Die Romantik. Ricarda Huch

Die Romantik - Ricarda Huch


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Selbstbewußtsein des Menschen reckt sich, die Löwennatur zu zähmen. Sieg über die Schwere ist seine Losung. Es ist kein Wunder, daß die Erfindung der Flugmaschine eines der Lieblingsprobleme der modernen Menschheit ist; eins von den vielen Beispielen moderner Phantastik, in der sich trockene Wissenschaft und Technik mit schwärmerischer Einbildungskraft mischen. Trieb in Kunst zu verwandeln, das Unbewußte in Wissen, war das Studium der Romantiker. Man könnte aus ihren Werken die interessantesten Zusammenstellungen darüber machen. Während Novalis tiefsinnige Andeutungen über die Kunst des Essens macht, lehrt Tieck, daß jede Tischunterhaltung ein Kunstwerk sein sollte, »das auf gehörige Art das Mahl accompagnirte und in richtigen Generalbaß mit ihm gesetzt würde.« Die Unterhaltung der Freunde im Phantasus, die wie Blumengewinde die verschiedenen Märchen und Erzählungen umrahmen und verknüpfen, bestehen hauptsächlich in Versuchen, sich über Instinkte klar zu werden und die unwillkürlichen Gefühle zu ergründen; wodurch dieses handlungslose Selbstgespräch so unerschöpflich und anziehend wird. Da wird über die »Tiefe und Innigkeit« des Geschmackes gesprochen, der Farbensinn behandelt: »Wie wundersam, sich nur in eine Farbe als bloße Farbe recht zu vertiefen. Wie kommt es denn, daß das helle ferne Blatt des Himmels unsre Sehnsucht erweckt, und des Abends Purpurroth uns rührt, ein helles goldenes Gelb uns trösten und beruhigen kann, und woher nur dieses unermüdete Entzücken an frischem Grün, an dem sich der Durst des Auges nie satt trinken mag?« Immer näher und näher schleicht der Dichter dem Abgrund des Unbewußten. eine schaurige Lust des Schwindels lockt ihn, sich ganz über den schwarzen Schlund zu beugen und den in Nebel wallenden Geburten und Gestalten zuzusehen, bis ihn ein unnennbares Gefühl von Angst aufschreckt und zurücktreibt. Das sieht man vor sich, wenn man ihn in seinen Schriften beobachtet. »Die Kunst hat diese Geheimnisse wohl unter ihren vielfarbigen Mantel genommen«, sagt er im Phantasus, »daher die wilde Verzweiflung in der Lust mancher bacchantischer Dichter. – So wollten wild schwärmende Corybanten und Priesterinnen ein Unbekanntes in Raserei entdecken, und alle Lust, die über die Grenze schweift, nippt von dem Kelch der Ambrosia, um Angst und Wuth mit der Freude laut tobend zu verwirren. Auch der Dichter wird noch einmal erscheinen, der dem Grausen und der wilden Sehnsucht mehr die Zungen löst.« Mit unmüdlicher Rüstigkeit und Frische bekämpft Baader den Jacobischen empfindsamen Satz, daß Denken dem Fühlen schade. Wenn Jacobi sagt: Der Gott, der gewußt werden könnte, wäre gar kein Gott, entgegnet Baader: der Gott, der ohne Gott gewußt werden könnte, wäre keiner; er erinnert daran, daß Christus nicht gesagt hat: ihr werdet die Wahrheit fühlen oder ahnen, sondern: ihr werdet sie erkennen. Er versucht eine Wissenschaft der Liebe zu begründen und unterscheidet die freie Zuneigung – Liebe – die vom Erkennen ausgeht, von der Leidenschaft, die, von einem Nichtgedachten ausgehend, ein unfreies Bewegtsein ist: »der Mensch weiß in diesem seinem blinden (finstern) Getriebensein nicht eigentlich, was er will und thut, und seine Bewegung ist insofern keine lebendige, weil sie nicht von seinem Innersten ausgeht.« Ganz ähnlich sagt Novalis: »Neigungen sind materiellen Ursprungs; Anziehungs- und Abstoßungskräfte sind hier wirksam. Die Neigungen machen uns zu Naturkräften. Sie perturbiren den Lauf des Menschen, und man kann von leidenschaftlichen Menschen im eigentlichsten Sinne sagen, daß sie fallen.« An Schlegel's Lucinde ist die Wachsamkeit und stete Gegenwärtigkeit des Dichters das Merkwürdigste, die ihm inmitten des Sinnenrausches ermöglicht, »mit kühler Besonnenheit auf jeden leisen Zug der Freude zu lauschen.«

      Wie die Liebe soll auch die Religion ein freies Geschöpf des Bewußtseins werden, und in Goethe's Bekenntnissen einer schönen Seele findet Schlegel diesen Grundsatz künstlerisch dargestellt. »Daß auch die Religion hier als angeborene Liebhaberei dargestellt wird, die sich durch sich selbst freien Spielraum schafft und stufenweise jede Kunst vollendet, stimmt vollkommen zu dem künstlerischen Genusse des Ganzen und es wird dadurch, wie an dem auffallendsten Beispiele gezeigt, daß er Alles so behandeln oder behandelt wissen möchte.« Daß der ganze Meister eigentlich nicht sowohl die Kunst behandelt als »die Kunst aller Künste, die Kunst zu leben«, hatte Friedrich Schlegel bewiesen und gerühmt. Sittlichkeit definirt Novalis als die Kunst, unter den Motiven zu Handlungen einer sittlichen Idee, einer Kunstidee a priori gemäß zu wählen und die Masse innerer und äußerer Handlungen zu einem idealischen Ganzen zu ordnen. »Nicht nur Mensch werden, ist eine Kunst«, hat er gesagt, sondern dieser unerschrockenste und zugleich feinste der romantischen Denker spricht sogar von einer Kunstlehre der Unsterblichkeit.

