Gesammelte Science-Fiction & Dystopie Romane (12 Titel in einem Band). Paul Scheerbart

Gesammelte Science-Fiction & Dystopie Romane (12 Titel in einem Band) - Paul  Scheerbart


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wie ein alter Winkel aussieht, in dem unzählige Spinngewebefäden Wustnetze bilden.

      Und die siebenbeinigen Gespenster steigen mit ihren Bleihimmelstücken herunter und wollen mit dem himmlischen Gut davongehen nach hinten zum fernen Rande, wo sie herkamen.

      Aber die Bleihimmelstücke drehen sich den langen Kerlen aus den Händen raus und schweben wie fliegende Swift-lnseln empor und schweben in der Luft herum.

      Die Siebenbeinigen stehen ganz ratlos da.

      Plötzlich aber fallen die Bleihimmelstücke den Siebenbeinigen auf den Kopf und drücken den Rumpf mit solcher Gewalt durch, daß unten die langen Beine wie Glas zersplittern.

      Die Bleihimmelstücke schlagen aber gleich mit den Panzerrümpfen so tiefe Löcher in die Mooslandschale, daß die auch auseinander berstet und in großen Stücken in eine unbekannte Tiefe fällt.

      Die Opalaugentüte bricht dabei um und fällt den Bleihimmelstücken und den Mooslandschalenstücken nach.

      Und die Geister lösen sich voneinander los und fallen in ein dunkles Luftreich, in dem sie sich wieder verwandeln und seltsame Blumengerüche empfinden.

      In dem dunklen Luftreich duften unsichtbare Blumen so stark, daß die Geister an ferne Vergangenheit denken mussen – und sich plötzlich an ein langes, langes Leben erinnern.

      JAMMER!

       Inhaltsverzeichnis

      Geister, die lange nichts von ihren Füßen wußten, fühlen wieder, daß sie Füße haben, und können wieder gehen.

      Das ist aber keine Erlösung.

      Das Gehen ist eine Qual.

      Von vielen seltsamen Geruchsempfindungen werden unzählige Erinnerungen aufgeweckt; und die sind so lebhaft, da der Pfad, auf dem die Geister gehen, ganz dunkel ist wie ein vergessener Keller.

      Und die Erinnerungen nagen an den Geistern und schwächen ihre Lebenskraft; lange vergangene Zeiten erscheinen den Wandernden nur als große Qualketten; betäubende Blumendüfte machen die Erinnerungsschwere noch fühlbarer.

      Da zünden sich vorn und rechts und links kleine räuchernde Lampen an und beleuchten spärlich eine breite Steintreppe.

      Trübselig ist die Beleuchtung – da brennen so die richtigen Tranfunzeln.

      Den Geistern wird nicht besser, aber sie steigen die schlecht behauenen Steinstufen hinan – immer höher und höher, obschon keiner weiß, wohin die Treppe führt; oben ist wenig zu erkennen, da die Tranfunzeln ihr bißchen Licht bloß an die Seiten werfen.

      Und während die Geister mühselig auf der breiten Steintreppe aufwärts steigen, werden sie von drückenden Empfindungen ganz und gar umgarnt, und ihre Gedanken gehen immer mehr nach jener Richtung hin, die dem Leben keinen Glanz läßt.

      Und es kommt den Geistern ihr ganzes Leben so recht überflüssig vor. Und dann dauert's nicht lange, und alle erklären einstimmig: »Es ist ja doch alles Unsinn.«

      Jedes Streben und jedes Zielsetzen wird als Albernheit bezeichnet. Die Resultatlosigkeit grinst die Geister plötzlich in allen Dingen an.

      Und die penetrante Empfindung, daß alles resultatlos und als alberne Spinnerei verläuft, erstickt jeden frischen Ton, so daß die Geister – es sind immer noch zehntausend Mann – stumpfsinnig werden wie betrogene Gauner.

      Nur Knipo hält sich noch mit zwei anderen Geistern etwas aufrecht.

      Alles Glänzende, das die Vergangenheit bot, ist verblaßt, und nur das Trübe und Leere wirkt in den zehntausend fort.

      Einige Geister fallen und bleiben auf den Steinstufen liegen; niemand kümmert sich darum.

