Die Romantik. Ricarda Huch

Die Romantik - Ricarda Huch


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Jedenfalls sah er hoffend und liebend in die Zukunft und faßte sein Verhältniß grade so metaphysisch auf wie ehemals das mit Sophie, wie aus den Strophen an Julie zu sehen ist:

      »Daß ich mit namenloser Freude

       Gefährte deines Lebens bin

       Und mich mit tiefgerührtem Sinn

       Am Wunder deiner Bildung weide –

      Daß wir auf's Innigste vermählt

       Und ich der Deine, du die Meine,

       Daß ich vor Allem nur die Eine

       Und diese Eine mich gewählt,

       Das danken wir dem süßen Wesen,

       Das sich uns liebevoll erlesen.«

      Damals, als Novalis die Arme nach dem Tode ausstreckte, umfing ihn das Leben; nun er den höchsten Kranz des Lebens dicht über seinen Locken wähnte, stand der Tod neben seinem Bette. Er fürchtete ihn jetzt. Er hatte Stimmungen gehabt, in deren einer er den schwermüthigen Ausspruch gethan hatte: »Leben ist eine Krankheit, ein leidenschaftliches Thun.« Aber es stammt doch auch der prächtige Vers von ihm:

      »Ruh' ist Göttern nur gegeben,

       Ihnen ziemt der Ueberfluß,

       Aber uns ist Handeln Leben,

       Macht zu üben nur Genuß.«

      Im Ganzen gehörte die Anhänglichkeit an das Leben mit zu seiner Frömmigkeit, da doch das Leben die einzige uns bekannte Form ist, in der wir uns entwickeln können. Und er war doch Künstler: Er lebte so gern im Lande der Sinne, wie er nach dem Bericht des Kreisamtmanns Just selbst sagte, wenn auch nicht in dem der Sinnlichkeit. Indessen zweifelte er doch nicht daran, daß, wie und wo immer es auch sein möge, jeder Mensch auch nach seinem körperlichen Tode dem Ziele seiner Vollkommenheit weiter nachstreben dürfe. Er glaubte, daß nichts geschehe, was nicht zu seinem Besten sei. Also wandte er, ein Sterbender, seine weichende Kraft dazu aus, gelassen und heiter zu sein und sich zu fügen. Er litt viel unter körperlichen Beängstigungen, und rührend ist es in seinem Tagebuch zu lesen, wie er dieser Angst beizukommen, ihr Wesen zu ergründen und mit Einsicht und gutem Willen zu überwinden sucht. Daß man bis zum Aeußersten seine Pflicht zu thun habe, war ihm selbstverständlich; man könnte sagen, ein angeborenes Schicklichkeitsgefühl habe ihn verhindert, sich gehen zu lassen. Ueber das Verhältniß von Glück und Pflicht hat er einmal etwas Schönes gesagt; nämlich der sogenannte Eudämonismus sei ein eigentlicher Unsinn: »In der That ist es keinem nachdenkenden Menschen in den Sinn gekommen, ein so flüchtiges Wesen wie Glückseligkeit zum höchsten Zweck, gleichsam also zum ersten Träger des geistigen Universums zu machen. Ebenso könnte man sagen, daß die Weltkörper auf Aether und Licht ruhten. Wo ein fester Punkt ist, da sammelt sich Aether und Licht von selbst und beginnt seinen himmlischen Reigen; wo Pflicht und Tugend – Analoga jener festen Punkte – sind, da wird jenes flüchtige Wesen von selbst ein- und ausströmen und jene kalten Regionen mit belebender Atmosphäre umgeben.«

      Ruhig richtete er sich für die Möglichkeit ein, daß der Wunsch seines Herzens sich erfülle und er demnächst Hochzeit mit Julien halten könne, zugleich aber auch für die andere, daß seine Krankheit es nicht gestatte; für welchen Fall er sich eine Reihe von Dingen vornahm, mit denen er sich beschäftigen, die er studiren wollte. Was ihm auch beschieden sei, er wollte es für seine Bildung nutzen. Sein schwarzes Geisterseherauge sah dem Lebensgange zu, den sein Genius ihm wählte, und beleuchtete den Weg mit sanft durchdringendem Licht. Ob es sich nicht doch mit Thränen füllte, als es erkannte, daß es der Weg des Todes war und nicht der der Liebe?

      Apollo und Dionysos.

       Inhaltsverzeichnis

      Die leise Besonnenheit des Apollo und

       die göttliche Trunkenheit des Dionysos.

       Friedr. Schlegel.

      Wissen ist des Glaubens Stern,

       Andacht alles Wissens Kern.

       Friedr. Schlegel.

