Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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Leiden des Herzens empfindet. Sie sprach niemals von ihrem Gatten, so wenig wie von ihrer Kindheit, ihrer Familie, ihren Interessen. Einen Gegenstand gab es indessen, den sie nicht verkaufte und das war sie selbst; nicht etwa, als hätte sie sich darob Skrupel gemacht, sondern weil ihr der Gedanke an einen solchen Handel gar nicht kommen konnte. Sie war trocken wie eine Advokatenrechnung, kalt wie ein Wechselprotest, gleichmüthig und brutal wie ein Gerichtsdiener.

      Saccard, der frisch aus seiner Provinz angelangt war, vermochte sich für's Erste nicht in die unergründlichen Tiefen der zahlreichen Geschäfte seiner Schwester zu versenken. Da er ehemals während der Dauer eines Jahres seinen Rechtsstudien obgelegen, sprach sie mit ihm eines Tages über die bewußten drei Milliarden, was ihm einen recht armseligen Begriff von ihrer Intelligenz gab. Sie fand sich eines Tages in dem bescheidenen Heim der Rue Saint-Jacques ein, schätzte Angèle mit einem Blick ab und ließ sich erst wieder sehen, wenn ihre Geschäfte sie nach dem Viertel führten oder sie das Bedürfniß empfand, ihre drei Milliarden zur Sprache zu bringen. Angèle glaubte an die englische Staatsschuld; die Maklerin bestieg ihr Steckenpferd und ließ es während einer Stunde lustig Kapriolen schlagen, daß das Gold von allen Seiten herbeizuströmen begann. Dies war sozusagen der Riß in diesem starken Geiste, der süße Wahn, mit welchem sie ihr Leben verschönte, das sie in schmählichem Handeln verbrachte, der magische Köder, an welchem sie sich sammt den leichtgläubigen Personen ihres Kundenkreises berauschte. Da sie überdies an ihrer Ueberzeugung festhielt, sprach sie über diese drei Milliarden schließlich wie über ihr persönliches Vermögen, welches ihr die Richter früher oder später dennoch zuurtheilen müßten und diese Zuversicht umgab ihren armseligen schwarzen Hut, auf welchem einige abgeblaßte Veilchen saßen, deren Stengel bereits den dünnen Messingdraht sehen ließ, mit einem wundersamen Glorienschein. Angèle riß die Augen weit auf. Wiederholt sprach sie ihrem Gatten gegenüber in Ausdrücken tiefer Verehrung über ihre Schwägerin, wobei sie behauptete, Frau Sidonie würde sie Alle vielleicht eines Tages reich machen. Saccard zuckte die Achseln; er hatte das Halbgeschoß und den Laden in der Rue Faubourg-Poissonnière besichtigt und daselbst blos die Anzeichen eines bevorstehenden Bankerotts wahrgenommen. Er wollte die Meinung Eugens über ihre Schwester erfahren; Der aber nahm eine ernste Miene an und beschränkte sich zu erwidern, daß er sie niemals sehe, aber wisse, daß sie sehr verständig sei, allerdings vielleicht auch ein wenig kompromittirend. Als aber Saccard einige Zeit nachher abermals in der Rue de Penthièvre vorsprach, glaubte er das schwarze Kleid der Frau Sidonie von seinem Bruder herauskommen und längs der Häuser dahineilen zu sehen. Er trat eilig näher, konnte das schwarze Kleid indessen nicht wiederfinden. Die Maklerin hatte eine jener schmiegsamen Gestalten, die unter der Menge verschwinden. Dieser Zwischenfall stimmte ihn nachdenklich und von da an widmete er seiner Schwester mehr Aufmerksamkeit. Bald hatte er auch herausgefunden, welche Arbeitslast auf diesem unscheinbaren, bleichen Geschöpfe ruhe, dessen Antlitz gar so nichtssagend dreinblickt. Er begann Achtung für sie zu empfinden. In ihren Adern floß das Blut der Familie Rougon. Er erkannte den Gelddurst, das Bedürfniß nach Ränken, welches bei seiner ganzen Familie charakteristisch war; nur war bei ihr das gemeinsame Temperament, dank der Umgebung, in welcher sie alt geworden, dank diesem Paris, in welchem sie sich des Morgens das harte Brod für den Abend erwerben mußte, in einer Weise entartet, daß dieser merkwürdige Hermaphroditismus des geschlechtlosen Weibes zum Vorschein kam, das Geschäftsmann und Kupplerin zugleich war.

      Als Saccard seinen Plan entworfen hatte und an die Beschaffung der ersten Mittel ging, dachte er natürlich an seine Schwester. Sie schüttelte den Kopf und sprach seufzend von ihren drei Milliarden. Aristide aber ließ ihr diese Thorheit nicht ruhig hingehen, sondern kanzelte sie derb ab, so oft sie auf die von den Stuarts kontrahirte Schuld zu sprechen kam; dieser haltlose Traum schien in seinen Augen einer so praktischen Intelligenz zur Unehre zu gereichen. Frau Sidonie, welche die grausamste Ironie geduldig ertrug, ohne daß ihre Ueberzeugungen erschüttert werden konnten, setzte ihm hierauf mit großem Scharfsinn auseinander, daß er keinen Sou auftreiben werde, da er keinerlei Garantie bieten könne. Dieses Gespräch fand vor der Börse statt, an welcher sie sicherlich mit ihren Ersparnissen spielte. Gegen drei Uhr Nachmittags konnte man mit Sicherheit darauf rechnen, sie auf der Seite, wo sich das Postamt befand, am Gitter lehnen zu sehen, wo sie Leuten, die gleich ihr verdächtigen, zweideutigen Gewerben nachgingen, Audienz ertheilte. Als Aristide sich anschickte, seiner Wege zu gehen, murmelte sie bedauernden Tones: »Ach! wenn Du nicht verheirathet wärst! ...« Diese geheimnißvolle Andeutung, deren eigentlichen Sinn er sich nicht erklären lassen wollte, stimmte Saccard ganz besonders nachdenklich.

