Die berühmtesten Dramen von Henrik Ibsen. Henrik Ibsen
roh gegen Dich benommen; aber müssen wir deshalb denn gleich außer Landes gehen?
Stockmann. Glaubst Du etwa, die Plebejer in andern Städten sind nicht ebenso unverfroren wie hier? Ach ja, Du! Das ist Jacke wie Hose. Na, laß nur. Die Köter sollen kläffen; das ist das Schlimmste nicht; das schlimmste ist, daß die Menschen im ganzen Land, einer wie der andere, Parteisklaven sind. Nicht, daß es im freien Westen vielleicht besser wäre, – da grassiert die kompakte Majorität und die liberale öffentliche Meinung und der ganze andere Teufelskram ja auch. Aber da sind die Verhältnisse großartiger, siehst Du; sie können einen totschlagen, aber sie martern einen nicht langsam; sie spannen eine freie Seele nicht auf die Folterbank wie hier zu Lande. Und im Notfall kann man ja den Dingen aus dem Wege gehen. Spaziert durchs Zimmer. Wenn ich nur wüßte, wo man einen Urwald oder eine kleine Südseeinsel um billigen Preis haben könnte –
Frau Stockmann. Ja, und die Jungen, Thomas?
Stockmann bleibt stehen. Du bist aber komisch, Käte! Möchtest Du lieber, daß die Jungen in einer solchen Gesellschaft wie hier aufwachsen? Du hast ja selbst gestern abend gesagt, die Hälfte der Bevölkerung ist wahnsinnig; und wenn die andere Hälfte den Verstand nicht verloren hat, so ist der Grund der, daß es Schafsköpfe sind, die überhaupt keinen Verstand zu verlieren haben.
Frau Stockmann. Ja, bester Thomas, Du bist aber auch so unvorsichtig in Deinen Reden!
Stockmann. Na – ist es vielleicht nicht wahr, was ich sage? Stellen sie nicht alle Begriffe auf den Kopf? Werfen sie nicht Recht und Unrecht in einen Topf? Nennen sie nicht alles Lüge, was mir Wahrheit ist? Das Allertollste aber ist, daß hier erwachsene liberale Menschen haufenweise umherlaufen, die sich und andern einreden, sie wären freisinnig! Hast Du schon so etwas gehört, Käte!
Frau Stockmann. Ja, ja, – freilich ist das toll, aber –
Petra kommt aus dem Wohnzimmer.
Frau Stockmann. Jetzt kommst Du schon aus der Schule?
Petra. Ja; mir ist gekündigt worden.
Frau Stockmann. Gekündigt!?
Stockmann. Dir auch!
Petra. Frau Busk hat mir gekündigt, und da hielt ich es für besser, auf der Stelle zu gehen.
Stockmann. Da hast Du wahrhaftig recht getan!
Frau Stockmann. Wer hätte auch denken können, daß Frau Busk ein so schlechter Mensch wäre!
Petra. Ach, Mutter, Frau Busk ist wirklich nicht schlecht; ich habe deutlich gesehen, wie leid es ihr tat. Sie dürfte aber nicht anders, sagte sie; und da kündigte sie mir.
Stockmann reibt sich lachend die Hände. Auch Sie durfte nicht! O, es ist göttlich!
Frau Stockmann. Ach nein, nach dem häßlichen Spektakel von gestern –
Petra. Das war es nicht allein. Nun paß mal auf, Vater!
Stockmann. Na?
Petra. Frau Busk zeigte mir nicht weniger als drei Briefe, die sie heute früh bekommen hatte –
Stockmann. Ohne Namen natürlich?
Petra. Ja.
Stockmann. Ja, mit ihrem Namen wagen sie nicht einzutreten, Käte!
Petra. Und in zweien stand, ein Herr, der hier im Hause verkehrt, hätte gestern abend im Klub erzählt, ich hätte über verschiedene Dinge so unerhört freie Ansichten –
Stockmann. Und das hast Du hoffentlich nicht geleugnet?
Petra. Nein, das kannst Du Dir doch denken. Frau Busk selbst hat recht freie Ansichten, wenn wir unter vier Augen sind; da dies nun aber über mich bekannt geworden ist, so durfte sie mich nicht behalten.
Frau Stockmann. Man soll denken, – einer, der hier im Hause verkehrt! Da siehst Du nun, was Du für Deine Gastfreundschaft hast, Thomas.
