Gesammelte Science-Fiction & Dystopie Romane (12 Titel in einem Band). Paul Scheerbart

Gesammelte Science-Fiction & Dystopie Romane (12 Titel in einem Band) - Paul  Scheerbart


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aus den Burgen springen Riesenfrösche heraus und tanzen.

      Und die Berge mit den Burgen tanzen mit.

      Ganze Wälder entstehen im Hintergrunde, ballen sich zusammen und tanzen mit.

      Kornfelder und Fahrstraßen entstehen vorn und tanzen mit. Und die Riesenfrösche brüllen in mehrstimmigen Chören: »Wollen wir denn frei sein?«

      »Wollen wir denn frei sein?«

      Und das tanzende Schalenreich wird furchtbar hell – und die Opalaugen der Geister sehen unzählige dicke Strippen, an denen die ganze tanzende Gesellschaft hängt.

      Oben im dunkelgrünen Himmel werden auch dicke Fäuste sichtbar, die die Strippen halten und regieren.

      Plötzlich sausen unzählige breite Schwerter vom Himmel herunter und funkeln vor den Opalaugen so heftig hin und her, daß die Geister glauben, vor ihnen entwickle sich der große Kampf der Unsichtbaren, die alles an ihren Strippen lenken.

      Und bei dem Schwertgefunkel ist das lustige Hampelmannreich mit den Riesenfröschen bald nicht mehr zu entdecken.

      Die Geister der Tüte bedauern lebhaft, daß sie infolge Mundmangels nichts zu sagen vermögen; die Schauspiele, denen sie beiwohnen dürfen, haben etwas Beklemmendes für die Tüte.

      Die blinkenden Schwerter hauen sich allmählich gegenseitig kaputt und fallen fort.

      Und das Hampelmannreich kommt wieder zum Vorschein. Während der Schwerterfehde sind aber noch große blaue Meere zu den Bergen, Burgen, Fröschen, Fahrstraßen, Kornfeldern und Walddistrikten hinzugekommen.

      Die Strippen sind nicht mehr zu sehen, doch die Hampelei nimmt ihren Fortgang – und zwar mit erheblichster Vehemenz.

      Die Geister sehen nach allen Seiten und werden nicht klug aus diesem Getanze; alles drängt sich den blauen Meeren zu, die mächtig rauschen.

      Die Geister horchen mit ihren Perlohren und verstehen nach und nach, was geredet wird.

      Die Frösche sagen: »Wir sind die großen Fragezeichen, und jetzt soll der große Kampf um die erlösenden Sätze beginnen. Die erlösenden Sätze haben die großen Antworten in sich. Und die Meere haben alle beide in sich sowohl die Sätze wie die Antworten. Und diese beiden Dinge müssen wir den blauen schlauen Meeren entreißen. Das wird ein famoser Krieg!«

      Und die Frösche springen in die blauen Meere hinein, daß es ein großes Geplumpse gibt.

      Und dabei fragen diese Frösche lachend: »Was macht mehr Spaß als die Unwissenheit?«

      »Fragen wir, um was zu wissen – oder fragen wir, um bloß zu wissen, daß das Wissen nur ein Wissen vom Nichtwissen ist?«

      »Gibt uns das Wissen vom Nichtwissen nicht die größte Portion Selbstbewußtsein?«

      Die Frösche tauchen unter; auf den dunkelblauen Meeren bildet sich viel weißer Schaum.

      Und die Berge mit den Burgen drängen sich nun auch an die Meere und wollen ihnen ebenfalls erlösende Sätze abringen.

      Die Meere werfen ihre donnernden Wogen den Bergen entgegen, daß der Schaum die Burgen bespritzt.

      Und die Berge fragen ächzend: »Ist Denken mehr als Fragen?«

      »Ist Denken und Fragen dasselbe?«

      »Besteht unsre ganze Weisheit bloß aus großen Fragen?«

      »Werden wir ewig bloß Fragezeichen sein?«

      »Besteht vielleicht unser Glück bloß im Fragenkönnen?«

      Und die Burgen fragen: »Gibt es eine Frage, die uns nüchtern machen kann?«

      Die Meere ziehen, als wären sie verletzt, ihre blauen Fluten weit von den Bergen fort und bäumen sich hoch auf.

      Und die Meere werden zu hohen Gebirgen.

