Die Romantik. Ricarda Huch

Die Romantik - Ricarda Huch


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das bisher verantwortungsfreie Geschöpf zunächst in Schuld verstrickt. »Ohne das Gesetz war die Sünde todt«, sagt Paulus. Wir ahnen den Riesenkampf, den der werdende Geist gegen die Natur wird kämpfen müssen, bis er ihr gleich und frei von ihr geworden ist. Wir vernehmen, daß das durch einen Menschen verlorene Paradies durch einen Menschen wiedergewonnen wird. Neben der tiefsten Herabwürdigung des Weibes in Eva steht, nach einem gelegentlichen Worte Baader's, ihre höchste Verherrlichung in Maria. Im Märchen ist es die Prinzessin, die den durch eine Hexe in einen Fisch oder Bären verwandelten Prinzen durch einen freiwilligen Liebeskuß erlöst.

      Die Romantiker hatten das Verdienst einzusehen, daß die Erkenntniß, die die Einheit der Natur zerstörte, dennoch ihr Heil und das Mittel zu einer Wiedervereinigung auf höherer Stufe ist. Das bedeutet wohl die flüchtige Notiz von Novalis: »Adam und Eva. Was durch eine Revolution bewirkt wurde, muß durch eine Revolution aufgehoben werden (Apfelbiß).«

      In einer dramatischen Dichtung Tieck's begegnet Zerbino dem Lieblingshelden der Romantik, Shakespeare. Auf seine Frage, was man auf Erden von ihm sage, antwortet Zerbino:

      »Nun, man hält dich für einen wilden, erhabenen Geist, der bloß die Natur studirt hat, sich ganz seiner Furie und Begeisterung überläßt und nun darauf los dichtet, was es giebt, gut und schlecht, erhaben und gemein durch einander.« Worauf Shakespeare antwortet:

      »Grüße deine Bekannten von mir und sag ihnen, daß sie sich irren. Verkündige ihnen, daß die Kunst immer meine Göttin war, die ich anbete.«

      Es war die Entgegnung des Romantikers auf die Lehre der Geniezeit, daß die Poesie eine Blume sei, die sich nur des Nachts erschließe und dufte. Nachdem eben die Einsicht gewonnen war, daß nicht die Gelehrten, sondern das Volk die schönsten Dichtungen hervorgebracht hatte, fing man an, die Produkte eines gebildeten und unterrichteten Menschen mit Mißtrauen zu betrachten. Nicht denken, nicht lernen, damit die Unschuld des Instinkts nicht zersetzt werde. Diesem kleinmüthigen Pessimismus, der dem Kulturmenschen nur die Wahl lassen wollte, entweder sein stolzes Erbe der Jahrhunderte oder die Kraft der Kunst aufzuopfern, schleuderte Novalis mit revolutionärem Uebermuth die Frage zu: Kann man Genie lernen? um sie zu bejahen.

      »Kann man Genie sein und werden wollen? So mit dem Witz, dem Glauben, der Religion u. s. w. Es hat in Beziehung auf das Genie bisher beinahe das Prädestinationssystem geherrscht. Die zum Theil wahre Beobachtung liegt zu Grunde, daß der Wille Anfangs ungeschickt wirkt und das Naturspiel stört – Affektation – und einen unangenehmen Eindruck macht – im Anfang durch Theilung der Kraft – bei der Aufmerksamkeit – sich selbst untergräbt und aus mangelhaftem Reiz und mangelhafter Capacität das nicht zu leisten vermag, was er dunkel, instinktartig beabsichtigt.«

      Der vormalige lächerliche Aberglauben, Gelehrsamkeit könne Genie ersetzen, verwandelte sich in den frohen Glauben, daß Wissen dem Genie förderlich sei, an die Möglichkeit eines unendlichen Fortschritts in der Kunst. »Glaubt ihr nicht«, läßt Tieck seinen Dürer sagen, »daß es den künftigen Zeiten möglich sein wird, Sachen darzustellen und Geschichten und Erfindungen auszudrücken, auf eine Art, von der wir jetzt nicht einmal eine Vorstellung haben?«

      Gern sprachen die Romantiker von der absichtsvollen Weisheit des Dante, Cervantes und Shakespeare, die Friedrich Schlegel den Dreiklang der romantischen Poesie nannte. An Goethe's Meister hob er hauptsächlich hervor »die geheimen Absichten, die er im Stillen verfolgte, und deren wir beim Genius, dessen Instinkt zu Willkür geworden ist, nie zu viel voraussetzen können.«

      Unter den bildenden Künstlern war ein Liebling der Romantiker Leonardo da Vinci mit seiner überschauenden Intelligenz, mit seiner gewaltigen Phantasie, die sich dennoch unter die Leitung des grübelnden Kopfes beugte. »Uebrigens ist man bei Leonardo nicht in Gefahr, einen zu tiefen Sinn in seine Werke zu legen. Er dachte sich gewiß immer noch viel mehr, als er auszuführen im Stande war. Diese Ueberlegenheit des Verstandes über das ausübende Vermögen giebt er selbst als Kennzeichen des echten Künstlers an. Er hätte einer immer erneuten Jugend bedurft. Sein vieljähriges Leben war zu kurz für seine Gedanken, der Tod riß ihren labyrinthischen Faden ab. Bei ihm hielt das Streben nach Wahrheit mit dem Kunsttrieb nicht nur gleichen Schritt: beides hatte sich gegenseitig durchdrungen und war eins geworden. Sein Forschungsgeist war durchaus romantisch, bizarr und mit Poesie tingirt, und er verfolgte hinwieder die Forderungen der Kunst mit der Strenge der Wissenschaft oder der Pflicht.«

