Die Romantik. Ricarda Huch

Die Romantik - Ricarda Huch


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giebt«, sagt Baader, »die ahnend und träumend dem Gedanken vorangeht, so giebt es eine bessere Poesie, welche dem klaren Gedanken sich zugesellend, ihm dienend folgt.« Für diese werdende Poesie, die das Bewußtsein, langsam zwar und auf Irrwegen, der Vervollkommnung entgegenführt, giebt es den Naturzwang des Sinkens und Vergehens nicht, weil es keine Schranken des Fortschritts, der Weiterentwicklung für sie giebt. In Goethe's Erscheinung erblickte Schlegel eine Bürgschaft, daß die durch das Bewußtsein verlorene Schönheit mit Bewußtsein wieder gewonnen werden könne, und zwar als eine unvergängliche.

      Dieser Adler-Optimismus mit der Devise »Ascendam« macht die Romantik so ewig jung und herrlich. Sie zweifelten nicht, daß sie, wenn auch hundert Mal geblendet und gelähmt, ein Mal das Antlitz der Sonne berühren würden. Unerschütterlich war ihr Glaube, daß alle Gespenster und Schrecken der Mitternacht sich im Tageslichte in schöne Wirklichkeit verwandeln müßten, daß jeder Schmerz des Lebens nur auf einer Täuschung des noch umflorten Auges beruhe. Die moderne Phantasie denkt sich ihre Dichter nicht blind, wie die Alten den Homer und Demodokos. Schlegel erwähnt, es sei nach Pindar eine alte Sage, »daß der Dichter, wenn er auf dem Dreifuß der Musen sitze, nicht bei Sinnen sei, sondern wie eine Quelle alles Zuströmende willig von seinen Lippen fließen lasse.« Demokrit soll die besonnenen Dichter vom Parnaß verbannt haben. Und schließlich sagt der platonische Sokrates im Phädros: »Wer sich aber ohne Raserei der Musen der Pforte der Poesie nähert, in der Meinung, die Kunst allein könne ihn schon zum Dichter machen, der bleibt unvollständig und gelangt nicht in's Heiligthum; er und die Poesie des Nüchternen sind nichts gegen die Poesie des Rasenden.« Am ausdrücklichsten verräth die Auffassung der Griechen die Sage, daß Juno den Teiresias blind machte, ehe sie ihm die Gabe der Weissagung verlieh. Warum dies? Das Bewußtsein, das dem griechischen Dichter verhüllt werden mußte, wenn er singen sollte, war anders als das unsrige. Es war nur von der äußern Welt erfüllt. Er richtet sein Auge so unverwandt auf diese, daß es ihm gewaltsam nach innen gekehrt werden muß, damit es die zweite Hälfte der Welt, die innere, wahrnimmt. Der moderne Mensch, in dessen Bewußtsein das Unbewußte sich aufzulösen beginnt, ist von Natur der dionysische; auch nüchtern ewig berauscht von den betäubenden Dünsten, die durch die Spalte aus dem Zauberkessel des Erdinnern aufsteigend sein Haupt umschweben. Er muß Apollo anrufen, daß die Klarheit des Sonnengottes sein verworrenes Stammeln ordne. Eine Felsplatte bedeckte die verhängnißvolle Spalte im Innern des antiken Menschen; ungetrübte Lichthelle herrschte in seinem apollinischen Haupte. Er mußte zu Dionysos flehen, daß er mit der Kraft seines Götterrausches den Stein wegwälzte und die feste Erde erschütterte, bis die magische Geburt sich aus ihrem Schooße löste und nach oben stieg.

      Das Werk eines dionysischen Dichters wird sich durch Stimmung, Reichthum und Fülle auszeichnen, aber während man sich im Lesen an tausend Einzelheiten erfreut, wird man am Ende wunderlich enttäuscht sein; gegen das Ganze wird sich der etwaige Tadel richten. Der apollinische Dichter ist ärmer und kälter, aber er hat die Form in seiner Gewalt, und deshalb wird sein Werk die Herzen im ersten Augenblick weniger entzünden, aber es wird leben und dauern. Die Form ist das Organische und wird aus dem Unbewußten heraus geschaffen, die feinste Bildung und Fülle des Geistes kann sie nicht geben; der Körper muß aus dem Körperlichen geboren werden. In der Symbolik der griechischen Mythologie bedeutete Apollo die Einheit, Dionysos die Vielheit.

      In den südlichen Ländern folgen Tag und Nacht einander ohne Uebergang. Am Tage herrscht despotisch die ungemilderte Sonne, erst in der Nacht wagt sich das Leben hervor, Thiere und Menschen breiten ihr Gemüth vertrauensvoll gegen den verdunkelten Himmel aus. In den nördlicheren Breiten giebt es zahllose Uebergänge. Und selbst im heißesten Sommer ist der Tag doch die Zeit des Arbeitens und Wachens, der Schlaf fällt immer in die Nacht. Der Tag schmilzt allmälig in die Nacht hinüber, die Nacht in den Tag. In unsern Dämmerungsträumen können wir ahnen, wie es sein mag, wenn wir einst, wie Novalis sagt, immer zugleich schlafen und wachen. Wer die nordische Sommernacht kennt, wo sich zwei Meere von Sonnenschein und Mondschein gegenüberwogen, ohne daß eins im andern erlischt, kann sich vielleicht noch ein besseres Bild von diesem Mysterium machen.

