Phantomschmerzen. Susan Hill

Phantomschmerzen - Susan Hill


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es, bevor ich anfing, aber ich war … oh, ich weiß nicht, Sam, überredet, gedrängt worden. In dieser Familie wird man Arzt. Und ich war nicht absolut dagegen – jedenfalls nicht, bevor ich anfing. Und da wusste ich inzwischen, dass ich zur Polizei, nicht in die Medizin wollte.«

      »Hast du es jemals bereut? Hast du gedacht, du könntest deine Meinung noch mal ändern?«

      »Nicht eine Sekunde. Ich wäre ein miserabler Arzt geworden.«

      »Das kannst du nicht wissen.«

      »Ich weiß es. Aber ich wollte Polizist werden, und ich habe jede Minute genossen. Na gut – fast jede Minute.« Er berührte seinen Arm. »Das war ein Ausrutscher.«

      »Okay.«

      »Und? Wohin führt dich dein Nachdenken?«

      »Kann ich bitte noch Tee haben?«

      »Greif zu.« Er musste lauter sprechen, um gegen den plötzlich aufheulenden Wind anzukommen.

      Sam war nicht auf den Mund gefallen, doch er war vorsichtig. Er ließ sich nicht zu ernsten Worten hinreißen, wenn er nicht sicher war, was er genau sagen wollte, aber Simon vermutete, dass Sam längere Zeit darüber nachgedacht hatte und jetzt einfach nur tief Luft holen musste. Er hätte nicht die lange, komplizierte Reise auf sich genommen, ohne es vorher einstudiert zu haben.

      »Vielleicht habe ich meine Meinung über die Polizei geändert.« Er schien auf eine Reaktion zu warten, doch Simon zeigte keine. »Ich habe mir immer wieder mich selbst vor Augen geführt – das Leben … Verstehst du, ich habe mich gesehen wie ein Stück, das nicht ins Puzzle passt. Je mehr ich mich damit beschäftigte, über den Alltag las, desto stärker wurde dieses Gefühl. Ist das dumm?«

      »Du weißt, dass es das nicht ist.«

      »Ich würde dich enttäuschen.«

      Simon schnaubte. »Du würdest niemanden enttäuschen, am wenigsten mich. Werde erwachsen.«

      »Ich will keinen Fehler machen. Es wäre eine Verschwendung von allem … deshalb könnte ich … vielleicht meine Meinung ändern.«

      »Klingt so, als hättest du dich schon anders entschieden.«

      »Ach ja? Vielleicht stimmt es ja.«

      »Viel besser ist, wenn du es jetzt weißt, Sambo, als nach einem Jahr der Ausbildung. Besser für dich hauptsächlich.«

      »Stimmt …« Ein langes Gähnen unterbrach seinen Redefluss.

      Simon stand auf. »Morgen reden wir weiter. Du bist total erledigt. Das Reservebett ist bezogen, aber ich werde noch mehr Decken suchen – solche Stürme lassen die Temperaturen rapide sinken.«

      Sie gingen die Treppe hinauf, Sam holte sein Waschzeug und das T-Shirt, in dem er immer schlief, aus dem Rucksack, während das Bett gemacht und die Vorhänge vor der wilden Nacht zugezogen wurden.

      »Si … ich will nur … ich meine, na ja, wir werden darüber reden, nur …«

      »Ich soll deiner Mutter nichts sagen.«

      »Genau.«

      »Ich doch nicht.« Er legte den Arm kurz um Sams Schulter, nicht sicher, ob der die stürmischen Umarmungen noch annehmen würde, die er als Junge so geliebt hatte.

      Sam setzte sich aufs Bett, um die Matratze zu prüfen. Er kippte zur Seite, um das Kissen zu prüfen, war innerhalb von fünfzehn Sekunden tief eingeschlafen und wurde nicht vor zehn Uhr am nächsten Morgen wach.

      Unten schenkte sich Simon einen kleinen Whisky ein und setzte sich wieder aufs Sofa. Er war mitten in der Lektüre des Romans Der Spion, der aus der Kälte kam, dachte aber eine Weile an Sam. Wenn ihn dessen Entscheidung überrascht hatte, dann hatte er es sich nicht anmerken lassen. Aber Sam war so lange wie besessen von der Vorstellung gewesen, zur bewaffneten Sondereinheit zu gehen, was Cat immer große Sorgen bereitet hatte, dass es allem Anschein nach eine abgemachte Sache war. Nichts anderes, abgesehen von Kricket und Hockey – und er war in beiden Sportarten ein ausgezeichneter Spieler –, hatte ihn je interessiert. Simon hatte sich Mühe gegeben, ihn davon abzubringen, was die beste Möglichkeit war, die Festigkeit eines Entschlusses zu prüfen, doch Sam hatte nie geschwankt.

