Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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am Vorabend dieses großen Tages. Die Begegnung fand des Abends, bei Einbruch der Nacht statt; Schauplatz derselben war ein Saal im Hôtel Béraud. Sie betrachteten einander neugierig. Seitdem wegen dieser Verbindung unterhandelt wurde, hatte Renée ihre ganze Ausgelassenheit wiedergefunden. Sie war ein großes Mädchen von ausnehmender Schönheit, und mit den unbeschränkten Launen der Pensionärin herangewachsen. Sie fand, daß Saccard klein und häßlich sei; doch verrieth sein Gesicht dessenungeachtet viel Intelligenz und dies mißfiel ihr nicht, zumal sein Benehmen in Ton und Geberde nichts zu wünschen übrig ließ. Er verzog ein wenig das Gesicht, als er sie erblickte; offenbar erschien sie ihm zu groß, jedenfalls war sie größer als er. Sie wechselten einige Worte ohne jede Verlegenheit. Wäre der Vater zugegen gewesen, so hätte er thatsächlich glauben können, daß sie sich seit langer Zeit kannten und einen gemeinschaftlich begangenen Fehltritt hinter sich hätten. Tante Elisabeth, die bei der Begegnung anwesend war, erröthete an Stelle der zukünftigen Eheleute.

      Nach der Vermählung, welcher die Anwesenheit Eugen Rougons, der durch eine jüngst gehaltene Rede die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, einen besonderen Glanz verlieh, konnte das junge Paar endlich vor Herrn Béraud Du Châtel erscheinen. Renée weinte, als sie ihren Vater gealtert, ernster und düsterer denn je wiedersah. Saccard, den bisher nichts außer Fassung zu bringen vermocht, konnte sich eines leisen Schauers nicht erwehren, als er in dem kalten, halbdunkeln Gemach den traurig und streng blickenden großen Greis erblickte, dessen durchbohrendes Auge bis in die Tiefe seines Gewissens dringen zu wollen schien. Langsam küßte der alte Mann seine Tochter auf die Stirne, wie um ihr zu sagen, daß er ihr verzeihe und sich darauf zu seinem Schwiegersohne wendend, sprach er einfach:

      »Wir haben viel gelitten, mein Herr, und ich rechne darauf, daß Sie sich bemühen werden, Ihr Unrecht wieder gut zu machen.«

      Er reichte ihm die Hand; Saccard aber ward sein Unbehagen nicht los. Er sagte sich, daß wenn Herr Béraud du Châtel unter der tragischen Schmach seiner Tochter nicht zusammengebrochen wäre, er mit einem Blick, mit einer Anstrengung alle Machenschaften der Frau Sidonie vereitelt haben würde. Letztere war klüglich auf die Seite getreten, nachdem sie ihren Bruder mit Tante Elisabeth zusammengeführt, und nicht einmal bei der Vermählung zugegen gewesen. Aristide gab sich dem alten Manne gegenüber einfach und ungekünstelt, nachdem er in dem Auge desselben den Ausdruck des Staunens darüber wahrgenommen, daß er in dem Verführer seiner Tochter einen kleinen, häßlichen Mann von vierzig Jahren erblickte. Die Neuvermählten waren gezwungen, die ersten Nächte im Hôtel Béraud zu verbringen. Vor einem Monate etwa war Christine aus dem Hause entfernt worden, damit das vierzehnjährige Kind keine Kenntniß von dem Drama erhalte, dessen Schauplatz dieses Haus bildete, in welchem Ruhe und Stille herrschten wie in einem Kloster. Als sie zurückkehrte, war sie bestürzt bei dem Anblicke des Gatten ihrer Schwester, den auch sie alt und häßlich fand. Nur Renée schien das Alter und die nichtssagende Miene ihres Gatten nicht sonderlich wahrzunehmen. Sie bekundete ihm gegenüber weder Verachtung, noch Zärtlichkeit, behandelte ihn mit einer absoluten Ruhe, hinter welcher blos zuweilen ein Anflug ironischer Geringschätzung hervorlugte. Saccard benahm sich seinerseits mit Festigkeit und Selbstbewußtsein und dank seiner Schmiegsamkeit und Einfachheit gelang es ihm allmälig, Jedermanns Wohlwollen zu erringen. Als sie das Hôtel verließen, um in einem in der Rue Rivoli gelegenen neuen Hause eine prächtige Wohnung zu beziehen, drückte der Blick des Herrn Béraud du Châtel kein Erstaunen mehr aus und die kleine Christine spielte mit ihrem Schwager wie mit einem Kameraden. Renée war jetzt bereits seit vier Monaten schwanger und ihr Gatte gerade im Begriffe, sie auf's Land zu schicken, mit der Absicht, auf irgend eine Weise über das Alter des Kindes ein Märchen zu verbreiten, als sie, wie es Frau Sidonie vorausgesehen, vorzeitig niederkam. Sie hatte sich, um ihre Schwangerschaft zu verbergen, die unter ihren bauschigen Röcken übrigens ganz verschwand, derart geschnürt, daß sie einige Wochen das Bett hüten mußte. Er war ganz entzückt über das Geschehniß; endlich blieb das Glück ihm treu. Er hatte einen Goldhandel abgeschlossen, eine glänzende Mitgift und eine Frau erhalten, die so schön war, daß er binnen sechs Monaten eine Auszeichnung zu erhalten hoffte, und dafür keinerlei Lasten auf sich genommen. Man hatte ihm gegen eine Entschädigung von zweihunderttausend Francs seinen Namen für einen Fötus abgekauft, den die Mutter nicht einmal sehen wollte. Fortan dachte er voll Liebe an die in der Charonne gelegenen Besitzungen; vorläufig aber wendete er seine Aufmerksamkeit ausschließlich einer Spekulation zu, welche die Grundlage seines Reichthums bilden sollte.

