Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
denn er hatte sein Element gefunden und versenkte sich darin mit der Wollust eines Karpfens, der im Sonnenschein dahin schwimmt. Florent erschien manchmal in seinem Stande, um ihm guten Tag zu sagen. Die Nachmittage waren noch sehr warm. Die Weiber saßen in den schmalen Gängen und rupften Geflügel. Zwischen den zurückgeschlagenen Zeltdächern fielen einzelne Sonnenstrahlen hernieder; die Federn flogen unter den rupfenden Fingern gleich einem flatternden Schnee in der heißen Luft, in dem Goldstaub der Sonnenstrahlen. Zurufe, ein ganzer Zug von Angeboten und Schmeichelworten folgten Florent auf seinem Wege. »Eine schöne Ente, mein Herr ... Kommen Sie hierher ... Ich habe schöne, fette Hühner ... Mein Herr, kaufen Sie dieses Paar Tauben ...« Belästigt, betäubt trachtete er loszukommen. Die Weiber fuhren fort zu pflücken und zu streiten; ein Flaumenregen ging auf ihn nieder und erstickte ihn schier gleich einem Rauch, gleichsam erhitzt und verdichtet durch den starken Geruch des Geflügels. Endlich fand er in der Mitte des Ganges nahe bei den Brunnen Gavard in Hemdärmeln, die Arme über den Brustlatz seiner blauen Schürze gekreuzt, vor seinem Stande in eifrigem Reden begriffen. Hier herrschte Gavard mit der Miene eines gütigen Herrn inmitten einer Gruppe von zehn oder zwölf Weibern. Er war der einzige Mann auf dem Markte. Er war ein solcher Schwätzer, daß er, nachdem er mit vier oder fünf Mädchen, die er nacheinander zur Führung seines Standes genommen, sich überworfen hatte, sich entschloß, seine Ware selber zu verkaufen, indem er einfach erklärte, daß diese dummen Gänse den ganzen langen, lieben Tag verträtschen und daß er mit ihnen nicht auskommen könne. Da aber jemand seinen Standplatz hüten mußte, wenn er sich entfernte, hatte er Marjolin zu sich genommen, der sich auf dem Straßenpflaster herumtrieb, nachdem er mit allerlei kleinen Verrichtungen in den Hallen sein Glück versucht hatte. Florent blieb oft eine Stunde bei Gavard, erstaunt über sein unerschöpfliches Klatschen und über sein Behagen inmitten all dieser Weiber, der einen das Wort abschneidend, mit der anderen in einer Entfernung von zehn Ständen sich zankend, einer dritten einen Käufer wegnehmend, für sich allein mehr Lärm machend, als die hundert und etlichen Nachbarinnen, deren Geschrei die gußeisernen Platten erzittern ließ, daß sie tönten wie ein Tamtam.
Die Familie des Geflügelhändlers bestand aus einer Schwägerin und einer Nichte. Als seine Frau starb, ward sie von der älteren Schwester derselben, der seit einem Jahre verwitweten Frau Lecoeur, in einer geradezu übertriebenen Weise beweint; fast jeden Abend erschien sie, um dem unglücklichen Gatten Worte des Trostes zu spenden. Sie mochte damals die Hoffnung nähren, ihm zu gefallen und den noch warmen Platz der Verstorbenen einzunehmen. Allein Gavard verabscheute die mageren Weiber; er sagte, es verursache ihm Schmerz, die Knochen unter der Haut zu fühlen; mit Katzen und Hunden spielte er nur, wenn sie sehr fett waren; er fand ein ganz besonderes Vergnügen an den runden, wohlgenährten Hälsen. Frau Lecoeur war dadurch verletzt, wütend darüber, daß die Hundertsousstücke des Ausbraters ihr entgingen, faßte sie tödliche Rachsucht gegen ihn. Ihr Schwager war der Feind, mit dem sie ihre ganze Zeit ausfüllte. Als sie sah, daß er in den Hallen sich niederließ, zwei Schritte von dem Pavillon, wo sie Butter, Käse und Eier verkaufte, beschuldigte sie ihn, er habe dies nur ersonnen, »um sie zu necken und um ihr Unglück zu bringen«. Seit jener Zeit hörte sie nicht auf zu jammern, wurde noch gelber vor Neid und Ärger und gebärdete sich so toll, daß sie schließlich in der Tat ihre Kundschaft verlor und schlechte Geschäfte machte. Sie hatte lange Zeit die Tochter einer Schwester bei sich behalten, einer Bäuerin, die ihr die Kleine sandte, ohne sich weiter um sie zu kümmern. Die Kleine wuchs inmitten der Hallen heran. Ihr Familienname war Sarriet, darum nannte man sie kurzweg die Sarriette. Mit sechzehn Jahren war die Sarriette eine so ausgelassene Dirne, daß feine Herren bei ihr Käse kaufen kamen, bloß um sie zu sehen. Aber sie wollte von den feinen Herren nichts wissen; sie war ein Kind des Volkes mit ihrem braunen Gesichte und ihren gleich glühenden Kohlen funkelnden Augen. Sie wählte einen Träger, einen Burschen aus Ménilmontant, der die Aufträge ihrer Tante besorgte. Als sie mit zwanzig Jahren einen Obsthandel eröffnete, – was sie mit Hilfe einiger Geldmittel tat, deren Quelle ein Geheimnis blieb – begann ihr Liebhaber. Jules mit Namen, seine Hände besser zu pflegen, trug reinlichere Blusen und eine Samtmütze, und kam nur des Nachmittags in die Hallen, mit Pantoffeln und nicht mit Stiefeln an den Füßen. Sie wohnten zusammen in der Vauvilliers-Straße, im dritten Stock eines großen Hauses, in dessen Erdgeschoß ein verdächtig aussehendes Kaffeehaus war. Der Undank der Sarriette verbitterte Frau Lecoeur vollends; sie behandelte das Mädchen mit einer Wut, die sich in unflätigen Worten Luft machte. Sie kamen in Groll gegeneinander; die Tante war verbittert, die Nichte erfand allerlei Geschichten, die Herr Jules im Butterpavillon in Umlauf setzte. Gavard fand die Sarriette drollig; er zeigte sich nachsichtig gegen sie, streichelte ihr die Wangen, wenn er sie traf; sie war fett und lieblich geformt.
