Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking

Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe - Levin Schücking


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eine enge Schlucht in ein Seitental von sehr mäßiger Ausdehnung. Die Sonne stand nicht weit mehr von den höchsten Gipfeln im Westen entfernt und indem sie jetzt gerade in das Gesicht der Wanderer schien, lag der Glast ihrer schrägen Strahlen zugleich auf die Fensterscheiben einer Burg, die links auf einem vorspringenden Bergrücken stand und das Tal beherrschte, obwohl noch über ihr, eine Strecke höher hinauf, eine kleine Kapelle emporgeklommen schien, die weiß getüncht, hell aus der grünen Waldumfassung hervorleuchtete. Ein kleines Dorf mit einem niedern, grauen Kirchturme, lag unten im Grunde des Tales. Der Weg führte hindurch, und an der zerfallenen Kirchhofumfassung her, über welche die im feuchten Schatten lang aufgeschossenen Grashalme nickten, eine üppige Vegetation, die die Grabhügel mit den Steinplatten oder das kleine schwarze Holzkreuz, das gesenkt darüber hing, unsichtbar machte. Holunderbäume, Dorngesträuch und eine Gruppe von breitblätterigen Linden hatten sich brüderlich in den übrigen Boden geteilt und dienten einer Schar zwitschernder Sperlinge zum Aufenthalt. Der Kirchhof lag um mehrere Schuh über den Weg, der zugleich die Hauptstraße des Dorfes bildete, erhöht, so daß unten von der Kirche nur der Turm, das bemooste Ziegeldach und der obere Teil der schmalen, spttzbogigen Fenster sichtbar wurden. Es war so stille ringsumher, daß man das Tiktak der Turmuhr vernehmlich aus dem grauen Gemäuer schallen hörte wie ein Herzpochen des alten sinnenden Dorfwächters. Nur einige Knaben und Mädchen, Nachzügler der aus der Schule entlassenen Jugend schlenderten durch den Hohlweg und kletterten auf die Kirchhofmauer, um von da herab mit stiller Neugier die ankommenden Fremden anzuschauen. Ein Junge griff nach einem Stein, um nach den Pferden zu werfen; aber als der Vikarius ihn anblickte, sprang er beschämt hinter den nächsten Dornbusch; die andern tummelten sich herunter, dem Geistlichen eine Kußhand zu geben und dann auch Berhard ihre kleinen, schmutzigen Fäuste zu reichen.

      »So, das sind artige Kinder,« sagte Herr Gerhards; »aber wo ist denn Antönchen? muß er die Pferde werfen?« sieh mal! soll ich's mal dem Schulmeister sagen?«

      Der kleine Bösewicht steckte den Kopf hurtig durch die Zweige seines Strauches und rief von oben herab: »O, das tut Ihr doch nicht, Ihr wollt mir nur bange machen!«

      »So wart' nur! Das konnte doch wohl sein!«

      »Nein, Herr Vikarjes ist viel zu gut!« rief Anton und duckte blitzschnell wieder hinter den Strauch zurück.

      »Es sind gute Kinder,« sagte der Vikarius im Weiterschreiten zu Bernhard; »haben Sie bemerkt, wie die kleine Range gar nicht daran dachte, ihr Vergehen abzuleugnen?«

      Einige hundert Schritte von der Kirche entfernt, an dem Wege, der zum Schlosse hinaufführte, lag das Ziel der Reise, das kleine Vikariehaus. Hinter seinem Gärtchen, von hohen Obstbäumen beschattet, von dem Grün wilder Weinreben dicht umrankt, bildete es die lieblichsten Idylle, die man sich denken kann. Es hatte nur ein Stockwerk, an beiden Seiten der Haustüre drei fast quadratförmige Fenster mit runden bleigefaßten Scheiben und außer dem Garten, der es von der Straße schied, noch rundumher einen großen Baumhof; dieser war durch einen breiten Bach begrenzt, über den ein Steg mit einer Lehne auf eine von den Dörflern zur Bleiche ihres selbstgesponnenen Leinens benutzte Wiese und zu einer tiefer unten in dichtem Erlengebüsch liegenden Mühle führte.

      Der Vikarius holte aus einem Nachbarhaus die Schlüssel zu seiner Besitzung; als er die Haustür geöffnet hatte und die Läden vor den Fenstern zurückgeschlagen waren, sah sich Margret in der steingepflasterten Küche um, prüfte, ob die geweißten Wände auch Spuren des Rauches trügen, und als der Vikarius sie in dieser Beziehung beruhigt hatte, schickte sie, ohne weiter die andern Räume anzusehen, Lene zum Fuhrmann hinaus mit der Weisung, er könne nur abpacken. – In einer anstoßenden Kammer ständen sämtliche Betten und Möbel aufeinander geschichtet; sie wurden herausgeholt, aufgestellt, die Fenster geöffnet, um frische Luft in die verschlossenen Räume zu lassen; dann wurde ein Feuer angezündet, zu dem die Nachbarsfrau eilfertig eine Schaufel mit Kohlen herbeigebracht hatte – um nebenbei zu sehen, wen der Herr Vikarius denn da in aller Welt aufgegabelt habe – und Margret saß bald ganz behaglich im Lehnsessel an einer prasselnden Herdflamme, noch immer ziemlich schweighaft, aber, wie es schien, ganz zufrieden mit der neuen Behausung in diesem von der Welt abgeschnittenen Erdwinkel, wo niemand sie kannte und niemand also auch von ihrem schmachvollen Rückzug von Bechenburg eine Ahnung haben konnte.