Stockmann. In solcher Schweinerei wollen wir nicht länger leben. Pack' so schnell wie möglich ein, Käte; wir wollen fort, je eher je lieber.
Frau Stockmann. Seid still, – ich glaube, auf dem Flur draußen ist wer. Sieh mal nach, Petra.
Petra öffnet die Tür. Ah, Sie sind's, Herr Kapitän? Bitte treten Sie näher.
Horster kommt aus dem Vorzimmer. Guten Tag. Ja, ich wollte doch mal her und sehen, wie es hier geht.
Stockmann schüttelt ihm die Hand. Danke sehr; das ist sehr nett von Ihnen.
Frau Stockmann. Und vielen Dank, daß Sie uns durchgeholfen haben, Herr Kapitän.
Petra. Aber wie sind Sie denn wieder nach Hause gekommen?
Horster. O, es ging schon; ich bin ja einigermaßen kräftig; und die Leute sind doch größtenteils nur Maulhelden.
Stockmann. Ja, Sie, diese hundsgemeine Feigheit, – ist das nicht merkwürdig? Kommen Sie mal, ich will Ihnen etwas zeigen. Sehen Sie, da liegen die Steine, die sie uns in die Stube geschmissen haben. Sehen Sie sich die nur mal an! Es sind wahrhaftig in dem ganzen Haufen nicht mehr als zwei ordentliche feste Feldsteine; der Rest ist nur Klopfstein – lauter kleines Zeug. Und doch haben sie da draußen gestanden und krakehlt und geschworen, sie würden mir den Garaus machen; aber handeln – handeln –, nein, so etwas gibt es hier so gut wie gar nicht!
Horster. Das war diesmal auch wohl für Sie das beste, Herr Doktor.
Stockmann. Ja doch. Aber ärgerlich ist es trotzdem: denn kommt es einmal zu einem ernsten, fürs Land wichtigen Zusammenstoß, dann werden Sie sehen, Kapitän, daß die öffentliche Meinung die Beine unter die Arme nimmt, und daß die kompakte Majorität sich aus dem Staube macht – wie ein Rudel Säue, die waldeinwärts rennen. Der Gedanke daran ist eben das Traurige; es tut mir im Herzen weh –. Na, aber, zum Henker, das ist ja doch eigentlich nur dummes Zeug. Haben die Leute mich mal für einen Volksfeind erklärt, so will ich auch einer sein.
Frau Stockmann. Das wirst Du doch nie und nimmer werden, Thomas.
Stockmann. Das solltest Du nicht mit dieser Zuversicht sagen, Käte. Ein garstiges Wort kann wirken wie ein Stecknadelstich in der Lunge. Und dies verdammte Wort –; ich kann es nicht los werden; es hat sich festgesetzt hier unter der Herzgrube, da liegt es und bohrt und zieht wie saure Säfte. Und dagegen hilft kein Magnesia.
Petra. Pah, Vater, Du solltest Ihrer nur lachen.
Horster. Die Leute werden schon noch auf andere Gedanken kommen, Herr Doktor.
Frau Stockmann. Ja, Thomas, das ist so gewiß, wie Du hier stehst.
Stockmann. Ja, vielleicht wenn es zu spät ist. Aber das geschieht ihnen schon recht! Dann können sie hier in ihrem Unrat waten und Gewissensbisse haben, daß sie einen Patrioten in die Verbannung getrieben haben. – Wann geht die Reise, Kapitän?
Horster. Hm, – darüber wollte ich eigentlich mit Ihnen reden –
Stockmann. Ist etwa mit dem Schiff was los?
Horster. Nein; aber es wird wohl so sein, daß ich nicht mitgehe.
Petra. Ihnen ist doch nicht gekündigt?
Horster lächelt. Ja, allerdings.
Petra. Ihnen auch.
Frau Stockmann. Da siehst Du es nun, Thomas.
Stockmann. Und das um der Wahrheit willen! Ach! Ich hätte es mir auch denken können –
Horster. Nehmen Sie sich es weiter nicht zu Herzen; ich finde schon eine Stelle bei irgend einer auswärtigen Reederei.
Stockmann. Und noch dazu dieser Vik, – ein vermögender Mann, und durchaus unabhängig –! Pfui Teufel!
Horster. Er ist sonst ganz rechtschaffen; und er sagt selbst, er hätte mich gern behalten, wenn er nur dürfte –
Stockmann. Aber er darf nicht? Versteht sich!
Horster. Es wäre nicht so