Colours of Life 2: Rosengrau. Anna Lane

Colours of Life 2: Rosengrau - Anna Lane


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still und reicht mir ein Handtuch. Seine Augen sind dunkel, und die ehemals stahlblauen Haare haben ihre natürliche Farbe zurück. Noch immer habe ich mich nicht an den Anblick gewöhnt. Er sieht einfach zu normal aus, zu bodenständig. Unscheinbar.

      Ich reibe mir das Gesicht trocken und wringe meine Haare aus, dann wickle ich mich in das halbfeuchte Badetuch.

      »Wie lange ist er schon weg?« Neptunes Tonfall ist vorsichtig.

      Meine Schultern spannen sich unwillkürlich an. Ich kann nichts dagegen tun, dass sich meine Finger plötzlich fest in das Frottee krallen. »Ein … ein paar Tage. Ich habe nicht mitgezählt.«

      Neptune seufzt und folgt mir, während ich durch die Glastür und über die Stufen nach oben zu meinem Zimmer gehe. »Ich dachte, dass es eher Wochen sind. Aber er sagt nie Bescheid, wenn er weggeht.«

      Als wir durch die große Flügeltür ins Stiegenhaus gehen, jagt mir die kalte Luft ein Frösteln über den gesamten Körper. Ich lasse Neptunes Bemerkung unkommentiert. Was soll ich darauf auch sagen? Dass es ohne Cam beschissen hier ist? Dass das verkommene Hotel noch glanzloser wirkt, wenn er nicht hier ist? Aber ich schweige und blicke nur auf meine nackten Füße hinab, die zu blass auf dem knallroten Teppichboden aussehen.

      »Nein. Sagt er nie«, flüstere ich. Der Schmerz, der beim Aufeinanderpressen meiner Zähne durch meinen Schädel zuckt, tut beinahe so weh, wie hier eingesperrt zu sein. Allein. Während Cameron schon seit siebzehn Tagen weg ist. Er ist einfach gegangen, irgendwohin. Einen Auftrag ausführen oder was weiß ich, doch nie … nie kommt ein Wort über seine Lippen.

      Carter schüttelt nur den Kopf, wenn ich ihn frage, wo Cameron sich gerade befindet.

      Dieses Warten macht mich krank. Die Ungewissheit, wann er wiederkommt und wie es hier weitergehen soll. Mit uns, mit allem. Mit den anderen, mit unserer Zukunft – falls wir eine haben. Seit wir hier sind, hat sich so vieles geändert. Wir waren töricht, zu glauben, nun frei zu sein.

      Wir sind für immer die Sklaven unserer Erinnerung.

      Cameron ist so gut wie nie da, Ace spricht kaum mit mir und verlässt nur selten sein Zimmer. Neptune wurde verboten, irgendwie aufzufallen, und das hat ihn gekränkt. Er passt nicht in die Gewöhnlichkeit, in das normale Leben, in das wir uns hier einfinden mussten.

      »Die ganze Langeweile bringt mich noch um«, hat er kopfschüttelnd gesagt, nachdem Carter ihm seine blau-blonde Mähne abrasiert hat.

      »Glaub mir, noch viel eher tötet dich etwas anderes«, hat Carter geantwortet, und Neptune hat den Mund gehalten. Ich glaube, mit jedem Haar, das zu Boden gefallen ist, zerbrach sein Herz ein wenig mehr. Neptune ist noch nie in seinem Leben normal gewesen. Und jetzt, ohne Vorwarnung, hatte er keine andere Wahl.

      Tyler hat sich nicht geändert, aber so wie Neptune von der Bedeutungslosigkeit zerfressen wird, hat die Wut von Tyler Besitz ergriffen. Hin und wieder, wenn ich nachts umherwandle, komme ich am Sportraum vorbei. Das Licht brennt, und ich schleiche mich auf nackten Füßen an, um durch den offenen Türspalt zu blicken. Meistens hämmert Tyler auf irgendetwas ein – einen Sandsack, eine Matte. Eine Weile sehe ich ihm dann zu, weil ich ihn heimlich um seine Wut beneide. Er kann sie rauslassen, kann sich die Fäuste wund schlagen und dann völlig außer Atem sein.

      Aber ich … ich bin nur schlaflos. Ich irre umher wie ein Geist, der kein Zuhause hat, und wenn ich ehrlich bin, dann könnte ich selbst dort keine Ruhe finden. Ich suche etwas, das nicht zu finden ist, und zähle still die Stunden, die ich rastlos und allein im Dunkel verbringe. Zu oft bin ich einsam. Die Nacht ist zu meinem besten Freund geworden.

      »Um sieben gibt es Abendessen. Vergiss das nicht«, erinnert mich Neptune, als wir in unserem Stockwerk angekommen sind.

      Ich öffne die Tür zu meinem Zimmer und nicke. »Bist du heute mit Kochen dran?«

      »Wie immer.« Neptune verdreht die Augen.

