sind eher in der Lage, es zu ertragen als die meisten.«

      »Wenn es ein Unglück für dich und mich ist«, sagte Verena scharf, »warum sahest du sie denn wieder, wodurch es doch noch vergrößert wurde?«

      Es kostete Michael Mühe, zu antworten, doch bezwang er sich und sagte kurz: »Ich konnte nicht anders.«

      »Ich glaube freilich«, sagte Verena, »daß es dir leichter wird, das Unglück zu ertragen als den meisten Menschen, die mehr Pflichtgefühl haben als du.«

      In Michaels bleichem Gesicht glühten die Augen, die er fest auf sie richtete. »Das verantworte ich«, sagte er. »Mit dem Ertragenkönnen meinte ich, wie du wohl weißt, etwas anderes, nämlich, daß wir Unabhängigkeit, Geldmittel und Bildung genug haben, um uns geistigen Ersatz für verlorenes Glück verschaffen zu können. Mir hat sich ein reiches Leben eröffnet, seit ich das Studium ergriffen habe, und dasselbe ist für dich da, wenn du es dir nur aneignen willst.«

      Er war im Begriff, ihr von den Mädchen zu erzählen, die er kennengelernt hatte, die teils um einen Beruf auszuüben, teils nur um ihrem flatternden Leben eine Grundlage zu geben, studierten, und welche Befriedigung sie darin fanden. Aber im gleichen Augenblick fiel ihm ein, wenn sie nun sagen würde: »Ja, das möchte ich!« was dann daraus entstehen würde? Sie konnte füglich sowohl mit Mario wie ohne ihn da leben, wo er war, und es ließ sich kaum anders denken, als daß sie eine solche Möglichkeit mit Ungeduld ergreifen würde. Was aber würde dann aus ihm, seiner einsamen Arbeit, seinem überschwenglichen Dasein, seinem freien Adlerhorst in den Bergen? Er verstummte unter dem Andrang quälender Gedanken und vermochte nicht, so lähmte ihn die plötzliche Aussicht, einen Übergang zu anderen Vorschlägen zu finden.

      Sie hatte anfangs gewartet, was er sagen würde, dann, da er so lange schwieg, sich in träumenden Gedanken verloren und fast vergessen, um was es sich handelte. Ihre schönen, traurigen Augen ruhten ernst und weich auf ihm, der ihr unbeweglich gegenübersaß, und nach einer Weile füllten sie sich mit Tränen. Ein furchtbares Angstgefühl erfaßte Michael, er glaubte es nicht länger ertragen zu können, sprang auf und ging rasch aus dem Zimmer und aus dem Hause, um bis zum Abend allein durch die Straßen zu hasten. Unbefreit kam er nach Hause und kämpfte die ganze Nacht mit guten und bösen Gedanken.

      Es stand ihm fest, daß er Verena die Hand zu allem bieten mußte, was ihr Befreiung und Befriedigung geben konnte. War es nicht grausam, nachdem er sie von seinem Herzen ausgeschlossen hatte, sie auch von dem neuen Geistesleben auszuschließen, in dem er sich sonnte? Und wenn ihm der Gedanke, sie könnte ihn zur Universität begleiten, so unerträglich, so tödlich war, so mußte er zweifeln, ob es wirklich die Arbeit, der Umgang mit Freunden, das Dehnen des Geistes war, das ihn so froh gemacht hatte. Dann war es vielmehr die neue Freiheit gewesen, das ungebändigte Leben, das Einssein mit Rose, auch wenn sie nicht bei ihm war.

      Am anderen Morgen sah er fahl und verstört aus, und die Stirn drückte ihm wie Blei auf die Augen. Sowie er mit Verena allein war, stellte er ihr vor, daß sie wahrscheinlich am ehesten durch das Studium irgendeiner Wissenschaft Genüge finden würde, wozu ihr scharfer Verstand sie vorwiegend befähigte. Er sprach trocken und erwähnte noch nichts davon, daß sie ihn begleiten könnte, doch setzte er ihr deutlich auseinander, wie er es meinte, und warum er es für besser halte als das Leben, das sie jetzt eingeschlagen hatte.

      Ihre erste


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