Die Romantik. Ricarda Huch

Die Romantik - Ricarda Huch


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der heiligen Paare des Mittelalters, die Gott gelobt hatten, sich niemals zu berühren, sondern eine solche, deren Leidenschaft zu einer reinen Flamme verklärt war: ebenso willig zu Kuß und Umarmung, wie zu Trennung und Thätigkeit, echte Freiheit. Anders ist es, wenn der Intellekt sich dem Willen hingiebt, den er im Stillen fürchtet und haßt. Um die geheime Abneigung zu betäuben, unfähig, dem sinnlichen Reiz zu widerstehen, stürzt er sich blindlings in schwelgerisches Genießen, bis zur Erschöpfung und Zerrüttung. Nicht Ehe ist es, sondern Buhlschaft, und alle Folgen eines unreinen und unwahren Verhältnisses knüpfen sich daran. »Das Schwelgen an den Kräften des Gemüths ist die unerlaubteste aller Verschwendungen, die schlimmste aller Verderbtheiten«, das war eine Erfahrung, die Tieck an sich selber gemacht hatte. Als er einmal einen halben Tag und eine Nacht durch ohne Unterbrechung, seine Erregtheit selbst absichtlich steigernd, einen damals beliebten Schauerroman gelesen hatte, bekam er wirklich einen Anfall von Wahnsinn, den seine lüsterne Phantasie ihm schon so oft vorgespielt hatte. Durch einen großen Natureindruck, den er bald darauf während einer Harzreise empfing, fühlte er sich gerettet. Aber keine Rettung gab es für Wackenroder, der weit unschuldiger war als Tieck, aber schwächer. Sein Geist war wie ein zartes Mädchen, ganz Demuth und Hingebung, die dem Strome von Leidenschaft, der auf sie eindringt, nur mit einem bangen, flehentlichen Blick zu wehren vermag, während ihr sanfter Leib sich ihm schon zuneigt.

      Das Bewußtwerden, die beständigen Berührungen zwischen Natur und Geist, denen nie eine gänzliche Vereinigung folgt, die aufregenden Stelldicheine in der Dämmerung sind die Ursachen jener grenzenlosen Sehnsucht, jenes unersättlichen Verlangens, woran der Romantiker sich aufzehrt. Die Wuth der Unbefriedigung hat es Friedrich Schlegel einmal genannt. Wer hat nicht das Sehnen des Herzens in sich gefühlt, beklemmend aber süß, das der erste Thauwind des Jahres oder die bacchantische Sterbeluft des Herbstes einhaucht? Ein leiser Zug, man weiß nicht wohin, vielleicht nach einer fernen, fernen Waldwiese, auf der ein allerschönstes Bild auf uns wartet, sei es Liebe oder Tod, Willkommen im allmächtigen Blick. Was aber bei den meisten Menschen nur ein flüchtiges Mitzittern der Saiten in das große Harfenspiel der Natur ist, das ist der Grundton des romantischen Charakters, sein Merkmal, sein Hauptvermögen, seine Schönheit, sein Fluch. Daß sie diese zehrende Sehnsucht nicht kannte, machte die Größe, Schönheit und Vollendung der Antike, aber ihre Begrenztheit liegt auch darin. Aus der Zerrissenheit des modernen Menschen wächst sie heraus, eine Marterblume mit tiefem, blutendem Kelche, aus dem sich seelenberauschende Düfte unablässig in die Unendlichkeit ergießen.

      Warum Schmachten?

       Warum Sehnen?

       Alle Thränen

       Ach sie trachten

       Nach der Ferne,

       Wo sie wähnen

       Schön're Sterne!

      Daß sie es nur wähnen, das ist es eben. Das blanke, lockende Sternbild ist eine Fata Morgana, die vor dem Näherkommenden weicht, eine Luft-Oase, die niemals den brennenden Durst löscht. Niemand hat wie Tieck, mit so züngelnden, flackernden, lodernden Feuerbuchstaben die Symptome dieser Krankheit geschildert, die Geschichte der Io, die der Stachel des Wahnsinns rastlos durch alle Welt jagt.

      »Aber was ist es, daß ein Genuß nie unser Herz ganz ausfüllt? Welche unnennbare, wehmüthige Sehnsucht ist es, die mich zu neuen, ungekannten Freuden drängt? Im vollen Gefühl meines Glückes, auf der höchsten Stufe meiner Begeisterung ergreift mich kalt und gewaltsam eine Nüchternheit, eine dunkle Ahnung – wie soll ich es beschreiben – wie ein feuchter, nüchterner Morgenwind auf der Spitze des Berges nach einer durchwachten Nacht, wie das Auffahren aus einem schönen Traum in einem engen, trüben Zimmer. Ehedem glaubte ich, dieses beklemmende Gefühl sei Sehnsucht nach Liebe, Drang der Seele, sich an Gegenliebe zu verjüngen – aber es ist nicht das; auch neben Amalien quälte mich diese tyrannische Empfindung, die, wenn sie Herrscherin in meiner Seele würde, mich in einer ewigen Herzensleerheit von Pol zu Pol jagen könnte. Ein solches Wesen müßte das elendeste unter Gottes Himmel sein: jede Freude flieht heimtückisch zurück, indem er danach greift, er steht wie ein vom Schicksal verhöhnter Tantalus in der Natur da, wie Ixion wird er in einem unaufhörlichen, martervollen Wirbel herumgejagt; auf einen solchen kann man den orientalischen Ausdruck anwenden, daß er vom bösen Feinde verfolgt wird.«

