Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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jetzt nur mehr gereizt und nervös ins Auge, als hätte er in dem erstbesten Passanten auf der Straße Jemanden gewittert, der ihm die gewünschten Gelder vorstrecken würde. Daheim führte Angèle ihre bescheidene, glückliche Lebensweise weiter, während er auf eine günstige Gelegenheit lauerte und sein gutmüthiges Lachen immer unfreundlicher tönte, weil diese Gelegenheit zu lange auf sich warten ließ.

      Aristide hatte eine Schwester in Paris. Sidonie Rougon hatte einen Advokatengehilfen in Plassans geheirathet, der sich dann mit ihr in der Rue Saint-Honoré zu Paris niederließ, um einen Handel mit Südfrüchten zu betreiben. Als ihr Bruder sie daselbst aufsuchte, war der Gatte verschwunden und der Laden längst aufgegeben. Sie bewohnte jetzt in der Rue du Faubourg-Poissonnière ein aus drei Räumen bestehendes Halbgeschoß, hatte aber auch den sich unter ihrer Wohnung befindlichen Laden im Erdgeschoß gemiethet, einen engen, geheimnißvollen Laden, in welchem sie einen Spitzenhandel zu betreiben vorgab. Thatsächlich konnte man in einem gläsernen Schaukasten kleine Stückchen verschiedener Spitzenarten auf vergoldeten Messingstäben aufgehängt sehen; das Innere des Raumes aber glich infolge seines glänzenden Wandgetäfels einem Vorzimmer und zeigte keine Spur irgend welcher Waare. Thür und Schaufenster waren mit leichten Vorhängen versehen, die einerseits jeden unberufenen Blick von der Straße abwehrten, andererseits dem Laden das verschwiegene und verschleierte Aussehen eines Warteraumes verliehen, welcher gleichsam die Vorhalle zu einem unbekannten Tempel bildete. Nur selten sah man bei Frau Sidonie eine Klientin vorsprechen und in den meisten Fällen war sogar der Thürdrücker abgenommen. Der Nachbarschaft erzählte sie, sie gehe selbst ihre Spitzen reichen Damen zum Kaufe anbieten. Des Ferneren behauptete sie, Laden und Wohnung im Halbgeschoß, welche durch eine in der Mauer verborgene Treppe mit einander verbunden waren, nur gemiethet zu haben, um Beides besser ausnützen zu können. Thatsächlich verweilte die Spitzenhändlerin stets auswärts und man sah sie wohl zehnmal im Tage mit geschäftiger Miene heimkehren und wieder fortgehen. Im Uebrigen beschränkte sie sich nicht auf den Spitzenhandel; sie verwerthete ihr Halbgeschoß, indem sie dort die verschiedensten Dinge feilbot. Sie hatte daselbst Kautschuckgegenstände, als Mäntel, Schuhe, Galoschen veräußert; dann sah man daselbst eine neue Pommade zur Beförderung des Haarwuchses, orthopädische Apparate, eine automatische Kaffeemaschine, eine patentirte Erfindung, deren Vertrieb ihr viele Mühe verursachte. Als ihr Bruder sie aufsuchte, beschäftigte sie sich mit dem Vermiethen von Klavieren, mit welchen ihre Wohnung ganz angefüllt war; ein Piano stand sogar in ihrem Schlafzimmer, ein recht kokett eingerichtetes Gemach, welches mit der in den übrigen Räumen herrschenden Unordnung sehr auffallend kontrastirte. Sie betrieb ihre zwei Geschäfte mit vollendeter Methode. Die Klienten, die der im Halbgeschoß befindlichen Waaren halber vorsprachen, kamen und gingen durch das Thor, welches das Haus in der Rue Papillon hatte; man mußte in das Geheimniß der kleinen Treppe eingeweiht sein, um die zweifachen Geschäfte der Spitzenverkäuferin zu kennen. Im Halbgeschoß nannte sie sich Frau Touche, so wie ihr Gatte geheißen, während sie über die Thür des Ladens blos ihren Vornamen gesetzt hatte, demzufolge sie zumeist nur Frau Sidonie hieß.

