Gesammelte Science-Fiction & Dystopie Romane (12 Titel in einem Band). Paul Scheerbart

Gesammelte Science-Fiction & Dystopie Romane (12 Titel in einem Band) - Paul  Scheerbart


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entsteht, wenn man sich mit einer Situation notgedrungen abfinden muß, ohne den Knoten zerhauen zu wollen oder zu können.«

      Er kann sich aber mit der trübseligen Treppen-Situation nicht abfinden, und so entsteht auch kein Humor.

      Der Gelbe spricht kein Wort.

      Es ist ein Jammer!

      Und nun geht's noch auf eisernen Wendeltreppen höher immer in der Runde herum- in Pfropfenzieherkurven.

      Da haben die Geister wiederum alle den einen Gedanken:

      »Es ist alles zwecklos und sinnlos!«

      Jetzt kann aber keiner mehr liegen bleiben, da sämtliche Wendeltreppen so schmal sind, daß die armen Geister einzeln hintereinander gehen müssen.

      Und auf den eisernen Geländern klettern langsam dicke Krokodile herunter; die Geländer sind breit.

      Und der gelbe Geist sagt zum Knipo: »Wir sind geworfene Meteore – nicht fliegende –, in Schneckenlinien sollen wir aufwärts steigen.«

      Aber die Krokodile bewegen sich so unheimlich, daß jetzt unartikulierte Entsetzenslaute auf allen Wendeltreppen hörbar werden.

      Jedes Krokodil tut so aufgeregt wie ein irrsinniger Patriot – und schimpft auch so.

      Es ist entsetzlich!

      Jedes Krokodil redet nur von den peinlichen Momenten, an die kein Wurmgeist und kein Sterngeist erinnert sein mag. Und die Geister auf den Wendeltreppen werden innerlich überall da berührt, wo sie unter keinen Umständen berührt werden möchten.

      Jedes Krokodil benimmt sich in seinen Reden so taktlos wie der Diplomat eines jungen Raubstaates. –

      Und es entstand ein Licht neben den Wendeltreppen.

      Und das Licht ging nach allen Seiten weit weg und wurde immer schwächer.

      Und es kamen Schatten aus dem Lichte heraus – und das waren Geisterschatten –, Schatten von jenen Billionen Geistern, mit denen die auf den Wendeltreppen einst zusammen waren – zwischen rasselnden Schienen.

      Und die Billionen Geister wurden erkennbar – und sie waren alle fröhlich; obgleich ihre Gesichter ganz im Schatten waren, bewegten sie sich doch so lebhaft, daß ihre Lebenskraft aller Welt offenbar wurde.

      Die Billionen schienen einander gar nicht ähnlich zu sein; die seligen Scharen, die da in der Ferne plötzlich vorüberschwebten, bildeten nicht eine gleichartige Masse wie die zehntausend – jeder sah dort drüben anders aus als seine Nachbarn.

      Und das wunderte die Trübseligen auf den Wendeltreppen.

      Doch das ferne Licht zerging, und die befreundeten Billionen wurden rasch wieder unsichtbar. –

      Und die Trübseligen kommen oben aus den Wendeltreppen langsam einzeln heraus – und stehen nun auf einer großen eisernen Plattform da, und von dieser eisernen können sie hinabsehen auf die tief unter ihnen liegenden Holztreppen und Steintreppen, die sich zusammen von den dunklen Felsen und Wäldern so abheben wie ein großes streifiges Leichentuch.

      Bleierne Schwere fühlen die Geister in ihren Gliedern.

      »Das ist die vermaledeite Sternschwere!« sagen sie traurig.

      Viele wünschen sich den Tod.

      Aber an Selbstmord denkt keiner.

      Und der Gelbe wundert sich darüber.

