Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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sprechen, als wäre dieselbe bereits todt. »Du wirst reichere, welterfahrenere Frauen finden können, ein solches Herz aber niemals.«

      Und da sie innehielt und sich die Augen trocknete, als suchte sie nach einem Uebergange, fragte Saccard kurz:

      »Du hast mir etwas zu sagen?«

      »Ja, ich habe mich mit Dir beschäftigt, in der bewußten Angelegenheit, und glaube auch gefunden zu haben ... Doch in einem solchen Augenblick ... mir bricht's das Herz.«

      Wieder wischte sie sich die Augen und Saccard ließ sie ruhig gewähren, ohne etwas zu sagen. Darauf fuhr sie fort:

      »Es handelt sich um ein junges Mädchen, welches man auf der Stelle zu verheirathen wünscht. Das arme Kind ist von einem Unglück betroffen worden; doch ist eine Tante da, die gerne ein Opfer bringen möchte ...«

      Sie brach abermals ab, greinend, winselnd, als beweinte sie noch immer die arme Angèle. Sie wollte damit ihren Bruder ungeduldig machen und ihn drängen, Fragen an sie zu richten, damit nicht die volle Verantwortlichkeit des Vorschlages, welchen sie ihm machen wollte, auf ihr laste. In der That wurde Aristide von dumpfem Zorn erfaßt.

      »So komm doch zur Sache!« sagte er. »Weshalb will man dieses junge Mädchen verheirathen?«

      »Sie kam gerade aus der Pension,« nahm die Maklerin kläglichen Tones von Neuem auf; »ein Mann stürzte sie ins Verderben, als sie bei einer Freundin auf dem Lande zu Besuch war. Erst vor Kurzem machte der Vater die Entdeckung des Unglückes, welches seine Tochter betroffen. Er wollte sie tödten. Um das arme Kind zu retten, machte sich die Tante zur Mitschuldigen und zu zweien erzählten sie dem Vater eine Geschichte, indem sie ihm sagten, der Verführer sei ein rechtschaffener Junge, der nichts sehnlicher wünscht, als seinen Fehler gutzumachen.«

      »So wird der Mann das Mädchen heirathen?« fragte Saccard überrascht und gleichsam enttäuscht.

      »Nein; das kann er nicht, da er verheirathet ist.«

      Eine Pause trat ein. Schmerzlicher als vorhin klang das Röcheln Angèlens durch den Raum. Die kleine Klotilde hatte aufgehört zu spielen und blickte Frau Sidonie und ihren Vater mit den großen, nachdenklichen Kinderaugen an, als hätte sie die Worte verstanden, welche da gewechselt wurden. Nun begann Saccard einige kurze Fragen zu stellen:

      »Wie alt ist das Mädchen?«

      »Neunzehn Jahre.«

      »Seit wann ist sie schwanger?«

      »Seit drei Monaten. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird eine Frühgeburt erfolgen.«

      »Und ist die Familie reich und rechtschaffen?«

      »Uralte Bourgeoisie; der Vater war Richter gewesen; Vermögen sehr bedeutend.«

      »Wie hoch würde sich das Opfer der Tante belaufen?«

      »Auf hunderttausend Francs.«

      Abermals trat eine Pause ein. Frau Sidonie greinte nicht mehr; sie war wieder Geschäftsfrau geworden und ihre Stimme hatte den Mollklang einer Verkäuferin, die über einen Handel spricht. Ihr Bruder blickte zur Seite und fügte einigermaßen zögernd hinzu:

      »Und was verlangst Du für Dich?«

      »Das werden wir später sehen,« erwiderte sie. »Auch Du wirst mir einen Dienst erweisen.«

      Sie wartete noch einige Sekunden und da er noch immer schwieg, fragte sie rund heraus:

      »Was beschließest Du also? Die armen Frauen sind ganz verzweifelt und wollen um jeden Preis einen Skandal vermeiden. Sie sind entschlossen, dem Vater morgen den Namen des Schuldigen preiszugeben. .. Wenn Du einwilligst, werde ich ihnen durch einen Dienstmann Deine Visitenkarte schicken.«

      Saccard schien aus einem Traume zu erwachen. Er zuckte zusammen und wendete sich scheu dem Nebengemach zu, von wo er ein leises Geräusch zu vernehmen geglaubt.

      »Aber ich kann ja nicht,« sprach er angstvoll; »Du weißt, daß ich nicht kann ...«

      Frau Sidonie blickte ihn fest, mit kalter, verächtlicher Miene an. Das Blut der Rougon, sein brennender Golddurst drang ihm wieder zu Kopfe. Er entnahm seiner Brieftasche eine Visitenkarte und reichte sie seiner Schwester, die dieselbe in einen Umschlag steckte, nachdem sie die Adresse sorgfältig weggekratzt hatte. Darauf eilte sie davon. Es war kaum neun Uhr Abends.