      Frau Sidonie war fünfunddreißig Jahre alt; doch kleidete sie sich mit solcher Sorglosigkeit, hatte in ihrem ganzen Gebahren so wenig Frauenhaftes an sich, daß man sie für bedeutend älter gehalten hätte. In Wirklichkeit hatte sie gar kein Alter. Stets trug sie ein schwarzes Kleid, welches durch den Gebrauch weißlich und fadenscheinig geworden und an den in den Gerichtssälen abgenützten Habit eines Advokaten erinnerte. Sie trug einen schwarzen Hut, der ihr bis in die Stirne reichte und ihr Haar verbarg, plumpe Schuhe an den Füßen und so trottete sie durch die Straßen, mit einem kleinen Korb am Arme, dessen Henkel mit Bindfaden umwickelt war. Dieser Korb, den sie niemals von der Hand ließ, barg eine ganze Welt in seinem Inneren. Wenn sie denselben öffnete, kam eine Musterkarte aller möglichen Dinge zum Vorschein: Notizbücher, Brieftaschen, vor Allem aber ganze Bündel gestempelter Papiere, deren unleserliche Schrift sie mit besonderer Geläufigkeit entzifferte. Sie vereinigte Makler und Gerichtsvollzieher in ihrer Person und hatte stets Proteste und gerichtliche Vorladungen bei sich. Wenn sie für zehn Francs Pommade oder Spitzen untergebracht hatte, so erschmeichelte sie sich die Gunst ihrer Klientin und machte sich zu deren Sachwalterin, indem sie an deren Stelle mit den Advokaten, Gerichtspersonen und Gläubigern unterhandelte. So barg denn ihr kleines Körbchen Wochen lang ganze Prozesse, die sie mit sich schleppte, um deren Willen sie sich die denkbar größte Mühe gab, Paris von einem Ende zum anderen durchwanderte, stets mit ihren gleichmäßigen ruhigen Schritten, ohne sich jemals eines Wagens zu bedienen. Nur schwer hätte man zu sagen vermocht, welchen Nutzen sie aus einer derartigen Beschäftigung zog; vorerst ging sie derselben aus reiner Liebe zur Sache nach, aus Neigung für nicht ganz lautere Angelegenheiten, aus Geschmack an Chikanen. Dann aber warf ihr dieselbe eine Menge kleiner Vortheile ab: Diners, die ihr hier und dort angeboten wurden, Zwanzig-Sousstücke, die sich rechts und links erwerben ließen. Das Beste an der Sache waren aber die vertraulichen Mittheilungen, die ihr von allen Seiten gemacht wurden und die ihr zu manch' unverhofftem Vortheil verhalfen. Da sie sozusagen bei fremden Leuten lebte, stets in die Angelegenheiten Anderer eingeweiht war, so bildete sie ein lebendes Nachschlagebuch von Gesuchen und Angeboten. Sie wußte, wo es eine Tochter gäbe, die sofort verheirathet werden mußte, eine Familie, die dreitausend Francs benöthigte, einen alten Herrn, der die dreitausend Francs vorzustrecken bereit wäre, doch nur gegen sichere Bürgschaft und hohe Zinsen. Aber auch delikatere Dinge waren ihr bekannt; so der Kummer einer schönen blonden Dame, die von ihrem Gatten nicht verstanden wurde und die sich darnach sehnte, verstanden zu werden; die geheimen Wünsche einer guten Mutter, die ihre Tochter gerne vortheilhaft untergebracht sehen wollte; die Geschmacksrichtung eines reichen Barons, der eine Vorliebe für kleine Soupers und sehr junge Mädchen hatte. Mit einem matten Lächeln setzte Frau Sidonie diese Gesuche und Angebote in Verkehr, legte zwei Meilen zurück, um die Leute einander näherzubringen; sie schickte den reichen Baron zu der guten Mutter, veranlaßte den alten Herrn, der bedrängten Familie die dreitausend Francs vorzustrecken, fand einen Tröster für die blonde Dame und einen wenig skrupulösen Gatten für die heirathsbedürftige Tochter. Dann aber hatte sie auch große Angelegenheiten, die sie offen eingestand und mit welchen sie den Leuten den Kopf voll schwatzte, wenn ihr dies von Vortheil schien: einen langwierigen Prozeß, mit welchem eine zu Grunde gerichtete vornehme Familie sie betraut hatte und eine Schuld, welche England noch aus den Zeiten der Stuarts an Frankreich zu entrichten hatte und die sich die aufgelaufenen Zinsen mitinbegriffen, auf drei Milliarden belief. Diese Schuld von drei Milliarden bildete ihr Steckenpferd; sie erläuterte die Sache mit einer Fülle von Einzelheiten, wobei sie einen ganzen Lehrgang der Geschichte vortrug und die Röthe der Begeisterung färbte dann ihre sonst wachsbleichen Wangen. Auf dem Gange zum Gerichtsvollzieher oder zu einer Freundin verkaufte sie zuweilen einen Kautschuckmantel, eine Kaffeemaschine, brachte sie ein Stück Spitze unter oder sie vermiethete ein Piano. Dies aber bildete ihre geringsten Sorgen. Darauf eilte sie rasch in ihre Niederlassung zurück, da eine Klientin versprochen, sich dort wegen Besichtigung eines Stückes Seidenspitze einzufinden. Die Klientin langte tatsächlich an und glitt wie ein Schatten in den schweigsamen, verhängten Laden. Und es war nichts Seltenes, daß zur selben Zeit ein Herr durch das Thor der Rue Papillon eintrat, um im Halbgeschoß die Klaviere der Frau Touche zu besichtigen.

      Wenn sich Frau Sidonie kein Vermögen erwarb, so lag der Grund darin, daß sie häufig aus reiner Liebe zur Kunst arbeitete. Sie war eine Freundin der Prozesse, vergaß an die eigenen Angelegenheiten für die anderer Leute und ließ sich von den Gerichtsvollziehern aussaugen, was ihr übrigens einen förmlichen Genuß bereitete, den nur solche Leute zu würdigen wissen, die selbst Prozesse zu führen gewohnt sind. Von der Frau war in ihr keine Spur mehr vorhanden; sie war nichts weiter mehr als ein Geschäftsvermittler, eine Maklerin, die man zu jeder Tageszeit auf der Straße antreffen konnte und die in ihrem aller Welt bekannten Korbe die zweideutigste Waare mit sich führte, Alles kaufte und verkaufte, von Milliarden träumte und für eine begünstigte Klientin beim Friedensrichter um einen Nachlaß von zehn Francs bettelte. Klein, mager, blaß, in ihrem ewigen schwarzen Kleide steckend, war sie gänzlich zusammengeschrumpft und wenn man sie längs der Häuser dahineilen sah, hätte man sie für einen als Mädchen verkleideten Laufburschen angesehen. Ihr Gesicht hatte die fahle Farbe des gestempelten Papiers angenommen. Um ihre Lippen spielte ein mattes Lächeln, während ihre Augen in dem Gewirr der Geschäfte und Unterhandlungen aller Art verloren schienen, von welchen sie in Anspruch genommen war. Von bescheidenem, schüchternem Benehmen, roch sie nach dem


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