Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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Summe von Lastern seines Geschlechtes geerbt. Im Grunde nicht böse geartet, hütet er sich lange vor dem Weibe, denn mit der fleischlichen Lust erwacht zugleich die Mordlust in ihm. Von Zeit zu Zeit ist er furchtbaren Anfällen ausgesetzt. Er hat dann einen Schmerz hinter den Ohren, der ihm das Gehirn zu durchbohren scheint; eine jähe Schwermut kommt über ihn, die ihn zwingt, wie ein Tier in einem einsamen Winkel niederzukauern. Keiner seiner Brüder, weder Claude, noch der nach ihm geborne Etienne, litt unter der Jugend seiner Mutter (Gervaise war kaum fünfzehn Jahre alt, als sie ihn gebar) und seines knabenhaften Vaters, des schönen Lantier, dessen schlechtes Herz Gervaise soviele Tränen kosten sollte. In gewissen Stunden fühlte er den erblichen Riß. Er war dann nicht mehr Herr über sich, sondern gehorchte nur seinen Muskeln wie eine wütende Bestie. Dabei trank er nicht; denn er hatte bemerkt, daß ein Tropfen Alkohol ihn verrückt mache. Er kam schließlich zu der Überzeugung, daß er die Schuld der anderen bezahlen müsse, die Schuld der Väter und Großväter, der Geschlechter von Trunkenbolden, die sein Blut verdorben hatten. Er fühlte in sich eine schrittweise Vergiftung, eine Wildheit, die ihn dem lauernden Wolf, der auch Frauen zerreißt, gleich machte.

      Doch sein Kampf gegen das lauernde Ungeheuer nützt ihm nichts. Er liebt Severine, die Gattin eines Eisenbahnbeamten, ein verworfenes, lasterhaftes Weib, das schließlich unter Jakobs Messer verblutet ... Der Rahmen dieses furchtbaren Dramas ist das Leben und Treiben auf einer großen Eisenbahnlinie (Paris–Havre), das der Dichter mit seiner unerreichten Meisterschaft uns schildert...

      Der achtzehnte Teil führt den Titel: » Das Geld.« Alles Schöne und Heilsame, was mit Hilfe des Geldes hienieden gestiftet werden kann, alles Unheil und alle Schmach, die das Geld unter den Menschen täglich erzeugt, sind mit unerreichter Meisterschaft in dem großartigen Gemälde dargestellt, in welchem Zola uns die Bedeutung des Geldes im modernen Wirtschaftsleben zeigt. Der traurige Held, der im Mittelpunkte der Begebenheiten steht und eine führende Rolle spielt, ist uns nicht unbekannt: es ist Aristides Saccard, der Bauspekulant, den wir in dem Buche »Die Treibjagd« als den Gatten Renées kennen gelernt haben. Dank seiner Energie, Findigkeit und Zähigkeit, die sich mit einer vollkommenen Gewissenlosigkeit paarten, ist es diesem Manne, nachdem seine waghalsigen Spekulationen ihn ruiniert hatten, noch einmal gelungen, sich zu erheben und für kurze Zeit zu einer gebieterischen Macht in der Finanzwelt emporzuschwingen. In dieser kurzen Glanzperiode führte das Leben ihm eine starke, kluge und edle Frau – Karoline Hamelin – in den Weg, die ihr Los an das seinige knüpfend, in unsägliches Leid geriet, aber schließlich vermöge ihrer Seelenstärke ungebrochen und unbefleckt aus den schweren Prüfungen hervorging.

      » Der Zusammenbruch« heißt der neunzehnte Band. Nämlich der Zusammenbruch des zweiten Kaiserreiches im Verlaufe des gewaltigen Ringens zweier großer Kulturvölker, der Deutschen und Franzosen. Den Krieg von 1870–71 schildert Zola in diesem Bande. Seine großartigen Schilderungen gipfeln in den Vorgängen bei Sedan.

      Sedan! Ein Name, der für Deutschland einen nationalen Festtag bedeutet und die Erinnerungen an ewig denkwürdige Ruhmestaten wachruft. Und für Frankreich? Ein Ort der Schmach und des Jammers, die Stätte, wo das auf Gewalt und Verderbtheit aufgebaute zweite Kaiserreich zusammenbrach. Rings um Sedan fand jenes beispiellose Kesseltreiben statt, das eine geschlagene, in wilder Flucht aufgelöste Armee in den Straßen einer nicht großen Stadt zusammenpferchte und den Kaiser nötigte, zu kapitulieren und sich gefangen zu geben. Sedan bildet demnach eine entscheidende Etappe im deutschfranzösischen Krieg 1870–71 und ist zugleich der Schauplatz von zarten Begebenheiten, die uns in diesem Bande näher interessieren. Wir machen Bekanntschaft mit Gilberte Delaherche, einer schönen, jungen Frau, die nicht schlecht war, nur leichtfertig und zu jener Gattung von Frauen gehörte, die sich nicht damit abfinden können, mit ihrem Liebreiz nur einen zu beglücken, und wäre dieser eine auch ihr Gatte.