      Allein geblieben, lehnte Saccard die Stirne an die kalten Fensterscheiben. Er vergaß sich so weit, daß er mit den Fingern auf der Fensterscheibe zu trommeln begann. Doch war die Nacht so dunkel, die Schatten ballten sich draußen zu so absonderlichen Massen zusammen, daß er ein leises Unbehagen empfindend, in das Gemach zurückkehrte, in welchem Angèle in den letzten Zügen lag. Er hatte sie ganz vergessen und ward von einer furchtbaren Erschütterung erfaßt, als er sie im Bette halb aufgerichtet sah. Ihre Augen standen weit offen und neues Leben schien ihre Wangen und Lippen zu färben. Mit ihrer unvermeidlichen Puppe im Arm, saß die kleine Klotilde am Rande des Bettes; sobald ihr Vater ihr den Rücken gewendet, war sie eiligst in dieses Gemach zurückgetrippelt, aus welchem man sie verwiesen hatte und in welches ihre kindliche frohe Neugierde sie zurückführte. Saccard, der den Kopf voll von den Geschichten seiner Schwester hatte, sah seinen Traum mit einem Male zerstört; ein furchtbarer Ausdruck mochte in seinen Augen liegen, als er nähertrat. Von Entsetzen erfaßt, wollte sich Angèle zurückwerfen, an die Mauer schmiegen; doch es kam der Tod. Diese scheinbare Kräftigung war das letzte Aufflackern der Lampe vor dem gänzlichen Erlöschen gewesen. Die Verscheidende vermochte sich nicht zu regen; immer kraftloser wurde sie, doch hielt sie die weitgeöffneten Augen auf ihren Gatten geheftet, als wollte sie seine Bewegungen überwachen. Saccard, der an eine teuflische Wiedergenesung geglaubt, die das Schicksal in Scene setzte, um ihn in den Fesseln des Elends festzuhalten, beruhigte sich wieder, als er sah, daß die Unglückliche keine Stunde mehr zum Leben habe. Er empfand nichts weiter als ein unerträgliches Unbehagen. Die Augen Angèlens besagten deutlich, daß sie das Gespräch zwischen ihrem Gatten und dessen Schwester gehört habe und daß sie fürchtete, er werde sie erwürgen, wenn sie nicht rasch genug stürbe. Und es lag in diesen Augen auch ein Ausdruck des furchtbaren Erstaunens einer sanften, friedfertigen Natur, die in den letzten Minuten die Entdeckung macht, wie schlecht die Welt sei und die bei dem Gedanken an die langen Jahre erschauert, die sie an der Seite eines Banditen verlebt. Allmälig aber wurde ihr Blick sanfter; sie hatte keine Furcht mehr und verzieh diesem Elenden offenbar, indem sie an den erbitterten Kampf dachte, den er seit so langer Zeit mit dem Schicksal führte. Verfolgt von diesem Blicke der Sterbenden, in welchem ein so beredter Vorwurf lag, mußte sich Saccard an die Möbel stützen, während er die dunkelsten Ecken suchte. Mit einer letzten Anstrengung wollte er aber den Alp von sich abschütteln, der ihn wahnsinnig zu machen drohte und er trat in den Lichtkreis der Lampe. Angèle machte ihm ein Zeichen, er möge nicht sprechen. Dabei blickte sie ihn noch immer mit jenem entsetzten Ausdruck an, welchem sich jetzt ein Versprechen der Vergebung beizugesellen schien. Nun bückte er sich, um Klotilde in die Arme zu nehmen und sie in das andere Zimmer hinüberzutragen. Aber auch dies verwehrte sie ihm mit einer Bewegung der Lippen. Sie verlangte, er möge da bleiben. Langsam wich das Leben von ihr, ohne daß sie den Blick von ihm gewendet hätte und in dem Maße, wie er bleicher wurde, schien ihr Blick sanfter zu werden. Mit dem letzten Seufzer hatte sie verziehen. Sie starb wie sie gelebt, still, ergeben, im Tode sich bescheiden zurückziehend, gleichwie sie im Leben sich stets bescheiden zurückgezogen hatte. Erschauernd stand Saccard vor diesen todten Augen, die offen geblieben waren und die ihn noch in ihrer Unbeweglichkeit zu verfolgen schienen. Leise wiegte die kleine Klotilde – am Rande der Bettdecke sitzend – ihre Puppe und flüsterte ihr zu, sie dürfe Mama nicht wecken.

      Als Frau Sidonie zurückkehrte, war Alles zu Ende. Als eine in derlei Dingen bewanderte Person drückte sie mit den Fingerspitzen Angèlens Augen zu, was Saccard ganz ungemein erleichterte. Nachdem sie sodann die Kleine zu Bett gebracht, machte sie das Zimmer im Handumdrehen zu einem Todtengemach. Nachdem sie auf der Kommode zwei Kerzen angezündet und der Todten das Bett-Tuch bis ans Kinn hinaufgezogen, ließ sie einen befriedigten Blick um sich gleiten und streckte sich darauf bequem in einem Fauteuil aus, wo sie bis zum Tagesanbruch schlummerte. Saccard verbrachte


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