      Was kam als Nächstes? Die Polizei, aber nicht die bewaffneten Sondereinheiten? Die Kriminalpolizei? Etwas anderes gab es nicht. Sam war helle, und er arbeitete hart, aber er war kein Intellektueller – eine akademische Laufbahn wäre nichts für ihn, ebenso wenig der Beruf eines Lehrers, und ein Leben in irgendeinem Büro würde ihn mit Sicherheit in den Wahnsinn treiben.

      Sie würden einen Plan B finden müssen.

      9

      Von außen sah das Burleigh noch immer wie ein Hotel im Landhausstil aus, doch als Cat ins Foyer trat, merkte sie, dass es auf gepflegte, anspruchsvolle Weise verschönert worden war. Die Wände waren jetzt kittfarben, der Teppichboden braungrau, die Polster variierten zwischen cremefarben und hellgrau. Die Frontseite der Bar war, wie sich herausstellte, mit cremefarbenem Leder bezogen, die Hocker auch, nur in dunklerem Farbton. Die Beleuchtung war neu gestaltet. Es war intim, aber kühl, der italienische Einfluss überall spürbar.

      Lukes Partner Enrico musste einige seiner vielen Millionen in dieses Haus gesteckt haben, in der Hoffnung, eine reichere und internationalere Klientel anzuziehen, doch da die Lage ausschlaggebend war, fragte sie sich, ob er wohl Erfolg mit einem Hotel haben würde, das außerhalb von Lafferton lag, wenn auch das Land grün und schön anzusehen war.

      »Cat! Du siehst aus wie der junge Frühling!«

      Sie wusste sofort, warum sie Luke vor fünfundzwanzig Jahren angehimmelt hatte. Er sah noch genauso aus, war noch schlank und wirkte jünger, als erlaubt war, hatte noch immer dichtes Haar, das allerdings auf attraktive Weise leicht angegraut war. Und er war charmant wie eh und je. Er nahm ihre Hände und küsste Cat auf beide Wangen.

      »Und du hast nicht vergessen, wie man Komplimente macht. Es tut so gut, dich zu sehen, Luke.«

      »Ich habe einen Tisch am Fenster. Lass uns zur Feier des Tages ein Glas Champagner trinken.«

      Er führte sie durch den Raum, in dem es sehr ruhig war. Sie bemerkte nicht, dass er ein Zeichen gab, um eine Bestellung aufzugeben, aber als sie Platz nahmen, kam ein Kellner mit zwei Gläsern Veuve Clicquot.

      »Dieser Anzug kann nur aus Italien sein«, sagte sie. Er war hellgrau, aus feinem Wollstoff, perfekt geschnitten, kombiniert mit einem schiefergrauen Hemd und einer fuchsroten Krawatte. Cat versuchte sich Kieron im selben Outfit vorzustellen und lächelte. Er war schick in Uniform, aber ansonsten das Gegenteil von elegant. Seit sie verheiratet waren, hatte sie sich bemüht, seine Garderobe in kleinen, unauffälligen Schritten aufzubessern. Chris war genauso gewesen. Simon hingegen – der könnte so einen Anzug gut tragen.

      »Auf uns«, sagte Luke. Oliven wurden gebracht, dazu Toaststücke in Pennygröße mit einem Klecks Topfgarnelen, mit Dill bestreut, einem Teelöffel Kaviar oder einem Kringel Räucherlachs darauf.

      Cat seufzte und lehnte sich zurück. »Was auch immer der Anlass sein mag«, sagte sie, »es ist so schön. Danke.«

      »Stimmt, und jetzt erzähl mir von deinen letzten zwanzig Jahren und so, Dr. Deerbon. Du hast deinen Namen aus beruflichen Gründen nicht geändert, nehme ich an?«

      Während sie den Champagner genossen, erzählte sie ihm von den Kindern, Chris’ Krankheit und seinem Tod, von Simon, Kieron. Richard erwähnte sie nicht – Luke wusste vom Tod ihrer Mutter aus den Todesanzeigen in medizinischen Fachzeitschriften.

      »Okay, so weit das Privatleben. Kommen wir zur Medizin.«

      »Das wird bis zum Ende des Hauptgangs dauern.«

      »Kein Problem. Ich habe jede Menge Zeit. Und du?«

      »Ich habe heute meinen freien Tag.«

      Das Hotel hatte jetzt sowohl seinen früheren, formellen Speisesaal, als auch eine Brasserie. Luke überließ Cat die Wahl,


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