      »Dann verzichte ich.« Ich versuche, ein kleines Lächeln auf meine Lippen zu zwingen, doch es gelingt mir nicht wirklich. Ich habe schon vor einigen Wochen aufgehört, Neptune vormachen zu wollen, dass ich okay bin. Er akzeptiert es. Genauso, wie ich seine Angst vor dem Nichts-Sein als das hinnehme, was sie ist.

      »Es gibt aber …«

      »Nudeln? Wer hätte das gedacht«, vervollständige ich seinen Satz. Dann schließe ich die Tür hinter mir und lasse mich dagegen sinken.

      Von draußen höre ich: »Kohlehydrate und Fett, was willst du mehr?« Dann fällt Neptunes Tür mit einem Klicken zu.

      »Was tun wir hier?«, flüstere ich und mache für einen kurzen Moment die Augen zu.

      Fast hätte ich es nicht geschafft. Aber nicht die Anstalt hätte mich gekriegt oder Preston. Ob er wohl noch immer denkt, ich sei tot?

      Nein, beinahe wäre ich durch die Hand eines Freundes gestorben.

      Mein Rücken schmerzt, als die Erinnerung an den Schlag mich erschaudern lässt. Kurz vor dem Ablegen von Noahs Schiff wollte ich noch einen Blick in das alte Haus meiner Familie werfen. Einen letzten Augenblick für mich, den ich der Vergangenheit schenken würde, bevor meine Zukunft beginnen würde. In Freiheit. Mit Cam.

      Aber dann … Mir wird der Hals eng, ich presse die Lider aufeinander. Instinktiv fliegen meine Hände zu meiner Kehle, während die Bilder auf mich einstürzen.

      »Was tust du da?«, frage ich, ringe um Luft.

      Daniel steht hinter mir. Der Lauf seiner Pistole gleitet beinahe liebevoll von meinem Kiefer zu meiner Schläfe. Angst breitet sich in meiner Brust aus wie ein Fegefeuer. Er lacht kurz auf, es klingt bitter. Der Wahnsinn hat ihn nun ganz zu sich genommen, aus einem Schock ist eine Manie geworden.

      »Crys!«, brüllt jemand, ich glaube, es ist Cam, doch ich bin mir nicht sicher. Dan hat meine volle Aufmerksamkeit. Sein Mund ist nahe an meinem Ohr, er flüstert Worte, die ich nicht verstehe. Als wolle er mich umarmen, gleitet sein linker Arm langsam um meinen Körper herum, seine Fingernägel graben sich in meinen Hals.

      »Lass los!«, knurre ich und versuche, mich zu befreien. Aber anstatt mich loszulassen, drängt er mich nur näher zum Abgrund. Ein paar Zentimeter, und ich bin tot. Zerschlagen auf den Felsen, die vom Meer zu spitzen Messern geschliffen wurden.

      »Das ist das Ende.« Ich kann an seiner Stimme hören, dass er lächelt. Wieso tut er das? »Sag Lebewohl zu deinem Leben. Ich werde deines zerstören, wie du meines zerstört hast.«

      »Wieso?« Ich drehe meinen Kopf zu ihm.

      Grob reißt er mein Gesicht wieder nach vorne. Er weiß, dass ich ihn so nicht beeinflussen kann.

      Dan presst die Worte hervor: »Du hast Zare getötet. Du hast ihr nicht geholfen. Du und Cameron … ihr habt sie umgebracht.« Ich will ihm ins Wort fallen, doch er lässt mich nicht. »Und jetzt … jetzt werde ich dich umbringen.«

      Er schiebt mich noch näher an den Abgrund, dann tritt er einen Schritt zurück. Der Pistolenlauf ruht nun in meinem Rücken. Ich schließe die Augen, mache mich bereit zu sterben.

      Cameron ist zu weit weg. Ich bin Daniel ausgeliefert.

      Ehe ich ein weiteres Mal einatmen kann, zerreißt ein Schuss die Luft.

      Cam hat mich gerettet. Und Daniel ist tot. So tot, wie er mich am Ende unserer Flucht sehen wollte. Ich fröstle. Cam …

      Cam ist immer unterwegs, hat offensichtlich eine größere Aufgabe, und wir … Was tun wir hier?

      Diese Frage stelle ich mir in letzter Zeit zu oft. In den drei Monaten, die wir bereits in Edinburgh sind, haben wir rein gar nichts getan.

      Wir wohnen, wir schlafen, wir essen, wir langweilen uns, wir erledigen unsere kleinen Aufgaben. Wir leben einfach, aber ohne irgendetwas wirklich zu tun. Wir sind nur, ohne etwas zu schaffen. Ohne etwas zu erreichen. Und was Cam betrifft …

      Seit wir hier angekommen sind, hat er mich nicht mehr so angesehen wie auf der Flucht. Er hat mich kein einziges Mal geküsst. Wie konnte ich auch denken, dass


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