      Diese Stelle kommt in dem Gespräche Wilhelm's und Karoline's über die Gemälde vor, das sie für das Athenäum schrieben; vielleicht hatten sie die Anregung zu dieser Auffassung Leonardos aus Wackenroder's Herzensergießungen geschöpft, wo der Klosterbruder mit anbetendem Staunen vor dem ungeheuren Manne steht, der zugleich schaffen konnte und denken, was er schaffte. Diesem klaren Geiste stellt Wackenroder den phantastischen Maler Piero di Cosimo gegenüber und beschließt seine Betrachtungen mit den ahnungsvollen Worten:

      »Das Kunstgenie soll, wie ich meine, nur ein brauchbares Werkzeug sein, die ganze Natur in sich zu empfangen, und, mit dem Geiste des Menschen beseelt, in schöner Verwandlung wiederzugebären. Ist er aber aus innerem Instinkte und aus überflüssiger, wilder und üppiger Kraft ewig für sich in unruhiger Arbeit, so ist er nicht immer ein geschicktes Werkzeug, vielmehr möchte man dann ihn selber eine Art von Kunstwerk der Schöpfung nennen.«

      Man irrt sich, wenn man annimmt, es sei den Romantikern nur in unklarer Verworrenheit wohl gewesen; auf die sogenannten älteren wenigstens trifft das durchaus nicht zu. Novalis nennt es im Gegentheil Folge einer krankhaften Constitution, Einseitigkeit, daß das Genie bisher meistens ohne sein Wissen wirkte; der Mangel an Bewußtsein sei schuld, daß es immer nur glückliche Augenblicke hatte. »Das erste Genie, das sich selbst durchdrang«, sagt er, »fand hier den typischen Keim einer unendlichen Welt; es machte eine Entdeckung, welche die merkwürdigste der Weltgeschichte sein mußte, denn es beginnt damit eine ganz neue Epoche der Menschheit.« Das Wort »Mehr Licht«, das Goethe nicht gesprochen haben soll, war doch jedenfalls wie aus seinem, so auch aus dem Geiste seiner Jünger gesprochen. Es ist bezeichnend, daß Novalis einen Traktat vom Lichte zu schreiben beabsichtigte. »Licht ist Symbol der echten Besonnenheit«, sagt er einmal. »Also ist Licht, der Analogie nach, Aktion der Selbstberührung der Materie. Der Tag ist also das Bewußtsein des Wandelsternes, und während die Sonne wie ein Gott in ewiger Selbstthätigkeit die Mitte beseelt, thut ein Planet nach dem andern auf längere oder kürzere Zeit das eine Auge zu und erquickt in kühlem Schlafe sich zu neuem Leben und Anschauen. Also auch hier Religion. Denn ist das Leben der Planeten etwas Andres als Sonnendienst?«

      Schelling sah im Licht und in der Schwere die Urdualität der Natur; wenn man also »den Zauberstab der Analogie« gebraucht, müßte man, wie dem Licht das Bewußtsein, der Schwere den dunkeln Trieb, das Unbewußte gleichsetzen.

      Empfindet man nicht auch eine Leidenschaft, der man trotz allen Ringens nicht Herr werden kann, als Schwere in sich? Im Gegensatze zu den Sturm- und Drang-Menschen, die mit Vorliebe in der Gewitterschwüle der Leidenschaft athmeten und nur in ihren krampfhaften Aeußerungen Kraft sahen, feierten die Romantiker den elastischen Geist, der die unbändige Wildheit der Triebe gebändigt hat und lenkt.

      »Der Adel des Ich besteht in freier Erhebung über sich selbst – Laster ist eine ewig steigende Qual, Abhängigkeit vom Unwillkürlichen, Tugend ein ewig steigender Genuß, Unabhängigkeit vom Zufälligen.«

      Die geschmeidige Jünglingskraft des Novalis'schen Geistes ist in diesen Worten nicht zu verkennen; ein Geist, der wie David, furchtlos und fromm, ein künftiger König, den Riesen herausfordert. Es gab eine Zeit, wo man die gothischen Kathedralen, die mit einer Art von Raserei allen Naturgesetzen trotzen zu wollen schienen, barbarisch fand und Nichts gelten ließ als den kindlich an Hain und Wald geschmiegten griechischen Tempel. Aber die Romantiker verstanden den schaurigen Trotz, mit dem der mittelalterliche Geist, die Schwerkraft des Gesteins im Riesenauflauf überwindend, leicht und mächtig, titanenhaft gegen den Himmel anstürmt; ihr reizbares Ohr vernahm den steinernen Triumphschrei, die kolossale Herausforderung des Menschen an den alten Naturgott. Wie Goethe früher gethan hatte, verherrlichte Tieck den Straßburger Münster in seinem Sternbald: »Es ist zum Entsetzen, daß der Mensch aus Felsen und Abgründen sich einzeln die Steine hervorholt und nicht rastet und ruht, bis er diesen ungeheuren Springbrunnen von lauter Felsenmassen


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