Die berühmtesten Dramen von Henrik Ibsen. Henrik Ibsen

Die berühmtesten Dramen von Henrik Ibsen - Henrik Ibsen


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      Holt sein Manuskript hervor.

      Aslaksen. Zunächst muß wohl ein Vorsitzender gewählt werden.

      Stockmann. Nein, – das ist durchaus nicht nötig.

      Einige Herren rufen: Doch! Doch!

      Stadtvogt. Ich sollte auch meinen, es müßte ein Präsident gewählt werden.

      Stockmann. Aber Peter, ich habe diese Versammlung doch berufen, um einen Vortrag zu halten!

      Stadtvogt. Der Vortrag des Herrn Badearztes könnte möglicherweise zu divergierenden Meinungsäußerungen Anlaß geben.

      Mehrere Stimmen aus der Menge. Einen Vorsitzenden! Einen Präsidenten!

      Hovstadt. Der Volkswille scheint einen Vorsitzenden zu verlangen.

      Stockmann sich beherrschend. Na meinetwegen; mag der Volkswille seinen Willen haben.

      Aslaksen. Möchten Sie nicht das Amt übernehmen, Herr Stadtvogt?

      Drei Herren klatschen. Bravo! Bravo!

      Stadtvogt. Aus mehreren leicht begreiflichen Gründen muß ich ablehnen. Aber glücklicherweise haben wir in unserer Mitte einen Mann, den, wie ich glaube, alle akzeptieren können. Ich meine den Vorsitzenden des Vereins der Hausbesitzer, Herrn Buchdrucker Aslaksen.

      Viele Stimmen. Jawohl, ja! Aslaksen soll leben! Hoch Aslaksen!

      Stockmann nimmt sein Manuskript und steigt vom Podium.

      Aslaksen. Wenn das Vertrauen meiner Mitbürger mich ruft, so darf ich nicht nein sagen –

      Händeklatschen und Beifallsrufe. Aslaksen steigt auf das Podium.

      Billing. schreibt. Also – »Herr Buchdrucker Aslaksen gewählt durch Akklamation –«

      Aslaksen. Und da ich nun an diesem Platze stehe, so werde ich mir erlauben, ein paar kurze Worte zu sprechen. Ich bin ein ruhiger und friedfertiger Mann, der auf besonnene Mäßigung hält – und – auf mäßige Besonnenheit; das weiß jeder, der mich kennt.

      Viele Stimmen. Sehr richtig, Aslaksen! Jawohl!

      Aslaksen. Ich habe in der Schule des Lebens und der Erfahrung gelernt, daß Mäßigung die Tugend ist, die einen Staatsbürger am besten kleidet –

      Stadtvogt. Hört! Hört!

      Aslaksen. – daß auch der Gesellschaft vor allem Besonnenheit und Mäßigung frommen. Ich möchte daher dem angesehenen Mitbürger, der die Versammlung berufen hat, ans Herz legen, daß er die Grenzen der Mäßigung nicht überschreite.

      Ein Mann oben an der Tür. Hoch der Mäßigkeitsverein!

      Eine Stimme. Pfui Teufel, ja!

      Viele. Seht! Seht!

      Aslaksen. Keine Unterbrechungen, meine Herren! – Wünscht einer das Wort?

      Stadtvogt. Herr Präsident!

      Aslaksen. Herr Stadtvogt Stockmann hat das Wort.

      Stadtvogt. In anbetracht des nahen Verwandtschaftsverhältnisses, in dem ich bekanntermaßen zu dem amtierenden Badearzt stehe, wäre mir nichts erwünschter gewesen, als mich hier heute nicht äußern zu brauchen. Aber mein Verhältnis zum Bade und die Rücksicht auf die allerwichtigsten Interessen der Stadt zwingen mich, einen Antrag zu stellen. Ich darf wohl voraussetzen, daß die hier anwesenden Bürger ohne Ausnahme es ungern sehen würden, wenn unzuverlässige und übertriebene Mitteilungen über die sanitären Zustände des Bades und der Stadt in weitere Kreise gelangten.

      Viele Stimmen. Jawohl! Ja! Natürlich! Wir protestieren!

      Stadtvogt. Ich möchte deshalb vorschlagen, daß die Versammlung dem Herrn Badearzt nicht gestatte, seine Darstellung der Sache vorzulesen oder vorzutragen.

      Stockmann aufbrausend. Nicht gestatte –! Was!

      Frau Stockmann hustet. Hm – hm!

      Stockmann faßt sich. Na; – also nicht gestatte!