      Da bemerkt der Alte wehmütig: »Von unsrer Gesellschaft einen Mordsgedanken zu erwarten, find ich naiv. Diese Gesellschaft hat ja nicht mal mehr die Kraft, die ein zahmer Gedanke verlangt.«

      Knipo jedoch flüstert mit einem Anfluge von Humor:

      »Wenn das Leben keinen Zweck hat, so hat doch das Sterben erst recht keinen Zweck.«

      »Ach ja«, ruft da der Gelbe sehr laut, »das Lebenlassen ist der Gipfel der Grausamkeit.«

      Der Alte sagt still: » Die Todesstimmungen sind genauso vorübergehender Natur wie die Luststimmungen.«

      Und auf Strickleitern soll's von neuem weiter in die Höhe gehen; eine unsichtbare Gewalt treibt dazu.

      Dennoch mag keiner den Strickleitern nahe sein.

      Und die Geister sehen da nach einer Weile molchartige Wesen auf- und abklettern.

      Die Molchartigen haben einen bunt gefleckten Rücken und drei Büschel weißer Haare auf dem Kopfe, die wie drei große soeben gewaschene Pinsel in die Luft ragen.

      Und über den Pinseln werden hellgrüne Wolkengebilde sichtbar, die an den Strickleitern auch auf- und absteigen, so daß man nicht weiß, ob die Wolken die Molche oder die Molche die Wolken zum Auf- und Absteigen zwingen.

      Ein dickes, giftiges Krokodil sagt brummig: »Das sind die Hoffnungen, die immer einen Narren finden, der ihnen folgt.«

      Ein altes Krokodil ruft zornig: »Quatsch doch nicht! Das sind die alten Narren, die ihre Hoffnung niemals fahrenlassen.«

      Danach sprechen die Geister durcheinander: »Wären wir doch auch solche Narren!«

      »Wenn wir nur einmal glauben könnten, daß wir in ferner Zukunft selbständige Weltenschöpfer werden könnten dann hätten wir doch eine Hoffnung.«

      »Wir wären auch zufrieden, wenn wir bloß glauben würden, daß wir einstmals frei sein dürften.«

      »Derartigen Glauben«, bemerkt Knipo, »haben wohl bloß noch die Säuglinge.«

      »Ja«, ruft der Gelbe schmerzlich, »der Glaube würde uns eine Hoffnung gebären.«

      »Gelber«, spricht zornig der Knipo, »willst Du uns etwa durch Geburtsphantasien wieder Lebensmut beibringen?«

      Und der Alte schreit: »Die Sternschwere! Die Sternschwere! Wir sind immer noch festgebunden an unsern Stern.«

      Es wird plötzlich furchtbar hell. Und die Geister sehen wieder die unzähligen Spinngewebefäden – aber sie gehen diesmal von einem Geist zum andern und dann die Wendeltreppe hinunter zu den Holz- und Steintreppen, auf denen noch die vielen Geister liegen, die da unten nicht weiter konnten.

      Die Fäden glänzen nicht sehr, als wenn sie staubig wären. Und das Atmen wird so schwer.

      Die Molche mit den grünen Wolken sind fort.

      Die Strickleitern schwanken.

      Alle Geister sind still und wollen sich nicht bewegen – wollen nicht weiter.

      Das helle Licht erlischt.

      Und es wird stockfinstre Nacht.

      Und keiner denkt mehr daran, noch höher zu steigen.

      Die Strickleitern schwanken und berühren sich, daß ein leises Geräusch entsteht – wie von nassen Peitschen, die trocknen sollen im Nachtwinde.

      TEMPEL!

       Inhaltsverzeichnis

      Geister, die lange starr waren und nicht weiter konnten, bemerken wieder, wie sich was in ihnen bewegt; es durchrieselt sie eine feine Substanz, die so freudig macht.

      Und gewaltige eiserne Flügeltüren knarren in ihren Angeln – und öffnen sich.

      Und zehntausend Geister blicken in ein neues Reich, in dem ein stilles Licht so weich anschwillt wie warme Luft.

      Und durch die vielen Flügeltüren werden die Geister hineingetragen in das neue Reich.

      Die Geister bemerken, daß sie in kostbaren seidenen Sänften liegen; viel Elfenbeinschnitzerei ziert die Ränder der Sänften.

      Und unsichtbare Hände tragen die Sänften durch die Luft, daß die Getragenen sich freuen.

      In einem allmächtigen Saale sind die Geister;


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