      Die ersten Romantiker haben denn auch unermüdlich gelernt und das Erlernte denkend zum Besitz ihres Bewußtseins zu machen gesucht, ja sie alle waren zugleich Kritiker der Kunst, die sie ausübten. Niemals glaubten sie, wie die modernen Künstler zu thun pflegen, sie würden die glückliche Kraft der Gesundheit des dunklen Instinktes dadurch wiederfinden, daß sie sich in's Dunkel der Unwissenheit versteckten. Hierin wie überhaupt war Herder ein Vorläufer der Romantik, der die Poesie Kultur zum Schönen nennt, die Bekanntschaft der neuen Poesie mit der Wissenschaft freudig begrüßt, weil sie dadurch an dem Fortschritt und Wachsthum des menschlichen Geistes theilnehmen werde, der zur besonnenen Nachahmung andrer Völker auffordert und als die Muse des bewunderten Briten die Reflexion bezeichnet Es ist bekannt, wie Goethe beinahe pedantisch seine Kenntnisse zu erweitern und Ordnung in dem, was er wußte, zu halten suchte, wie er sogar nach Mustern oder Ideen, ja zuweilen um Exempel zu statuiren, dichtete.

      Das aber haben Schiller und viele Andre auch gethan, und zwar gerade solche, deren ärgste Feinde die Romantiker waren. Wenn das Wissen und Bewußtwerden allein den Romantiker machte, wie wäre es möglich, daß sie mit gutem Gewissen den großen Krieg gegen die Aufklärung hätten führen können, daß jeder beim Worte Romantik an den geheimnißvollen lauschigen Wald des Märchens und der Sage denkt, in den sie die Menschen wieder eingeführt haben; daß in ihrem Gefolge der Zauber, die Magie, das Räthsel, die Sehnsucht – alle die verschleierten Gestalten des Unbewußten erscheinen? Das ist eben, was man niemals vergessen darf, daß das Bewußtsein des Romantikers mit dem Gehalte des Unbewußten erfüllt ist; das Thor, das die beiden Reiche trennte, ist nicht mehr geschlossen, sondern nur angelehnt, und langsam strömt das Licht von der einen Seite in die wallende Finsterniß, lösen sich von der andern Seite die dunklen Bildungen im Lichte auf. Baader führt einmal folgende Stelle aus einem alten Schriftsteller an: »Dieweil Studiren und Lernen eine Erweckung ist des, das in mir ist, nämlich, daß ich erkenne und gewahr werde des, das in mir ist und in allen Menschen verborgen liegt, denn das Himmlische und Irdische liegt in mir verborgen. Dannenhero auch die Platonici gesagt: discere esse reminisci.« Mit solchem Sicherinnern und Sichbesinnen war alles Lernen der Romantiker verbunden. Der unbewußte Mensch wird sich seines instinktiven Lebens nur dadurch bewußt, daß es wirkt; in ungestörter Stille reifen seine Gefühle heran, bis sie auf einmal als Handlungen an's Licht treten; sein Denken ist weißes Licht, erst durch das Prisma des Bewußtseins wird es in die Regenbogenfarben zerlegt. Dem bewußten Menschen, der seine Gefühle im Lichte zersetzt, fehlt leider oft die Formel, sie wieder ganz und lebendig zu machen, so daß man sagen kann: Der unbewußte Mensch hat die Gefühle, aber kennt sie nicht, der bewußte kennt sie zwar, aber hat sie nicht, der harmonische Zukunftsmensch hat und kennt sie.

      Man kann sich den Verkehr zwischen den beiden Welten etwa so vorstellen, als gäbe es eine Klappe, die die obere von der unteren trennte. Bei dem gemeinen Durchschnittsmenschen öffnet sich diese Klappe niemals von selbst, außer vielleicht im Traume. Es kann auch bei diesen Vieles und Großes sich unterirdisch entwickeln, aber es tritt nicht in's Bewußtsein, sondern setzt sich in Arbeit um. Es sind die einfachen, handelnden Menschen, die Arbeitsthiere, aber auch solche, die im Stande sind, heroische Thaten zu thun. Man könnte diesen den Bauern- oder den Römer-Typus nennen, oder einfach den männlichen. Als Nacht-Menschen könnte man sie bezeichnen, insofern sie unbewußt handeln, als Tag-Menschen, insofern ihr Bewußtsein der äußeren Welt nie durch Nebel aus dem Innern gestört wird; wenn man nicht unter Tag-Menschen diejenigen verstehen will, denen das Unterirdische überhaupt fehlt und die in Folge dessen in diese Betrachtung nicht gehören.

      Nun kommen die Menschen, bei denen die Klappe immer offen steht, oder eine Spalte ist darin. Es ist gerade, wie wenn ein Riß in einer Dampfmaschine wäre, die nicht arbeiten kann, weil der Dampf entweicht und keinen Druck mehr ausübt. Denn weil die Triebe, ehe sie sich ansammeln und bilden, in's Bewußtsein eintreten, können sie sich nicht in Handlung umsetzen und nach außen wirken. Dies ist der weibliche oder artistische Typus. Diese Menschen sind nicht groß durch ihre Handlungen, kaum giebt es überhaupt eine


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