      Stadtvogt. Ich habe in meiner Erklärung im »Volksboten« das Publikum mit den wesentlichsten Fakten bekannt gemacht, so daß alle wohlgesinnten Bürger sich unschwer ihr Urteil bilden können. Man wird daraus ersehen, daß der Vorschlag des Herrn Badearztes – abgesehen von einem Mißtrauensvotum gegen die Spitzen der Stadtverwaltung, – im Grunde darauf hinausläuft, den steuerpflichtigen Einwohnern eine unnötige Ausgabe von mindestens hunderttausend Kronen aufzubürden.

      Äußerungen des Unmuts; hier und dort Pfeifen.

      Aslaksen läutet mit der Glocke. Silentium, meine Herren! Ich bin so frei, den Vorschlag des Herrn Stadtvogts zu unterstützen. Es ist auch meine Meinung, daß die Agitation des Herrn Doktor Stockmann einen Hintergedanken hat. Er spricht vom Bade; aber er strebt eine Revolution an, er will die Verwaltung in andere Hände bringen. Niemand zweifelt an den redlichen Absichten des Herrn Doktors. I bewahre – darüber kann es nur eine Meinung geben. Ich bin auch ein Freund der kommunalen Selbstverwaltung, – nur darf sie den Steuerzahlern nicht zu hoch zu stehen kommen. Das aber würde hier der Fall sein; und deshalb –; hol' mich der Henker – mit Verlaub – kann ich diesmal nicht mit Herrn Doktor Stockmann gehen. Man kann auch Gold zu teuer kaufen; das ist so meine Meinung.

      Lebhafte Zustimmung von allen Seiten.

      Hovstadt. Auch ich fühle mich veranlaßt, meine Stellungnahme zu vertreten. Die Agitation des Herrn Doktor Stockmann schien zunächst einigen Anklang zu finden, und ich unterstützte sie so unparteiisch, wie ich konnte. Dann aber kamen wir dahinter, daß wir uns durch eine falsche Darstellung hatten irreführen lassen –

      Stockmann. Falsche –!

      Hovstadt. Na also – durch eine nicht ganz zuverlässige Darstellung. Die Erklärung des Herrn Stadtvogts hat das bewiesen. Ich hoffe, daß niemand hier im Saal meine liberale Gesinnung verdächtigt; die Haltung des »Volksboten« in den großen politischen Fragen ist jedem bekannt. Aber ich habe von erfahrenen und besonnenen Männern gelernt, daß in rein lokalen Fragen ein Blatt mit einer gewissen Vorsicht zu Werke gehen muß.

      Aslaksen. Vollkommen einverstanden mit dem Redner.

      Hovstadt. Und in dem vorliegenden Falle steht es über allem Zweifel, daß Herr Doktor Stockmann die allgemeine Stimmung gegen sich hat. Was ist aber die erste und vornehmste Pflicht eines Redakteurs, meine Herren? Doch wohl die: in Übereinstimmung mit seinen Lesern zu wirken? Hat er nicht sozusagen ein stillschweigendes Mandat, standhaft und unbeirrt die Wohlfahrt seiner Gesinnungsgenossen zu fördern? Oder sollte ich mich hierin irren?

      Viele Stimmen. Nein, nein, nein! Hovstad hat recht!

      Hovstadt. Es hat mich einen schweren Kampf gekostet, mit einem Manne zu brechen, in dessen Hause ich noch in jüngster Zeit ein häufiger Gast gewesen bin, – mit einem Manne, der bis zu diesem Tage sich bei seinen Mitbürgern des ungeteilten Wohlwollens erfreuen durfte, – einem Manne, dessen einziger – oder wenigstens hauptsächlichster Fehler ist, daß er mehr sein Herz als seinen Kopf um Rat fragt.

      Stimmen hier und dort. Sehr richtig! Hoch Doktor Stockmann!

      Hovstadt. Aber meine Pflicht der Gesellschaft gegenüber gebot mir, mit ihm zu brechen. Und dann gibt es noch eine Rücksicht, die mich veranlaßt, ihn zu bekämpfen und ihn womöglich von dem schicksalsschwangeren Weg abzubringen, den er eingeschlagen hat; das ist die Rücksicht auf seine Familie –

      Stockmann. Bleiben Sie bei der Wasserleitung und der Kloake!

      Hovstadt. – die Rücksicht auf seine Gattin und seine unversorgten Kinder.

      Morten. Meint er uns, Mutter?

      Frau Stockmann. Pst!

      Aslaksen. Ich bringe also den Antrag des Herrn Stadtvogts zur Abstimmung.

      Stockmann. Ist nicht nötig! Ich gedenke jetzt nicht über die Schweinerei da unten in der Badeanstalt zu reden. Nein, – Ihr sollt etwas ganz anderes zu hören bekommen.


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