Die berühmtesten Dramen von Henrik Ibsen. Henrik Ibsen
Stockmann, in Hut und Mantel, tritt links durch die Tür im Hintergrund.
Frau Stockmann sieht den Doktor. Also richtig!
Hovstadt ihr entgegen. Ei, sieh da, Sie kommen auch, gnädige Frau?
Stockmann. Was zum Henker willst Du hier, Käte?
Frau Stockmann. Das kannst Du Dir doch wohl denken.
Hovstadt. Wollen Sie sich nicht setzen? Oder vielleicht –
Frau Stockmann. Danke sehr; bemühen Sie sich nicht. Und nehmen Sie es auch nicht übel, wenn ich komme, um Stockmann zu holen; denn ich bin Mutter von drei Kindern, will ich Ihnen sagen.
Stockmann. Unsinn, Unsinn! Das wissen wir ja.
Frau Stockmann. Na, aber es hat wirklich nicht den Anschein, als ob Du heut sonderlich an Frau und Kind dächtest; denn sonst würdest Du doch nicht hingehen und uns allesamt ins Unglück stürzen.
Stockmann. Aber Du bist ja nicht recht gescheit, Käte? Soll es einem Manne, der Frau und Kinder hat, verwehrt sein, die Wahrheit zu verkünden, – ein nützlicher und tätiger Staatsbürger zu sein, – soll es ihm verwehrt sein, der Stadt zu dienen, in der er lebt!
Frau Stockmann. Alles mit Maß, Thomas!
Aslaksen. Das sage ich auch. Maß in allen Dingen.
Frau Stockmann. Und deshalb versündigen Sie sich an uns, Herr Hovstad, wenn Sie meinen Mann von Haus und Hof weglocken und ihn zu dieser ganzen Geschichte verleiten.
Hovstadt. Ich verleite wahrhaftig keinen zu –
Stockmann. Verleiten! Glaubst Du, ich ließe mich verleiten!
Frau Stockmann. Ja, das tust Du. Ich weiß wohl, daß Du der klügste Mann in der Stadt bist, aber Du läßt Dich so furchtbar leicht verleiten, Thomas. Zu Hovstad. Denken Sie doch bloß, er wird seine Stelle als Badearzt verlieren, wenn Sie das drucken, was er geschrieben hat –
Aslaksen. Wie – was?
Hovstadt. Ja, wissen Sie was, Herr Doktor –
Stockmann lacht. Haha, sie sollen's nur probieren –! Ach was, – sie werden sich hüten. Denn ich habe die kompakte Majorität hinter mir, siehst Du!
Frau Stockmann. Ja, das ist eben Dein Unglück, daß Du so was Ekliges hinter Dir hast.
Stockmann. Schnickschnack, Käte; – geh nach Hause und kümmere Dich um Deine Wirtschaft und überlaß mir die Sorge um das Gemeinwesen. Wie kannst Du nur so ängstlich sein, wenn ich so froh und zuversichtlich bin? Reibt sich die Hände und geht auf und ab. Die Wahrheit und das Volk werden die Schlacht gewinnen, – darauf kannst Du schwören. O, ich sehe ihn, den ganzen freisinnigen Bürgerstand, wie er sich schart zu einem siegreichen Heere –! Bleibt vor einem Stuhl stehen. Was – was zum Teufel ist denn das?
Aslaksen sieht hin. Au weh!
Hovstadt ebenso. Hm –
Stockmann. Da liegt ja der Gipfel der Autorität.
Faßt behutsam die Mütze des Stadtvogts mit den Fingerspitzen und hält sie empor.
Frau Stockmann. Die Mütze des Stadtvogts!
Stockmann. Und hier auch der Kommandostab. Kreuzhimmeldonnerwetter, wie –?
Hovstadt. Nun ja denn –
Stockmann. Ah! Ich verstehe! Er ist hier gewesen, um Sie zu beschwatzen. Haha! Da ist er an den Rechten gekommen! Und wie er mich in der Druckerei sah –. Bricht in Gelächter aus. Da riß er aus, Herr Aslaksen?
Aslaksen schnell. Ja, weiß Gott, da riß er aus, Herr Doktor.
Stockmann. Da riß er aus und ließ Stock und –. Quatsch, – Peter reißt vor nichts aus. Aber wo, zum Henker, habt Ihr ihn gelassen? Ah, – da drin natürlich. Jetzt paß mal auf, Käte!