      Die Romantiker waren die Entdecker des Unbewußten. Indiensuchende Träumer, sandten sie ihre Seele aus nach dem uralten Wunderlande, von dem die Märchen der Vorzeit erzählten. Düfte, Blumen, die abgerissen im Wasser flossen, verkündeten den einsamen Schiffern oft die Nähe der blühenden Küste. Wie Kolumbus, wußten sie nicht, was sie gefunden hatten. Denn nicht das entfernte Mittelalter oder irgend ein wunderbares Traumland war es, sondern in ihnen selbst öffnete sich das unendliche Nachbarland ihres Geistes, die entgegengesetzte Scheibe des beseelten Planeten, wie einer von ihnen die verhüllte Hälfte des mit sich selbst unbekannten Menschen nennt, hatte sich ihnen zugewendet.

      Im Jahre 1807 schrieb Ritter, nachdem er eine Somnambule beobachtet hatte, an Baader: »Eine Entdeckung von Wichtigkeit denke ich durch die eines passiven Bewußtseins, die des Unwillkürlichen, gemacht zu haben. Es wird durch Frage, Antwort erregt.… Hier neue Aufschlüsse in der Magie. Dann Theorie der Kraft der Phantasie. Alles Vorgestellte ist wirklich, eben deshalb aber hat es nur die Hälfte seiner Wirklichkeit, eine Halbwirklichkeit, für uns, gerade wie schon jeder Dritte uns doch nicht so wirklich ist, als wir uns selbst. Ferner hier Theorie des Gewissens, indem aktives Bewußtsein sich von passivem nur dadurch unterscheidet, daß dort die Frage mit der Antwort, und hier die bloße Antwort zum Bewußtsein kommt. Alle unsre reinen Handlungen sind somnambulistisch, Antwort auf Frage; wir die Frager. Jeder trägt selbst seine Somnambule bei sich und ist selbst der Magnetiseur von ihr. – Fall wo die Frage die Antwort selbst erräth, oder eigentlich die bewußte Unwillkürlichkeit selbst. Gott im Herzen.«

      Von dieser empirischen Entdeckung eines passiven Bewußtseins, das von dem sonnenwachen Bewußtsein verschieden und nicht mit dem Gehirn, sondern mit dem sogenannten sympathischen Nervensystem verbunden sein sollte, wußten die jungen Führer der Romantik noch nichts. Immer pflegt der Erfahrung ein blinder Prophet der Wahrheit vorauszugehen. Uebrigens war das Gefühl, daß dem Menschen zwei Seelen in der Brust wohnen, kaum jemals unbekannt, und jeder kann Beobachtungen über ihr Verhalten zu einander anstellen. Im Leben des Kindes giebt es eine kurze Epoche, wo es sich nur als Objekt empfindet und von sich in der dritten Person redet; es ist zum Selbstbewußtsein noch nicht erwacht. Allmälig lösen sich die beiden Seelen von einander ab und trennen sich immer mehr – ebenso wie sich die Menschheit in eine männliche und eine weibliche Hälfte spaltet –, woraus die heißen Kämpfe der reifenden Jugend zu erklären sind, von denen nur wenige Menschen garnichts erfahren. Nun stellt die wache, sehende Seele Gesetze und Ideale auf, denen die schwerfällige blinde nicht folgen kann, oder umgekehrt, das überschwängliche Gefühl der blinden drängt zu Thaten, denen die berechnende sich widersetzt. Wenn die Jugend zu Ende geht, wird der Zweikampf so oder so entschieden, häufiger durch Ueberwältigung der einen oder durch ein schwächliches Sichmiteinanderabfinden, als durch Versöhnung.

      In der Völkergeschichte wiederholt sich derselbe Vorgang. Kein Kampf ist im Innern der Thiere, wo der blinde Instinkt noch unangezweifelt herrscht; abgesehen von gewissen Hausthieren, in denen unter dem Einflusse der Menschen die ersten Keime des Selbstbewußtseins sich entfalten mögen. Auch bei den kulturlosen Völkern kann die schwache Stimme der Einsicht noch nichts ausrichten gegen die ungebändigte Wildheit des Instinkts. Der reine, harmonische Mensch des goldenen Zeitalters hat nie gelebt; eine optische Täuschung der menschlichen Phantasie versetzte ihn, wie den persönlichen, bewußten Gott, die beide am Ende aller Geschichte stehen, an ihren Anfang. Allerdings lebten die Griechen, wie wenn uns ein Vorbild gesetzt sein sollte, nach dem wir strebend uns zu richten hätten; hier herrscht eine innere Uebereinstimmung wie die zwischen Oedipus und Antigone: die kindliche Führerin schmiegt sich in vertraulichem Gehorsam an den blinden, weiseren Vater. Das Christenthum war die erste Auflehnung gegen die Tyrannis des Triebes. Das Bersten der Erde und das Zerreißen des Vorhangs im Tempel waren die ersten Vorzeichen der beginnenden Seelenschlacht im Menschen.

      Wie im Leben des Einzelnen Tage oder Jahre, wo er handelt und lebt, auf solche folgen, wo er sich auf sich selbst besinnt, wechseln auch die Zeiten in der Weltgeschichte


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