      Knipo sagt stöhnend: »Mir ist ja beinah so wie einem Arbeiter zumute, aber – hatte man nach der Arbeit nicht mal so'n frohes Gefühl?«

      »Jawohl«, erwidert der gelbe Geist neben ihm, »die sogenannte Arbeit war immer eine etwas billige Nervenaufregung.«

      Und alle fühlen, daß ihre Nerven nicht mehr in Erregung zu bringen sind; alle haben das Gefühl, daß ihre Empfindungsfähigkeit gebrochen und morsch ist- mit dem Lebenkönnen geht's bergab.

      Und sie steigen weiter die Steinstufen hinauf und kommen oben auf einen breiten Absatz, der mit schwarzen Fliesen getäfelt ist.

      Knipo rafft sich auf und sagt deutlich: »Ich gestehe, daß ich Eure Schmerzen eigentlich nicht verstehen kann, und empfinde großen Schmerz über meine Schmerzlosigkeit. Ich komme mir so unbedeutend vor.«

      Und er lacht. Es lacht aber keiner mit.

      Und auf vielen klapprigen Holztreppen steigen die Geister weiter empor. Da ist die Beleuchtung noch trübseliger. Katzenaugen glühen auf den Geländern der Holztreppen. Neben den Treppen rauschen alte Bäume mit trocknen Blättern; auf den Ästen der Bäume winden sich dicke gefleckte Schlangen, die den Geistern beleidigende Worte zuzischen.

      Und die mürben Holzstufen knarren.

      Auf sehr vielen Treppen geht's empor, so daß sich nur die Geister gegenseitig erkennen, die sich auf derselben Treppe befinden.

      Nur noch zuweilen leuchtet eine alte Lampe, die kein ganzes Glas hat.

      Das Treppensteigen wird so mühselig wie ein Künstlerleben.

      Und jede Schlange spricht so beleidigend wie ein Kind.

      Viele Geister setzen sich auf die Stufen hin und lassen alles über sich ergehen – und rühren kein Glied.

      Und die Geister empfinden, daß sie gekränkt werden sollen.

      Und sie fühlen plötzlich, daß unsichtbare Hände ihnen Ohrfeigen geben.

      Und ein langer Wutschrei geht über alle Holztreppen.

      Aber auch die Wut bricht gleich wieder zusammen; es bleibt nur noch ein stumpfes Gefühl zurück, das so träge macht – so schlampig; es brennen den Geistern die Fußsohlen und die blassen Wangen.

      Ein alter Geist sagt traurig: »Unser Jammer ist wohl bloß eine Folge der Eitelkeit. Wären wir nicht so eitel, so wären wir nicht zu verwunden. Nur der Eitle lernt den wahren Jammer des Lebens kennen. Wer seine Natur stets mit Zärtlichkeit zu würdigen pflegt, wird immer verletzt und jammervoll sein. Wir durchleben bloß die Tragikomödie der Eitelkeit. Alle Tragik ist pure Eitelkeitssache.

      «Da wird Knipo neben dem Alten furchtbar wütend und brüllt: »Das wollen wir uns doch nicht gefallen lassen!«

      Und von den Geistern bleiben Hunderte auf den Holzstufen liegen; nur die Stärksten erreichen oben das Ziel – abermals einen breiten Absatz, der mit schwarzen Fliesen getäfelt ist.

      Der gelbe Geist sagt zum Knipo: »So wehre dich doch! Sag mir nur, wie Du's machen möchtest.«

      Knipo möchte Witze machen, doch sie sterben ihm zwischen den Zähnen.

      »Jawohl«, sagt er schließlich, »ich glaub's schon, daß alles Verletztsein nur ein Verletztsein der Eitelkeit ist. Aber wahrlich – ich sage Euch: der Kern Eurer Eitelkeit ist nur Eure verdammte Selbständigkeitssucht.«

      »Unsre!« setzt der gelbe Geist verbessernd hinzu.

      Und unartikulierte Laute des Ekels werden überall gehört, die Geister empfinden nicht bloß Ekel vor dem Leben – sondern auch Ekel voreinander.

      Und der Ekel ist so gräßlich intensiv.

      Sie denken zuweilen an die Einsamkeit, aber sie sind zu schlapp, um sich an dem Gedanken aufzurichten – er kann ihnen nicht mehr zum lachenden Endziele werden.

      Die Katzenaugen auf den Geländern leuchten unheimlich – aber sie reizen nicht mehr auf – und auch das beleidigende Gezische der Schlangen verhallt wirkungslos.

      Nur unartikulierte


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