Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Bekanntenkreises, die Hand zum zweiten Ehebunde. Der Rahmen dieser Herzensgeschichte ist Paris, und man darf kühn behaupten, daß solch meisterhafte Schilderungen der Seinestadt, wie sie dieses Buch enthält, kaum wieder anzutreffen sind.
Mit » Nana«, dem neunten Bande, ist Zola wieder in seinem Elemente. Nana, die Tochter von Gervaise und Coupeau, konnte nichts anderes als eine Dirne sein. Aber sie ist eine moderne Dirne, eine Theaterpflanze. Dieses Geschöpf unserer fortgeschrittenen Bildung, diese die höheren Gesellschaftsklassen zerstörende Kraft vor uns hinzustellen; ein Blatt der ewig menschlichen Geschichte der Dirne zu schreiben; uns das Geschlecht des Weibes gleichsam im Tempel der Wollust zu zeigen und ringsumher auf den Knien ein Volk von ruinierten, entnervten, verblödeten Männern: dies war der Stoff, den Zola sich erwählt. Er hat seine Aufgabe glänzend, mit beispiellosem Erfolge gelöst. » Nana« erschien in einer Auflage von 55,000 Exemplaren auf dem Büchermarkte. Jetzt ist das Buch in alle Kultursprachen übersetzt worden.
Im zehnten Bande: » Der häusliche Herd« betitelt, schildert Zola das heuchlerische, verlogene, zum Schein sittsam tuende, dabei durch und durch verderbte und lasterhafte Bürgertum. Wir werden in ein großes Pariser Haus eingeführt, wo äußerlich alles so ordentlich, so streng, so fein säuberlich zugeht. Schon die hohen Türen auf den Fluren flößen Achtung ein; hinter diesen Türen aber, fast in jeder Wohnung, hausen Laster und Verworfenheit. Im Mittelpunkte der Geschehnisse steht Octave Mouret, ein Sohn Franz Mourets. Der junge Mann ist aus Plassans nach Paris gekommen, um da sein Glück zu machen, was ihm bei seiner angeborenen Zähigkeit und Geschicklichkeit auch gelingt, wie wir im folgenden elften Bande sehen werden.
» Zum Paradies der Damen« betitelt sich dieser Band. Es ist zugleich der Titel eines großartigen Modewarenhauses, dessen Getriebe der Dichter uns mit bewunderungswürdiger Meisterschaft vor Augen führt. Der Leiter dieses großen Unternehmens ist Octave Mouret, dem seine tausendfachen Geschäfte noch zu allerlei Liebeshändeln Zeit lassen, und der schließlich durch die standhafte Tugend Denisens, eines armen Mädchens, dem er in seinem Geschäftshause eine Anstellung gegeben, besiegt wird, so daß er Denise zu seiner Frau macht.
» Die Lebensfreude« heißt der zwölfte Band. Der Titel ist ein grausamer und doch so treffender Spott auf einen armen Gichtbrüchigen, der seit Jahren an den Rollstuhl gefesselt, von Zeit zu Zeit Anfällen ausgesetzt ist, die ihn vor Schmerz rasend machen, und der dennoch bei der Nachricht, daß die griesgrämige, alte Hausmagd sich erhängt habe, entrüstet ausruft: »Nein! so dumm, sich das Leben zu nehmen!« Im übrigen begegnen wir in diesem Buche Pauline Quenu, der früh verwaisten Tochter des reichen Pariser Fleischers Quenu, dessen Bekanntschaft wir im dritten Teile der Romanfolge gemacht haben, und seiner Ehefrau Lisa Macquart. Das Gesetz der Vererbung, das der Dichter aufgestellt hat, scheint bei Pauline eine Ausnahme gemacht zu haben. (Die Ausnahme bestätigt ja die Regel.) Pauline ist, einen Hang zum Jähzorn abgerechnet, ein gut und edel veranlagtes Geschöpf. Sie kommt zu ihrem Oheim Chanteau, der zu ihrem Vormund eingesetzt war, ins Haus. Chanteau, früher Kaufmann, mußte wegen eines Gichtleidens sich zurückziehen und lebt mit Frau und Sohn in einem kleinen Fischerdorfe am Meere. In dieses Haus tritt Pauline ein und bringt ein ansehnliches Vermögen in Wertpapieren mit. Pauline wächst mit Lazare, dem jungen Chanteau heran, und wir sind Zeugen der reizendsten Liebesidylle. Paul und Virginie im modernsten Gewande. Leider wendet sich die Idylle zum Drama. Es kommt die verhängnisvolle Dritte in Gestalt Louisens, der Tochter eines befreundeten Kaufmanns, die alljährlich die Ferien in diesem Hause zubringt. Zwischen Lazare, der sich inzwischen medizinischen Studien zugewendet hat, und Louisen entwickelt sich die Jugendfreundschaft zur Liebe, und die arme Pauline opfert sich, begräbt ihre Liebe, nachdem sie auch ihr Vermögen Stück für Stück hergegeben, um das sinkende Haus zu stützen ...
In » Germinal«, dem dreizehnten Bande, führt uns der Dichter in die dunklen Schächte eines Bergwerkes und in das Arbeiterleben ein. Es ist die Geschichte eines Ausstandes der Bergarbeiter, geführt von dem unruhigen, in die sozialistische Arbeiterbewegung verschlagenen Etienne Lantier, einem Sohne der Gervaise Macquart. Im ganzen ein großartiges und ergreifendes Bild modernen Arbeiterelends.