      Die nötigsten Vorbereitungen für die erste Nacht nahmen den Rest des Abends fort. Als Bernhard am andern Morgen sich erhob, um an die Einrichtung des Zimmers zu gehen, das er schon den Abend vorher für sich ausgewählt hatte, fand er Lene darin beschäftigt, den Fußboden zu scheuern, die Ranken von dem Fenster zusammenzuflechten, die zu üppig es überwucherten, und eine Reihe von Blumenscherben mit Monatsrosen, die sie hinter dem Hause auf dem Baumhofe stehend gefunden, über der Fensterbank aufzustellen. Bernhard hatte nur noch Tisch und Stühle zurechtzuschieben und seine Bücher zu ordnen und er war im Besitz eines so freundlichen Studierzimmers, daß er die hohen und etwas wüsten Räume auf Bechenburg gern entbehrte.

      Nachdem nun noch Frau Margret eine Ziege und eine Katze sich angeschafft, auch für den Einkauf der nötigsten Vorräte gesorgt hatte,war die kleine Familie ebenso vollständig installiert, als mit der Beschaffenheit ihrer neuen Heimat zufrieden.

      Elftes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Die einzigen Personen des Ortes, mit denen Bernhard hoffen durfte einen Verkehr anzuknüpfen, waren der Pfarrer und der gnädige oben auf dem Schlosse. Der erstere war ein guter, freundlicher Mann, aber in seiner Einsamkeit etwas verbauert, so daß sich mit ihm keine Berührungspunkte finden ließen; dagegen war Herr von Kraneck der leutseligste Mann, der je in der stattlichen und im Innern mit einem großen Aufwande an schwerfälliger Pracht ausgebauten Burg Hohenkraneck da oben gehaust haben mochte; und da er an dem jungen Fremden die zwei unschätzbaren Eigenschaften entdeckt hatte, seinem Vikarius die Messe dienen zu können, wenn dieser Sonntags in der Hauskapelle fungierte – es war immer eine große Not um ein dazu passendes Subjekt oben gewesen, seit der Sohn des Freiherrn als Kammerherr am kurfürstlichen Hofe sich aufhielt – und ferner ein geschickter Partner für eine Partie L'hombre zu sein, womit sich Herr von Kraneck die Abendstunden schon lange gern vertrieben hätte, wäre nur jemand dagewesen, der es verstanden – war er die Gefälligkeit und Freundlichkeit selbst.

      Er saß einige Tage, nachdem Herr Gerhards sich mit der gehorsamsten Vorstellung des fremden Herrn beehrt hatte, in einem Lehnstuhl am Fenster seines hohen Wohnsaales und schaute auf das reizend schöne Tal mit seinem Kranze dichtbewaldeter Berge vor und unter ihm hinaus, über das seine Blicke jetzt oft gestreift, um von ganz bedeutender Langeweile gesättigt zurückzukehren. Ihm gegenüber auf einer Chaiselongue ruhte seine Gemahlin, eine Dame, die nahe an den Sechzigen war; klein, stark, aber fein gebaut und zierlich in allen Bewegungen. Sie hatte eine Stickerei vor sich, in der sie mit großer Ruhe von Zeit zu Zeit einen Stich anbrachte, ebenso schweigsam wie ihr Gemahl, mit der Ausnahme, daß sie zuweilen ein freundliches Wort ihrem dicken Mops zuflüsterte, der neben ihr wie ein Igel zusammengerollt in der Ecke der Polster lag und bald in tiefem Schlafe befangen schien, bald ganz lebendig mit dem Kopfe auffuhr, wenn ihm eine Fliege um die Nase summte, mit den klugen Augen blinzelte und augenscheinlich dann die wichtige Frage im stillen Gemüte wälzte, ob mit glücklichem Erfolg danach zu schnappen sei oder nicht.

      Der Freiherr nahm eine schwere, goldene Dose, klopfte mit dem Finger daran und öffnete sie; dann erhob er sich, trat vor die Dame hin und sprach, indem er sein schwarzes Samtkäppchen von den kargen, schneeweißen Locken nahm: »Ma chère, peux-je vous offrir une prise de tabac?«

      Die Dame tunkte zwei ihrer zarten kleinen Finger, an deren einem ein Rubin glänzte, in die dargebotene Dose und versetzte: »Mon cher, tout ce qui vient de vous ne peut-être qu'agrèable.«

      Der Mops dankte durch ein freundliches Gekläff für die Aufmerksamkeit, die seiner Gebieterin wurde.

      Diese Szene wiederholte sich mindestens jede halbe Stunde an jedem Abend, den Gott kommen ließ. Die guten Leute hatten sich über Freud und Leid, das sie nun seit langen Jahren treu miteinander getragen, vollständig ausgesprochen. Es war alles in Vertrauen auf Gott und mit Dankbarkeit ertragen


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