      Der zwanzigste, letzte Teil der Reihe führt den Titel: » Doktor Pascal«. Mit Doktor Pascal, dem dritten Sohne des Peter Rougon, hatten wir bisher nur flüchtige Begegnungen. Wir sahen ihn im ersten Bande an der Seite der sterbenden Miette und im fünften Bande als Hausarzt im Paradou, wo er seinen Neffen, den Abbé Mouret einführte. Der Schlußband ist völlig seinem Leben und Wirken gewidmet. Dieses Buch geleitet uns nach Plassans zurück, dem Stammsitze und Ursprungsorte der Rougon-Macquart. Doktor Pascal hat sich dort als Arzt niedergelassen. Er ist ein Gelehrter, Philosoph und Menschenfreund, der sich für seine Krankenbesuche bei den Armen in der Weise bezahlt macht, daß er unbemerkt ein Zwanzigfrankenstück auf dem Tische zurückläßt. Nachdem er soviel Kapital erworben, daß er von den Zinsen leben kann, gibt er die ärztliche Praxis auf, bleibt nur noch der Arzt der Armen und zieht sich in die »Souleiade«, sein vor der Stadt gelegenes Landhaus, zurück. Dort lebt er fortan seinen wissenschaftlichen Forschungen und besonders den Untersuchungen über den Atavismus, die Vererbung. Das Buch ist in dieser Hinsicht gewissermaßen als eine Bilanz der ganzen Romanfolge zu betrachten, als eine Rechtfertigung der physiologischen Lehre, auf der das zwanzigbändige Werk sich aufbaut. Doktor Pascal tritt hier für Emile Zola ein. Er tritt mit einem wissenschaftlichen und statistischen Material auf, das er ein Menschenalter hindurch gesammelt hat, indem er in riesigen Aktenbündeln gleichsam die Lebensgeschichte jedes einzelnen Mitgliedes seiner Familie zusammengetragen hat, der Familie, die er auch in einem sorgfältig angelegten Stammbaum in allen ihren Verastungen und Verzweigungen auslegt.

      Doktor Pascal hat Clotilde, die Tochter seines Bruders Aristides aus dessen erster Ehe, in sein Haus genommen. Sie ist an der Seite des Oheims in voller Ungebundenheit herangewachsen, ist eine Gehilfin bei seinen wissenschaftlichen Arbeiten, durfte lesen und erfahren, was sie wollte, so daß ihr nichts fremd blieb von dem Mann und von dem Weibe. Sie hat einen runden, festen Kopf, wie ihr Oheim oft sagte, einen klaren Geist und ein kindliches, unverdorbenes Herz. Sie ist frei geblieben von dem traurigen Erbteil der Familie.

      Obgleich in einer Atmosphäre freier Forschung herangewachsen, war Clotilde keineswegs eine Freidenkerin wie ihr Oheim. Einen festen Halt für ihr inneres Leben suchend, war sie naturgemäß unter den Einfluß ihrer Großmutter Felicitas Rougon und einer alten Magd des Hauses, Martine, geraten, die eine fromme, christliche Gottesgläubigkeit in ihr nährten. Ein großer, künstlerischer Zug liegt in der Art und Weise, wie der Dichter hier den Gegensatz und die Kämpfe zwischen dem freidenkerischen Gelehrten und dem frommen, von den wissenschaftlichen Forschungen unbefriedigten Kinde entwickelt. Der Arzt, der Junggeselle ist und stets ein solides Leben geführt hat, hängt mit Leib und Seele an dem Mädchen; abgesehen von seinem sinnlichen Verlangen, liebt er sie noch mit einer unendlichen Zärtlichkeit, entzückt von ihrer sittlichen und geistigen Persönlichkeit, von der Geradheit ihres Empfindens und von ihrem munteren, tapferen und entschlossenen Geiste. Clotilde wieder blickte mit grenzenloser Bewunderung zu dem »Meister« empor; von der Bewunderung des Weibes zur Liebe ist aber nur ein Schritt. Dieses Verhältnis nimmt eine bestimmte Gestalt in dem Augenblicke an, da die Werbung des Doktor Ramond, eines in Plassans ansässigen jungen Arztes, um die Hand Clotildens zur Entscheidung drängt. Doktor Pascal will schweren Herzens seine Neigung opfern und befürwortet die Werbung; Clotilde jedoch, die in Pascals Seele schaut, weist den Freier ab.

      Nimm mich doch, da ich mich dir gebe! ruft sie dem angebeteten Meister zu.

      Und so fanden sich Oheim und Nichte wie Mann und Weib ...

      Budapest, Ende 1893. Armin Schwarz.

      Vorwort des Autors.

       Inhaltsverzeichnis

      Ich will darstellen, wie eine Familie, eine kleine Gruppe von Wesen in einer Gesellschaft sich verhält, indem sie sich entwickelt und zehn, zwanzig Menschen das Leben gibt, die auf den ersten Blick sehr verschieden scheinen, die uns aber eine genaue Prüfung innig miteinander verbunden zeigt. Die Vererbung hat ihre Gesetze wie die Schwere.

      Die zwiefache Frage der Naturanlage und der Umgebung lösend, werde ich bemüht sein, jenen Faden zu finden und ihm zu folgen, der folgerichtig von einem Menschen zum anderen führt. Wenn ich einmal alle Fäden festhalte, wenn ich eine ganze Gruppe in Händen habe, werde ich sie am Werke zeigen, mittätig, als handelnde Personen eines geschichtlichen Zeitraumes; ich werde diese Gruppe


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