      »Ich möchte in manchen Stunden von hier reisen und eine seltsame Natur mit ihren Wundern aufsuchen, steile Felsen erklettern und in schwindelnde Abgründe hinunterkriechen, mich in Höhlen verirren und das dumpfe Rauschen unterirdischer Wässer vernehmen, ich möchte Indiens seltsame Gesträuche besehen und aus den Flüssen Wasser schöpfen, deren Name mich schon in den Kindermärchen erquickte; Stürme möchte ich auf dem Meere erleben und die ägyptischen Pyramiden besuchen – o Rosa, wohin mit dieser Ungenügsamkeit, und würde sie mir nicht selbst zum Orkus und im Elysium folgen?«

      Die Helden aller romantischen Bücher sind fast beständig auf Reisen: Don Quixote so gut wie Wilhelm Meister und alle ihre Nachkommen. Die Dichter ließen ihre Doppelgänger an ihrer Stelle auf die ersehnte Wanderschaft gehen.

      Alles lockt und zieht:

      Wie mit süßen Flötenstimmen

       Rufen alle gold'nen Sterne;

       Weit muß manche Woge schwimmen,

       Deine Lieb' ist in der Ferne.

      Ist sie es wirklich? Finden sie sie jemals? Heimlich wissen sie es wohl, daß ein Aufhören der Sehnsucht Aufhören des Lebens wäre:

      Die Nachtigall singt aus weiter Fern:

       Wir locken, damit du lebest gern.

       Daß du dich nach uns sehnst und immer matter sehnst,

       Ist, was du thöricht dein Leben wähnst.

      Ein moderner Romantiker, der Däne Jakobsen, hat vollendeter, als die vor 100 Jahren es konnten, im Niels Lhyne die Geschichte einer solchen Reiselust erzählt und mit der herzzerreißenden Einsicht beendigt, daß nichts Irdisches sie stillen kann. Seelenvoller vielleicht und tröstlicher läßt Tieck dasselbe seinen Sternbald empfinden in einer wehmüthig seligen Nacht:

      »Die Scheibe des Mondes stand seinem Kammerfenster gerade gegenüber, er betrachtete ihn mit sehnsüchtigen Augen, er suchte auf dem glänzenden Runde und in den Flecken Berge und Wälder, wunderbare Schlösser und zauberische Gärten voll fremder Blumen und duftender Bäume; er glaubte Seen mit glänzenden Schwänen und ziehenden Schiffen wahrzunehmen, einen Kahn, der ihn und die Geliebte trug und umher reizende Meerweiber, die auf krummen Muscheln bliesen und Wasserblumen in die Barke hineinreichten. Ach dort! dort! rief er aus, ist vielleicht die Heimath aller Sehnsucht, aller Wünsche; darum fällt auch wohl so süße Schwermuth, so sanftes Entzücken auf uns herab, wenn das stille Licht voll und golden den Himmel heraufschwebt und seinen silbernen Glanz auf uns hernieder gießt. Ja er erwartet uns, er bereitet uns unser Glück, und darum sein wehmüthiges Herunterblicken, daß wir noch in dieser Dämmerung der Erde verharren müssen.«

      Es ist aber natürlich, daß dennoch die Täuschung – und vielleicht ist es gar keine – immer wieder kommt, als müsse diese schmerzhafte Leere auf Erden ausgefüllt werden können. Liebe kann es: unfehlbar sicher fühlt das jeder Mensch. Zunächst aber wächst und wächst nur das Verlangen, unerträglich, bis endlich im höchsten Genuß der Liebe die ewig stachelnde Pein untergeht. Ein Augenblick himmlischer Ruhe, dann jähes Aufschrecken: das also war die Lösung des unergründlich scheinenden Räthsels!

      Alle diese Seelenmarter, die himmelstürzenden Titanengedanken, das Rütteln an den Thoren der Erkenntniß war nur ein Krampf der Sinnlichkeit. Nicht in den Himmel der Ideale, an die Brust eines beliebigen Mädchens mußte er sich flüchten, um für die hohe Ungenügsamkeit, »der Sonne und Mond zu irdisch sind«, Befriedigung zu finden. Allerdings nur für einen Augenblick; dann stößt der Ernüchterte seinen Abgott von sich. Aber wenn wieder ein Frauenkleid ihn streift oder ein warmer Blick ihn berührt, kommt die Hoffnung wieder und wieder die Enttäuschung, bis er sich schließlich nicht einmal mehr selbst betrügt, sondern bewußt aus einem Rausch in den anderen taumelt. So läßt Tieck seinen Lovell sinken, sinken und immer rascher stürzen; es ist wundervoll, wie man in dem engelsreinen, schwärmerischen Jüngling die krasse Genußlehre sich ausbilden sieht. Dies ist seine Lebensweisheit:


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