Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Napf mit kleinen Gurken, eine Büchse Sardinen, deren aufgeschnittener Blechdeckel das gelbe Öl sehen ließ, in dem die Fischchen lagen; dann rechts und links auf Brettern Lebersülze, Schweinssülze, ein gewöhnlicher Schinken von zartroter Farbe, ein blutroter Yorker Schinken mit breiter Fettschicht. Es waren noch andere runde und ovale Schüsseln da mit Räucherzungen, getrüffelter Gelatine, Schweinskopf mit Pistazien; näher bei ihr, besser zur Hand standen gespicktes Kälbernes, Gänseleberpastete, Hasenpastete in gelben Näpfen verwahrt. Da Gavard noch nicht kam, ordnete sie die Speckschnitten auf dem Marmortischchen, das neben dem Zahlpulte stand; sie stellte die mit Schweinefett und Bratenfett gefüllten Töpfe hübsch nebeneinander auf, reinigte die Schalen der beiden Wagen, betastete den Schmorofen, dessen Feuer auszugehen drohte; dann drehte sie den Kopf wieder und blickte nach den Hallen hinüber. Der Geruch aller Fleischspeisen stieg empor; sie war wie eingehüllt in diesen stillen Frieden, in den Duft der Trüffeln. An jenem Tage war sie herrlich frisch; die Weiße ihrer Schürze und ihrer Ärmel war gleichsam eine Fortsetzung der Weiße der Schüsseln bis zu ihrem fetten Halse, bis zu den rosigen Wangen, wo die zarten Farben der Schinken und die durchsichtige Weiße der Fette sich wiederholten. Immer schüchterner, je länger er sie ansah, beunruhigt durch diese ebenmäßig geformte Schulterbreite, begann Florent schließlich, sie verstohlen in den Spiegeln rings in dem Laden zu betrachten. Man sah sie darin vom Rücken, von vorne, von der Seite; selbst an der Decke fand er sie wieder, mit dem Kopfe nach unten, mit ihrem knapp geschürzten Haarknoten, ihrem glatt gescheitelten, über die Schläfen gestrichenen Haar. Es war eine Menge von Lisen da, die die Breite der Schultern, den mächtigen Ansatz der Arme, die runde Brust zeigten, die so ruhig und so gespannt war, daß sie keinen lüsternen Gedanken wachrief und einem Bauche glich. Seine Blicke hielten inne; er fand besonders Gefallen an einem ihrer Profile, das er in einem Spiegel neben sich zwischen zwei Schweinsseiten sah. Längs der Marmortafeln und der Spiegel hingen an gekrümmten Nägeln große Stücke Schweinefleisch und Speckschnitten; und das Profil Lisas mit ihrem kräftig gebauten Nacken, ihren runden Linien, ihrem vorspringenden Busen war gleichsam das Bild einer in diesen Fleisch- und Fettmassen verdickten Königin. Dann neigte die schöne Metzgerin sich vor und lächelte den zwei Goldfischen zu, die in dem Aquarium des Schaufensters unaufhörlich herumschwammen.
Jetzt trat Gavard ein. Er holte mit wichtig tuender Miene Quenu aus der Küche. Als er schräg auf einem Marmortischchen Platz genommen hatte, während Florent auf seinem Sessel, Lisa an ihrem Zahlpulte saß und Quenu an eine Schweinshälfte gelehnt stehen blieb, kündigte er endlich an, daß er für Florent eine Stelle gefunden habe, daß es einen Hauptspaß geben werde und die Regierung genasführt werden solle.
Doch er hielt inne, als er Fräulein Saget eintreten sah, die die Tür öffnete, nachdem sie von der Straße aus die zahlreiche Gesellschaft gesehen hatte, die im Laden der Quenu-Gradelle sich unterhielt. Die kleine Alte in ihrem abgeschossenen Kleide, mit ihrem unvermeidlichen schwarzen Handkorbe, mit dem bänderlosen, schwarzen Strohhut auf dem Kopfe, der ihr weißes Gesicht in einen tückischen Schatten hüllte, nickte den Männern einen leisen Gruß zu und hatte für Lisa ein spitzes Lächeln. Sie war eine Bekannte; sie wohnte noch immer in dem Hause der Pirouette-Straße, wo sie seit vierzig Jahren lebte ohne Zweifel von einer kleinen Rente, von der sie niemals sprach. Eines Tages hatte sie Cherbourg als ihren Geburtsort genannt, mehr hatte man darüber nie erfahren. Sie sprach nur von anderen Leuten, schilderte haarklein ihr Leben bis auf die Zahl der Hemden, die sie monatlich waschen ließen, und trieb das Bedürfnis, in die Existenz der Nachbarn einzudringen, so weit, daß sie imstande war, an den Türen zu horchen und Briefe zu entsiegeln. Ihre Zunge war gefürchtet von der Dionysius-Straße bis zur Jean Jacques Rousseau-Straße und von der Honorius-Straße bis zur Mauconseil-Straße. Den ganzen lieben Tag strich sie herum mit ihrem leeren Korbe unter dem Vorwande, ihre Einkäufe zu machen, ohne aber etwas zu kaufen; sie verbreitete die Nachrichten, hielt sich auf dem laufenden über die unbedeutendsten Vorkommnisse. So geschah es, daß sie die vollständige Geschichte aller Häuser, aller Stockwerke, aller Leute des Stadtviertels im Kopfe hatte. Quenu hatte sie stets beschuldigt, daß sie die Nachricht von dem vor dem Hackblock erfolgten Tode des Onkels Gradelle verbreitet hatte; seit jener Zeit grollte er ihr. Sie war übrigens über den Onkel Gradelle und die Eheleute Quenu gut beschlagen; sie zerlegte sie, faßte sie an allen Enden, kannte sie auswendig. Aber seit zwei Wochen war sie durch die Ankunft Florents irre gemacht; das Fieber der Neugierde verzehrte sie schier darob. Sie ward krank, wenn in ihren Kenntnissen eine Lücke entstand; und doch hätte sie schwören mögen, daß sie diesen langen »Grapsen« schon irgendwo gesehen habe.