Als eines Nachmittags Florent im Wurstladen saß, ganz müde von den vergeblichen Wegen, die er vormittags auf der Suche nach einer Anstellung gemacht hatte, trat Marjolin ein. Der große Bursche mit seiner vlämischen Schwerfälligkeit und Ruhe war ein Schützling Lisas. Sie sagte, er sei nicht bösartig, ein wenig einfältig, stark wie ein Pferd und übrigens sehr interessant, da man weder seinen Vater, noch seine Mutter kannte. Sie hatte ihn bei Gavard untergebracht.
Lisa saß am Zahlpulte, verdrossen über die schmutzigen Stiefel Florents, die die blanken Fliesen beschmutzten. Zweimal schon hatte sie sich erhoben, um Sägestaub in den Laden aufzustreuen. Sie empfing den eintretenden Marjolin mit einem freundlichen Lächeln.
Herr Gavard – sagte der Bursche – sendet mich, um Sie zu fragen ...
Er hielt inne, blickte um sich und fuhr dann mit gedämpfter Stimme fort:
Er hat mir empfohlen zu warten, bis niemand da sei und Ihnen dann erst folgende Worte zu sagen, die ich auswendig lernen mußte: »Frage sie, ob keine Gefahr drohe, und ob ich kommen kann, um mit ihnen von der bewußten Sache zu sprechen.«
Sage Herrn Gavard, daß wir ihn erwarten, antwortete Lisa, die an die geheimnisvolle Art des Geflügelhändlers schon gewöhnt war.
Aber Marjolin ging noch nicht; entzückt mit einer Miene schmeichelnder Unterwürfigkeit blieb er vor der schönen Metzgersfrau stehen. Gleichsam gerührt von dieser stummen Bewunderung, fuhr Lisa fort:
Gefällt es dir bei Herrn Gavard? Er ist ein guter Mann; du mußt trachten, ihn zufrieden zu stellen.
Ja, Frau Lisa.
Du bist aber nicht recht gescheit; ich habe dich gestern wieder auf den Dächern der Markthallen herumklettern sehen, auch treibst du dich mit allerlei Lumpen und Dirnen herum. Du bist jetzt ein Mann und mußt an die Zukunft denken.
Ja, Frau Lisa.
Sie mußte jetzt einer Dame antworten, die ein Pfund Koteletten mit Gurken verlangte. Sie verließ ihren Sitz am Zahlpulte und begab sich zu dem Block im Hintergrunde des Ladens. Hier löste sie mit einem dünnen Messer drei Koteletten von einem Schweinsvorderviertel ab, erhob ein Hackmesser und führte mit ihrem nackten und kräftigen Arme drei dumpfe Schläge. Bei jedem Schlage hob sich rückwärts ein wenig ihr Kleid von schwarzem Merino, während die Fischbeine ihres Mieders unter dem straffen Zeug ihres Leibchens sich scharf abzeichneten. Mit ernster Miene, gespitzten Lippen und hellen Blicken nahm sie die Koteletten zusammen und wog sie langsam.
Als die Dame fort war und Lisa Marjolin bemerkte, der ihre mit dem Hackmesser so genau und kräftig geführten drei Schläge entzückten Auges mitangesehen hatte, rief sie:
Wie? Du bist noch immer da?
Als er den Laden verlassen wollte, hielt sie ihn noch einen Augenblick zurück.
Höre, sagte sie, wenn ich dich noch einmal mit dem kleinen Schmutzfink Cadine sehe! ... Leugne nicht! Heute morgen waret ihr wieder zusammen in der Kaldaunenabteilung, um Hammelsköpfe spalten zu sehen. Ich begreife nicht, wie ein hübscher Mensch deines Schlages an dieser Dirne Gefallen finden kann. Vorwärts, sage Herrn Gavard, er soll sofort kommen, so lange niemand da ist.
Marjolin ging verwirrt, mit verzweifelter Miene davon, ohne zu antworten.
Lisa blieb an ihrem Pulte stehen, den Kopf ein wenig nach der Seite der Hallen gewendet; Florent betrachtete sie stumm, erstaunt, sie so schön zu finden. Er hatte sie bisher schlecht gesehen; er hatte nicht den richtigen Blick für die Frauen. Sie erschien ihm jetzt über den auf dem Pulte aufgestellten Fleischschüsseln.