      Monate flossen dahin und der Krimkrieg war erklärt worden. Paris, das sich einen entfernten Krieg nicht anfechten ließ, stürzte sich ungestümer denn je in die Arme der Spekulation und schöner Frauen. Die Fäuste ballend, sah Saccard diese zunehmende Spielwuth mit an, die er ja kommen gesehen. Inmitten der riesigen Schmiede, in welcher die Hämmer das Gold auf dem Ambos bearbeiteten, ward er von Zorn und Ungeduld verzehrt. Wille und Intelligenz arbeiteten mit solcher Gewalt in ihm, daß er in einem fortwährenden Traume lebte, gleich einem Mondsüchtigen, der von einem nie ablassenden Gedanken gequält, am Rande des Daches einherwandelt. Darum war er auch auf's Höchste überrascht und gereizt, als er eines Abends heimkehrend, Angèle krank und im Bette liegend antraf. Sein mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerkes funktionirendes häusliches Leben wurde gestört und dies erbitterte ihn gleich einer vorbedachten Tücke des Schicksals. Die arme Angèle klagte leise; sie hatte sich offenbar ein heftiges Fieber zugezogen und empfand bald Kälte, bald Hitze. Als der Arzt anlangte, schien er sehr beunruhigt; auf dem Flur draußen sagte er zu dem Gatten, seine Frau habe sich eine Bauchfellentzündung zugezogen und er könne keine Bürgschaft für sie übernehmen. Von da an pflegte Aristide die Kranke ohne zornige Erregung; – er ging nicht ins Amt, verweilte an ihrem Lager und betrachtete sie mit einem unerklärlichen Ausdruck, wenn sie mit fiebergerötheten Wangen, nach Athem ringend, im Schlummer lag. Trotz ihrer erdrückenden Arbeitslast ermöglichte es Frau Sidonie, sich jeden Abend einzufinden, um die Tränke zu brauen, welchen sie eine mächtige Heilkraft zuschrieb. Nebst ihren zahllosen anderen Talenten besaß sie auch das einer Krankenwärterin in hohem Grade; sie war vertraut mit allen Krankheiten und Arzneien, sowie mit den herzbewegenden Gesprächen, die an den Sterbelagern geführt werden. Außerdem schien sie für Angèle eine zärtliche Freundschaft zu empfinden; sie liebte die Frauen mit wahrer Liebe und tausend Schmeicheleien, offenbar des Vergnügens halber, das sie den Männern gewähren. Sie behandelte dieselben mit der zarten Sorgfalt, welche Kaufleute für die kostbaren Artikel ihrer Schaufenster haben, nannte sie »mein Schatz, mein schönes Kind,« löste sich in Liebkosungen um sie auf, wie ein Liebender um den Gegenstand seiner Verehrung. Obschon Angèle eine Person war, aus welcher sie keinen Nutzen ziehen konnte, umschmeichelte sie sie gleich den anderen, aus reiner Gewohnheit. Als sich die junge Frau im Krankenbette befand, äußerte sich die Zuneigung der Frau Sidonie in rührender Weise; ihre Aufopferung erfüllte gleichsam das stille Krankenzimmer. Ihr Bruder sah sie kommen und gehen, mit zusammengepreßten Lippen, gleichsam versunken in stummem Schmerze.

      Die Krankheit verschlimmerte sich und eines Abends eröffnete ihnen der Arzt, daß die Kranke die Nacht nicht überleben werde. Frau Sidonie hatte sich schon früh eingefunden und blickte Aristide und Angèle aus ihren halb geschlossenen Augen an, in welchen es von Zeit zu Zeit kurz aufflammte. Als der Arzt gegangen war, schraubte sie die Lampe herab und tiefe Stille trat ein. Langsam hielt der Tod seinen Einzug in dieses warme Zimmer mit der feuchten Luft, in welchem der unregelmäßige Athem der Sterbenden gleich dem gestörten Ticken eines in Trümmer gehenden Uhrwerkes zu hören war. Frau Sidonie braute keine Arzneien mehr und ließ das Uebel sein Werk vollenden. Sie hatte sich vor dem Kamin, neben ihrem Bruder niedergelassen, der erregt mit der Zange in der Gluth stöberte und von Zeit zu Zeit unwillkürlich nach dem Bette hinüberblickte. Dann, gleichsam betäubt von dieser schweren Luft, durch diesen jammervollen Anblick, erhob er sich und ging in das anstoßende Zimmer hinüber. Dort hatte man die kleine Klotilde eingeschlossen, die auf einem Stück Teppich sitzend, mit ihrer Puppe spielte. Seine Tochter lächelte ihm entgegen, als Frau Sidonie, die hinter ihm ins Zimmer glitt, ihn in eine Ecke zog und mit leiser Stimme zu sprechen begann. Die Thür war offen geblieben und man vernahm das leichte Röcheln der Verscheidenden.

      »Deine arme Frau,« schluchzte die Maklerin; »ich glaube es ist zu Ende mit ihr. Hast Du gehört, was der Arzt sagte?«

      Saccard begnügte


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