Sie blieb vor dem Zahlpulte stehen, betrachtete die Schüsseln, eine nach der anderen, und sagte mit ihrer dünnen Stimme:
Man weiß nicht mehr, was man essen soll. Wenn der Abend kommt, zerbreche ich mir den Kopf wegen des Essens ... Und dann habe ich nach gar nichts Verlangen ... Haben Sie noch panierte Koteletten, Frau Quenu?
Ohne die Antwort abzuwarten, hob sie einen der Deckel von dem Schmorofen empor. Es war die Seite der Fleischwürste, Blutwürste und Bratwürste. Die Kohlenpfanne war kalt; es war nur mehr eine Plattwurst da, die man auf dem Roste vergessen hatte.
Sehen Sie auf der anderen Seite nach, Fräulein Saget, sagte die Metzgersfrau. Ich glaube, es ist noch eine Kotelette da.
Nein, ich mag das nicht, brummte die kleine Alte, warf aber dennoch einen Blick unter den andern Deckel. Ich hatte mich so darauf gespitzt, aber die panierten Koteletten sind am Abend doch zu schwer ... Ich will lieber etwas nehmen, was ich nicht erst wärmen muß.
Sie hatte sich nach der Seite gewandt, wo Florent saß, betrachtete diesen und betrachtete Gavard, der mit den Fingern auf der Marmorplatte trommelte, und ermunterte sie mit einem Lächeln, in ihrer Unterredung fortzufahren.
Warum nehmen Sie nicht ein Stück Pökelfleisch?
Ein Stück Pökelfleisch? Ja, das ist's ...
Sie nahm die Gabel, die am Rande der Schüssel lag und stocherte damit in der Schüssel herum, jedes einzelne Stück anstechend und bis zum Knochen eindringend, um die Dicke des Fleisches zu prüfen, wandte die Stücke hin und her und sagte endlich:
Nein, auch das sagt mir nicht zu.
Dann nehmen Sie eine Zunge, ein Stück Schweinskopf, eine Schnitte gespicktes Kalbfleisch, sagte die Metzgersfrau geduldig.
Doch Fräulein Saget schüttelte nur den Kopf. Sie blieb noch einen Augenblick da und betrachtete die Schüsseln mit angewiderter Miene. Als sie sah, daß man hartnäckig schwieg und daß sie nichts erfahren werde, ging sie mit den Worten:
Nein; ich wollte eine panierte Kotelette; die Sie noch haben, ist aber zu fett. Ein andermal ...
Lisa neigte sich vor, um ihr zwischen den Vorhängen des Schaufensters nachzublicken. Sie sah sie quer über die Straße gehen und den Obstpavillon betreten.
Die alte Vettel! brummte Gavard.
Als sie allein waren, erzählte er, welchen Platz er für Florent gefunden habe. Es war eine ganze Geschichte. Einer seiner Freunde, Herr Verlaque, Aufseher in der Abteilung für Seefische, war so sehr leidend, daß er sich gezwungen sah, einen Urlaub zu nehmen. Am Morgen des nämlichen Tages hatte der arme Mann ihm gesagt, wie sehr es ihm erwünscht sei, wenn Gavard einen Stellvertreter für ihn wisse, damit er – Verlaque – nach seiner Wiedergenesung seine Stelle wieder einnehmen könne.
Sie begreifen, sagte Gavard, Verlaque hat kaum sechs Monate mehr zu leben und Florent behält die Stelle. Es ist eine ganz hübsche Anstellung ... Und wir lassen dabei die Polizei »reinfallen«. Die Anstellung hängt nämlich von der Polizeiverwaltung ab. He, das wird ergötzlich sein, wenn Florent das Geld dieser Spitzel einsteckt!
Er lachte vergnügt; er fand es sehr komisch.
Ich mag diesen Platz nicht, erklärte Florent rundheraus. Ich habe geschworen, von dem Kaiserreich nichts anzunehmen. Lieber Hungers sterben, als in die Dienste der Polizei treten. Das ist unmöglich, hören Sie, Gavard?
Gavard hörte es und war ein wenig betroffen. Quenu senkte den Kopf. Lisa aber hatte sich umgewandt und blickte starr auf Florent, dabei schwoll ihr Nacken an und der Busen drohte das Leibchen zu sprengen. Sie wollte eben den Mund öffnen, als die Sarriette eintrat. Es