Frau Stockmann. Thomas, – ich bitte Dich –!
Aslaksen. Nehmen Sie sich in acht, Herr Doktor!
Stockmann hat sich die Mütze des Stadtvogts aufgesetzt und nimmt den Stock; dann geht er an die Tür, öffnet und grüßt mit der Hand an der Mütze. Der Stadtvogt kommt herein, rot vor Zorn. Hinter ihm kommt Billing.
Stadtvogt. Was soll der Unfug heißen?
Stockmann. Respekt, mein guter Peter. Jetzt bin ich in der Stadt die Autorität. Spaziert auf und ab.
Frau Stockmann, der die Tränen nahe sind. Aber – aber, Thomas!
Stadtvogt geht hinter ihm her. Gib mir meine Mütze und meinen Stock!
Stockmann wie zuvor. Bist Du Polizeimeister, so bin ich Bürgermeister, – ich bin Meister vom Ganzen, siehst Du!
Stadtvogt. Leg' die Mütze hin, sage ich. Vergiß nicht, es ist die reglementsmäßige Amtsmütze!
Stockmann. Pah! Glaubst Du, daß der erwachende Volkslöwe sich durch Amtsmützen schrecken ließe ? Ja, Du, – wir machen morgen Revolution in der Stadt. Du hast gedroht, mich abzusetzen; aber nun setze ich Dich ab, – setze Dich von allen Deinen Vertrauensämtern ab. – Glaubst Du etwa, ich kann das nicht? O doch. Die siegenden Gewalten der Gesellschaft sind mit mir. Hovstad und Billing werden im »Volksboten« donnern, und Aslaksen rückt aus an der Spitze des ganzen Vereins der Hausbesitzer –?
Aslaksen. Das tue ich nicht, Herr Doktor.
Stockmann. Sie werden es tun –
Stadtvogt. Aha; Herr Hovstad zieht es am Ende doch vor, sich der Agitation anzuschließen?
Hovstadt. Nein, Herr Stadtvogt.
Aslaksen. Nein, Herr Hovstad ist nicht so dumm, um eines Hirngespinstes willen sich selbst und die Zeitung zu ruinieren.
Stockmann sieht sich um. Was soll das heißen?
Hovstadt. Sie haben Ihre Sache in einem falschen Lichte dargestellt, Herr Doktor; und deshalb kann ich Sie nicht unterstützen.
Billing, Nein, – nach allem, was der Herr Stadtvogt so liebenswürdig war, mir da drin mitzuteilen –
Stockmann. In falschem Licht? Das lassen Sie doch meine Sorge sein. Drucken Sie nur meinen Aufsatz; ich bin Manns genug, dafür einzustehen.
Hovstadt. Ich drucke ihn nicht. Ich kann und will und darf ihn nicht drucken.
Stockmann. Sie dürfen nicht? Was ist das für ein Unsinn? Sie sind doch Redakteur; und die Redakteure, die regieren doch die Presse, sollte ich meinen!
Aslaksen. Nein, das tun die Abonnenten, Herr Doktor.
Stadtvogt. Glücklicherweise, ja.
Aslaksen. Die öffentliche Meinung, das aufgeklärte Publikum, die Hausbesitzer und all die andern; die regieren die Presse.
Stockmann gefaßt. Und diese Mächte habe ich alle gegen mich?
Aslaksen. Ja, das haben Sie. Es würde für die Bürgerschaft den reinen Ruin bedeuten, wenn Ihr Artikel gedruckt würde.
Stockmann. Jaso. –
Stadtvogt. Meine Mütze und meinen Stock!
Stockmann nimmt die Mütze ab und legt sie mit dem Stock zusammen auf den Tisch.
Stadtvogt nimmt beides. Deine Bürgermeisterwürde hat ein jähes Ende genommen.
Stockmann. Wir sind noch nicht am Ende. Zu Hovstad. Es ist also ganz unmöglich, meinen Aufsatz in den »Volksboten« zu bringen?
Hovstadt. Ganz unmöglich; auch mit Rücksicht auf Ihre Familie.
Frau Stockmann. Ach, lassen Sie doch die Familie nur aus dem Spiel, Herr Hovstad.
Stadtvogt zieht ein Papier aus der Tasche. Zur Orientierung des Publikums wird es genügen, wenn das hineinkommt; es ist eine authentische Erklärung. Bitte schön.
Hovstadt nimmt das Papier. Gut; es