» Das Werk« (d. h. das Kunstwerk) hat der Dichter den vierzehnten Teil seiner Romanfolge betitelt. Dieser Band ist der Kunst gewidmet. Der Künstler ist Claude Lantier, Maler, der Sohn der Gervaise Macquart und ihres ersten Gatten Jean Lantier. Die schweren inneren Kämpfe, mit denen der Künstler sich bis zur Erkenntnis der naturalistischen Kunstrichtung durchringt, sie geben gleichsam ein Bild des Entwicklungsprozesses, den Zola selbst durchgemacht hatte. Aber hier endet der Vergleich. Der Maler Claude ist seiner großen Aufgabe nicht gewachsen und endet durch Selbstmord.
Der fünfzehnte Band der Reihe heißt » Mutter Erde«. Der Dichter entrollt darin ein großartiges Bild von dem Leben des französischen Bauers; von seinem nimmer rastenden aussichtslosen Kampfe um Scholle und Geld. Dem Stoffe und den handelnden Personen angemessen führt Zola hier eine Sprache, die an Rauheit und Ungebundenheit nichts zu wünschen übrig läßt. Man wird nicht ohne tiefstes Interesse dieses Buch lesen können. Ist auch der Bauer in den Hauptzügen seines Charakters in allen Ländern gleich, so findet man hier dennoch eine Studie, die völkisch und kulturell von hohem Werte ist. Die Familie Rougon-Macquart ist hier durch Jean, den Sohn Anton Macquarts vertreten, der nach abgeleistetem Heeresdienste nach der Beauce-Gegend ausgewandert ist, wo er sein Schreinerhandwerk beiseite legt und Landmann wird, aber vergebens Fuß zu fassen sucht ...
» Der Traum« betitelt sich der sechzehnte Band. Dieser Teil der Reihe bildet wieder eine Ruhestation. Der Dichter führt uns nach einer kleinen bischöflichen Stadt in die stille, glückliche Häuslichkeit des kinderlosen Ehepaares Hubert. Das Haus der Huberts stößt an den Dom, denn ihr ganzes Dasein ist mit der Kirche verwachsen. Die Huberts sind Kunststicker; sie verfertigen die kostbaren Meßgewänder, und dieses seltene Kunstgewerbe ist eine hundertjährige Überlieferung der Familie. Die Huberts nehmen eines Tages ein armes verlaufenes Kind in ihr Haus. Die kleine, achtjährige Angelika ist ihren Pflegeeltern – einem dem Trunk ergebenen Ehepaar – entlaufen, weil es die jämmerliche Behandlung nicht länger ertragen konnte. Die Huberts beschließen, das Mädchen an Kindesstatt anzunehmen. Die Nachforschungen, die sie aus diesem Anlasse anstellen, ergeben, daß Angelika die uneheliche Tochter Sidonie Rougons, einer Tochter Peter Rougons aus Plassans ist. Sidonie war mit ihrem Gatten aus Plassans nach Paris gekommen; hier hatten die Eheleute einen kleinen Ölhandel betrieben. Der Mann starb bald, und Frau Sidonie gab fünfzehn Monate später einer Tochter das Leben, deren Vater unbekannt war. Dieses Kind war Angelika. Man sagte ihr, ihre Mutter sei tot; sie war es auch in moralischem Sinne, denn sie hatte sich in Paris unnennbaren Gewerben hingegeben.
Angelika wuchs in dem Hause der Huberts zu einer sehr geschickten Kunststickerin und zu einem züchtigen, frommen, nur etwas träumerisch veranlagten Mädchen heran.
In der frommen, kirchlichen Atmosphäre, in der sie lebte, neigte sie zu überirdischen Träumereien. Die schönen, frommen Legenden, die sie zu lesen und zu hören bekam, erzeugten in dem Mädchen allmählich eine Seelenstimmung, in der es erklärte, »nur einen Prinzen heiraten zu wollen, den schönsten, reichsten und edelsten der Welt«. Dies ist der Traum. Der Prinz erscheint in Gestalt eines Kunstdilettanten, der in der benachbarten Domkirche Glasmalerei treibt. Zwischen Felix – so heißt der junge Mann – und Angelika entspinnt sich die reizendste Liebesidylle. Doch endlich kommt das Erwachen. Felix entpuppt sich als der Sohn des mächtigen und strengen Bischofs, der einst Kapitän gewesen und aus Gram über den frühen Tod seiner jungen Frau Geistlicher geworden war. Der hochmütige Bischof ruft den Liebenden sein »Niemals!« zu. Angelika, ohnehin stets von zarter Gesundheit, wird schwer krank. Der Jammer der Kinder erweicht das Herz des Bischofs; die Trauung findet statt. Angelika, nur mehr ein Schatten, schwankt am Arme des Geliebten zum Traualtar und haucht beim Austritt aus der Kirche auf der obersten Stufe angesichts der jubelnden Menge in einem Kusse, den sie dem geliebten Gatten auf die Lippen drückt, ihre keusche Seele aus.
» Die Bestie im Menschen« heißt der siebzehnte Band. Ein schaurig-ergreifendes Bild von menschlicher Krankheit und Verirrung. »Die Bestie im Menschen« ist natürlich der böse, verbrecherische Trieb. Jakob Lantier, Lokomotivführer in den Diensten der Westbahn, ist der entsetzlichen Krankheit, der Lustmordsucht, unterworfen. Ein Sohn der unglücklichen Gervaise Macquart