      Trotz der hohen und geachteten Stellung, welche die Familie seiner Frau inne hatte, nahm er nicht sofort seine Entlassung als Magistratsbeamter. Er sprach davon, daß er vorher gewisse Arbeiten zu beenden und anderweitige Beschäftigung zu suchen habe. In Wirklichkeit aber wollte er bis zu Ende auf dem Kriegsschauplatze bleiben, wo er seine ersten Trümpfe ausspielte. Er war dort zu Haufe und konnte die Karten nach Belieben mischen.

      Der Operationsplan des Wegekommissärs war ebenso einfach als praktisch. Nun er mehr Geld in Händen hatte, als er jemals zu besitzen gehofft, um seine Operationen einzuleiten, konnte er seine Pläne im Großen in Scene setzen. Er kannte sein Paris auf's genaueste; er wußte, daß der goldene Regen, der daselbst zu fallen begann, mit jedem Tage dichter werden müsse. Intelligente Leute brauchten nur ihre Taschen zu öffnen. Zu diesen Intelligenten gehörte auch er, der in den Amtsbureaux des Stadthauses in die Zukunft blickte. Seine Thätigkeit hatte ihn gelehrt, was bei Käufen und Verkäufen von Häusern, Grundstücken und sonstigen Liegenschaften gestohlen werden könne. Alle klassischen Kunstgriffe des Betruges waren ihm geläufig; er wußte, wie man für eine Million verkaufe, was blos fünfhunderttausend Francs gekostet; auf welche Weise man das Recht bezahle, die Kassen des Staates zu plündern, der dabei lächelt und die Augen zudrückt; er wußte, wie man ein altes Stadtviertel mit einem Boulevard durchquerend, unter dem stürmischen Beifall der Betrogenen mit sechsstöckigen Häusern Fangball spielt. Und was ihn zu dieser Epoche, da sich der Krebsschaden der Spekulation erst im Anfangsstadium befand, zu einem furchtbaren Spieler machte, war der Umstand, daß er besser noch als seine Vorgesetzten die Zukunft von Gips und Sandstein erkannte, welcher Paris entgegensah. Er hatte so lange herumgestöbert, so viele Symptome beobachtet, daß er ohne Mühe das Bild zu schildern vermocht hätte, welches im Jahre 1870 die neuen Stadtviertel bieten würden. In den Straßen betrachtete er mitunter gewisse Häuser mit einer seltsamen Miene, wie wir Bekannte anschauen, deren uns allein bekanntes Schicksal uns tief rührt.

      Zwei Monate vor dem Tode Angèlens hatte er diese an einem Sonntag nach dem Montmartre geführt. Die arme Frau schwärmte für ein Diner im Restaurant und fühlte sich überglücklich, wenn er sich nach einem langen Spaziergange mit ihr in irgend einem Gasthofe niederließ. An jenem Tage speisten sie in einem auf der Spitze des Hügels gelegenen Restaurant, aus dessen Fenstern man Paris sehen konnte, diesen Ozean von Häusern mit bläulichen Dächern, die einer gedrängten Fluth vergleichbar, den ungeheuren Horizont erfüllten. Ihr Tisch stand vor einem der Fenster. Dieser Anblick der Dächer von Paris stimmte Saccard heiter; zum Dessert ließ er eine Flasche Burgunder bringen. Er lächelte in den weiten Raum hinaus und war von einer ganz ungewohnten Liebenswürdigkeit. Immer wieder kehrten seine Blicke ordentlich verliebt zu diesem lebenden, wogenden Meere zurück, aus dessen Tiefe das dumpfe Gemurmel der Menschenmassen empordrang. Der Herbst war bereits gekommen und unter dem weiten bleichen Himmel erstreckte sich in zartem Grau die große Stadt, aus deren unbestimmtem Farbenspiel hier und dort dunkles Grün hervorragte, den breiten Blättern der Seerosen vergleichbar, die auf einer Wasserfläche schwimmen; von einem blutig rothen Dunstkreise umflossen, neigte sich die Sonne dem Untergange zu und während die Tiefe sich mit einem leichten Nebel füllte, senkte sich goldig schimmernder Thau, gleichsam ein goldener Regen auf die rechte Uferseite der Stadt hernieder, da wo die Madeleine-Kirche steht und die Tuilerien enden. Dieser Anblick erinnerte gleichsam an eine Zauberstadt aus Tausendundeiner Nacht, mit ihren Smaragd-Bäumen, Saphirdächern und Wetterfahnen aus Rubinen. Es kam ein Augenblick, da die durch zwei Wolken sich durchwindenden Strahlen so blendend wurden, daß die Häuser zu lodern und zu zerstießen schienen, wie ein Goldbarren in einem Schmelztiegel. »Ach, sieh doch:« sagte Saccard mit kindlichem Lachen; »in Paris regnet es Zwanzigfrancsstücke!«

      Auch Angèle begann zu lachen und sagte dann, es dürfte nicht leicht werden, diese Goldstücke aufzulesen. Ihr Gatte aber hatte sich erhoben und sich zum Fenster hinauslehnend, fuhr er fort:

      »Das


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