      Das Zwielicht ist es, das den Norden zur Heimat der Romantik macht. Und die Gefahr des modernen Künstlers liegt darin, daß er, von der Dämmerung verzärtelt, den Tag nicht mehr ertragen kann. Er vergißt, daß rüstiges Schaffen nur am Tage möglich ist. Immer stärkungsbedürftig schließt er vor dem Tage die Augen im Wahne, daß dann Nacht sei. Aber die balsamischen Quellen des Sternenhimmels bethauen ihn nicht; schlaff und verdrossen erwacht er aus seiner künstlichen Nacht und findet sich unfähiger als zuvor.

      Wie die Nacht Trösterin und zugleich Entsetzen der Menschen ist, so ist es mit dem Unbewußten. Das Unbewußte ist das Dämonische. Man kann einen klassischen und einen modernen Dämonismus unterscheiden: der bewußte Mensch ist dämonisch, wenn das Unbewußte in ihm erscheint, der unbewußte, wenn es in ihm wirkt. Gewöhnlich nennt man nur den ersteren dämonisch, in dem das versunkene Rheingold, das bei andern Menschen ungesehen in der unzugänglichen Tiefe ruht, beständig in schwebender, schwankender Bewegung nach oben ist, so daß ein buntes Blitzen, Flimmern und Funkeln von Edelsteinen durch das wechselnde Gewässer der Seele zuckt; denn das dämonische Wesen der naiveren Menschen wird nicht erkannt, bis einmal aus ihrem immer ruhevollen, spiegelglatten Gemüthe unvorbereitet, ungeahnt eine beseligende oder vernichtende That springt, wie aus dem schlummernden Märchensee, wenn die Geisterstunde gekommen ist, der schleierlose Leib der Nixe glänzend hervorsteigt.

      Aus der Wechselwirkung zwischen dem Bewußten und Unbewußten entspringt die Magie. Rein theoretisch, durch die stürmische Consequenz seines Denkens, bestimmte Novalis das, was wir jetzt als Hypnotismus kennen. Das Beherrschtwerden des Unwillkürlichen durch das Bewußte war sein Dogma. Auch der bewußte Geist des Menschen hat seine körperliche Erscheinungsform, das Cerebralsystem, aber sein Wirken ist nicht an körperliche Vermittlung gebunden, sondern springt über, wie ein elektrischer Funke, auf andre Geister. »Alle geistige Berührung gleicht der Berührung eines Zauberstabes. Alles kann zum Zauberwerkzeug werden.« Baader führt einmal als Citat aus einem »übrigens possirlichen Schriftsteller« diese merkwürdigen Worte an: daß, wer nur des Geistes gering in sich hätte, um ihn auch in fremde Leiber spediren zu können, diese Leiber von innen heraus bewegen würde, wie seinen eigenen. – Was jetzt erfüllt ist, setzte Novalis als logisch nothwendig voraus und folgerte weiter, daß nichts als unsre eigene Schwäche und Unfertigkeit dieser Wirksamkeit des Geistes auf die Natur eine Schranke setze. Noch können wir weder unsre eigene Somnambule, noch die der Andern, noch die eine große Somnambule Natur völlig magnetisiren; aber er weissagt eine Periode der Magie, wo der Körper der Seele oder der Geisterwelt dienen werde. »Der physische Magus weiß die Natur zu beseelen und willkürlich wie seinen Leib zu behandeln.« Als solchen Magus schildert die Bibel Gott, der sprach: es werde Licht! und es ward Licht. Das kommt einem in den Sinn, wenn man die merkwürdige Notiz von Novalis liest: »Gefährliche Gedanken. Nähern sich etwa manche Gedanken der magischen Grenze? Werden manche de facto wahr?« Gewiß hat es Jeder schon in sich erlebt, daß er irgend einen dunklen auftauchenden Gedanken rasch erdrückte in dem plötzlichen, wahnsinnigen Angstgefühl, er könnte mit eins wirklich werden.

      Da nun der Geist so unabhängig vom Körper ist oder sein kann, so muß er auch unabhängig von ihm leben und erscheinen können. Wenn er in ein fremdes Bewußtsein übergeht und von dort auf einen fremden Körper regiert, erscheint er ja gewissermaßen schon in diesem; man hat oft beobachtet, daß Mann und Frau, die ja, wenn sie in inniger Seelengemeinschaft leben, sich gegenseitig hypnotisiren, einander ähnlich werden. Kann er also sich in einem fremden menschlichen Körper materialisiren, wie die jetzigen Spiritisten es nennen, so darf man die Folgerung nicht ausschließen, daß er es in jedem beliebigen Stoffe zu thun fähig sei. Dies etwa mag der Gedankengang Novalis' gewesen sein, als er Folgendes niederschrieb: »Das willkürlichste Vorurtheil ist, daß dem Menschen das Vermögen, außer sich zu sein, mit Bewußtsein jenseits der Sinne zu sein, versagt sei. Der Mensch vermag in jedem Augenblick ein übersinnliches Wesen zu sein. Ohne das wäre er nicht Weltbürger, er wäre ein Thier. Freilich ist die Besonnenheit, Sichselbstfindung in diesem Zustande sehr schwer, da er so unaufhörlich, so nothwendig mit dem Wechsel unsrer übrigen Zustände verbunden ist.« – »Die Geisterwelt ist uns in der That schon aufgeschlossen, sie ist immer offenbar! Würden wir plötzlich so elastisch, als es nöthig wäre, so sähen wir uns mitten in ihr. Unser jetziger


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