      Und jetzt gehen ihnen die Fahrstraßen nach und fragen heftig: »Wird uns das Außerunsseiende leichter bewußt als das sogenannte Ich?«

      »Sind Welt und Ich bloß Traumspäße?«

      »Ist überhaupt ein Wesen denkbar, das der Welt ins Herz sehen kann?«

      Und wogende Kornfelder fragen: »Hat die Welt ein Herz?«

      »Ist die Welt ein einziges Wesen – so wie ein Kornfeld?«

      »Hat die Welt eine Haut?«

      »Ist die Welt klüger als alles das, was in ihr lebt?«

      »Kann ein Ding, das in der Welt lebt, mal ebenso klug oder ebenso dumm wie die ganze Welt werden?«

      Die Wälder aber ballen sich wieder zusammen wie Igel und fragen knarrend: »Wenn wir fragen, ob wir selbst es sind, die da fragen – ist das denn wirklich die größte Frage?«

      »Wenn wir fragen, ob wir selbst es sind, die da denken – ist das denn wirklich der größte Gedanke?«

      Da spritzen die Meere ihre Fluten empor, daß es aussieht, als gingen Millionen Fontänen in die Höhe.

      Und die Geister der Tüte vernehmen, wie die Meere ganz deutlich schimpfen und sagen: »Seid doch froh, daß Ihr so viel Vergnügen am Fragen findet. Ihr seid so naiv wie die patriotischen Krieger. Würden wir Euch Eure Fragen alle beantworten, so würdet Ihr nur auf neue Fragen sinnen müssen. Dieser Mühe sollt Ihr durch unser Schweigen überhoben sein.«

      Da recken sich die Berge mit den Burgen, die Fahrstraßen und Kornfelder ganz hoch in die Höhe und wollen mit den Meeren kämpfen.

      Aber den Meeren wachsen weiße Flügel in den Seiten.

      Und die Riesenfrösche fliegen, während die weißen Flügel mächtig wachsen, in großen Bogen aus den blauen Fluten raus und fliegen mit solcher Wucht gegen die Berge und auf die Fahrstraßen, daß die lustigen Tiere platzen und elendiglich verrecken.

      Und dann hauen die blauen Meere so heftig mit ihren weißen Flügeln um sich, daß die Berge zu Billionen Steinen zerschlagen werden, die die Frösche und Wälder, Fahrstraßen und Kornfelder ganz und gar überschütten, so daß die Mooslandschale von oben bis unten mit Steinen übersät ist, als hätte es Steine geschneit.

      Und die blauen Meere erheben sich und fliegen mit ihren weißen Flügeln wie Riesenvögel hoch empor zum Himmel.

      Und die geflügelten Meere, in deren Wasserleibe die Fische herumschwimmen und die Korallen wachsen und die Seesterne mit den Austern kämpfen – diese geflügelten Meere werfen große Schatten hinunter, die viel, viel größer sind als Billionen Meere zusammen.

      Die Opalaugen der Geistertüte können bald gar nichts mehr erkennen – so dunkel sind die großen Meeresschatten.

      Aber am fernen Rande der großen Schale, in deren Mitte die Tüte steckt, sehen die Opalaugen unheimliche Gespenster – die kriechen wie Spinnen über den Rand und kommen sachte heruntergekrochen.

      Wie sie sich aber aufrichten, erschrecken die Geister der Tüte über die ungeheure Größe dieser Spinnen; sieben schrecklich lange Beine tragen einen Panzerrumpf; krinolinenartig stehen die Beine auf dem schrägen mit Steinen übersäten Boden der Schale.

      Und der Panzerrumpf geht hoch in den Himmel hinauf, der jetzt so grau ist wie Blei und nicht sehr hell – und so seltsam gerippt erscheint, als gingen Röhren durch.

      Die Gespenster haben oben einen ganz kleinen Kopf, in dem kaum die Augen zu unterscheiden sind.

      Sieben riesig lange Arme haben die Riesenspinnen, und in sieben knolligen Fäusten halten sie den Griff eines rostigen Bratenmessers, das gefährlich aussieht.

      Und diese unheimlichen Gesellen klettern einander auf die Schultern, und die obersten berühren mit ihren rostigen Bratenmessern den bleigrauen Himmel – und schneiden nun vorsichtig große siebeneckige Stücke aus dem Himmel raus.

      Und durch die siebeneckigen Löcher können die Opalaugen in ein großes, buntes Sternenall sehen, in dem es sehr


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