Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant
Soldat so und so hat eine Magenstörung. Man gebe ihm Brechmittel Nummer drei nach meiner Verordnung, dann zwölf Stunden Ruhe und er ist gesund.
Dieses Brechmittel war totsicher, totsicher und unwiderstehlich. Man würgte es also hinunter, weil man mußte, und wenn man das Rezept des Doktor Kotze im Leibe hatte, genoß man seine schwer verdienten zwölf Stunden Ruhe.
Also lieber Freund, um nach Afrika zu gelangen, muß man während der Dauer von vierzig Stunden eine andere Sorte von unwiderstehlichen Brechmitteln überwinden, nach Verordnung der Compagnie Transatlantique.«
Sie rieb sich die Hände und war ganz entzückt über ihren Einfall.
Sie stand auf, ging hin und her, nachdem sie sich eine andere Zigarette angesteckt und diktierte, indem sie Rauchringel blies, die zuerst ganz gerade aus einer kleinen, runden Öffnung zwischen den zusammengepreßten Lippen aufstiegen, sich dann erweiterten, verflüchteten und hier und da in der Luft graue Linien zurückließen, eine Art von durchsichtigem Dunst, ein Nebelgespinst wie Spinnenfäden. Ab und zu schlug sie mit der offenen Hand auf die leichten Ringe, oder sie schnitt sie mit einer scharfen Bewegung des Zeigefingers entzwei und sah dann mit ernster Miene die beiden getrennten Dampfringe langsam verschwinden.
Und Duroy blickte auf und folgte allen ihren Handbewegungen, allen Bewegungen ihres Körpers und ihrer Züge, mit denen sie dem nichtigen, gedankenlosen Spiel folgte.
Sie erfand nun Reiseabenteuer und beschrieb ein Paar erdichtete Reisegefährten. Endlich fügte sie noch eine Liebelei mit der Frau eines Infanteriehauptmanns, die ihrem Mann nach Algerien nachreiste, ein.
Dann setzte sie sich und befragte Duroy über die Topographie Algeriens, von der sie keinen Schimmer hatte. Nach zehn Minuten wußte sie ebensoviel davon wie er und gab nun eine kleine Abhandlung über politische und koloniale Geographie, um den Leser zu orientieren und für die ernsten Fragen vorzubereiten, die in den späteren Artikeln behandelt werden sollten.
Dann unternahm sie einen Ausflug in die Provinz Oran, einen phantastischen Ausflug, in dem hauptsächlich von Frauen die Rede war, von Maurinnen, Jüdinnen und Spanierinnen.
– Das ist das einzige, was die Leute interessiert! sagte sie.
Sie schloß mit einem Aufenthalt in Saïda am Fuße der Hochebenen und mit einer netten kleinen Geschichte zwischen dem Unteroffizier Georg Duroy und einer spanischen, in der Alfa-Manufaktur von Aïn el Hadjar beschäftigten Arbeiterin.
Sie erzählte ein nächtliches Stelldichein in den felsigen, kahlen Bergen zur Zeit, wo die Schakale, die Hyänen und die arabischen Hunde zwischen den Felsen heulen und bellen.
Dann sagte sie in fröhlichem Ton:
– Fortsetzung folgt.
Nun stand sie auf:
– Lieber Herr Duroy, sehen Sie, so schreibt man einen Artikel. Jetzt unterzeichnen Sie bitte.
Er zögerte.
– Unterschreiben Sie doch!
Da fing er an zu lachen und schrieb unten auf die Seite: Georg Duroy.
Sie rauchte weiter und lief auf und ab. Er blickte sie immer an, aber er fand kein Wort, um ihr zu danken. Er war glücklich, in ihrer Nähe zu sein, Dankbarkeit und sinnliches Wohlbehagen über diese beginnende Freundschaft durchströmte ihn ganz. Ihm schien es, als ob alles, was um sie herum war, zu ihr gehörte, bis auf die Wände, die mit Büchern bedeckt waren. Die Stühle, die Möbel, die Luft, durch die der Tabakrauch zog, hatten etwas Besonderes, Angenehmes, Süßes, Reizendes, das von ihr kam.
Plötzlich fragte sie:
– Was halten Sie von meiner Freundin Frau von Marelle?
Er war erstaunt:
– Nun, ich finde sie – ich finde sie sehr verführerisch.
– Nicht wahr?
– Gewiß.
Er hätte am liebsten hinzugefügt: aber nicht so wie Sie. Doch das wagte er nicht.
Sie begann von neuem:
– Sie wissen gar nicht, wie komisch, wie originell, wie gescheit sie ist! Sie ist so eine Art Zigeunernatur, eine rechte Zigeunerin. Deswegen liebt sie ihr Mann nicht sehr. Er sieht nur an ihr das Schlechte und weiß ihre guten Eigenschaften nicht zu würdigen.
Duroy war ganz erstaunt zu hören, daß Frau von Marelle verheiratet sei, und doch war es ja ganz natürlich.
Er fragte:
– So, sie ist verheiratet? Was ist denn ihr Mann?
Frau Forestier zuckte leicht die Achseln und zog die Augenbrauen in die Höhe mit einer einzigen bedeutungsvollen Bewegung, die ihm nicht recht verständlich war:
– O er ist an der Nordbahn angestellt. Er ist immer nur eine Woche im Monat in Paris. Seine Frau nennt das »ihre Dienstzeit« oder »ihre Frohn«, oder auch »die heilige Woche.« Wenn Sie sie näher kennten, würden Sie sehen, wie fein und reizend sie ist. Machen Sie ihr doch mal einen Besuch dieser Tage!
Duroy dachte gar nicht daran fortzugehen. Es war ihm, als sollte er immer hier bleiben, als wäre er zu Haus.
Aber die Thür öffnete sich geräuschlos, und ein großer Herr trat ein, den man gar nicht angemeldet hatte.
Als er einen Mann im Zimmer sah, blieb er stehen. Frau Forestier schien einen Augenblick verlegen zu sein, dann sagte sie in natürlichem Tone, obgleich sie ein ganz klein wenig errötet war:
– Aber kommen Sie doch, lieber Freund. Darf ich Sie bekannt machen, ein guter Freund von Karl, Herr Georg Duroy, zukünftiger Journalist.
Dann sagte sie mit einem ganz anderen Ton:
– Unser bester und intimster Freund, Graf Vaudrec.
Die beiden Herren verneigten sich vor einander, blickten sich scharf an und Duroy zog sich sofort zurück.
Er ward nicht aufgefordert zu bleiben, sagte irgend ein paar Dankesworte, drückte die entgegengestreckte Hand der jungen Frau, verbeugte sich noch einmal vor dem Neueingetretenen, der das kühle, unbewegliche Antlitz des Weltmannes behielt und ging dann ganz verwirrt hinaus, als ob er eben eine Dummheit gemacht hätte.
Als er auf der Straße stand, war er unmutig. Irgend ein geheimer Kummer war über ihn gekommen. Er ging seines Weges und fragte sich, warum ihn eigentlich plötzlich diese Schwermut überfallen. Er wußte keine Erklärung. Aber das ernste Gesicht dieses schon etwas ältlichen Grafen Vaudrec, mit dem ergrauten Haar und dem ruhigen, unverschämten Aussehen eines sehr reichen und sehr sicheren Mannes, kam ihm fortwährend wieder in den Sinn.
Und er merkte, daß der Eintritt dieses Unbekannten, der das reizende Zusammensein gestört, an das sich sein Herz bereits gewöhnt, ihn angeweht hatte mit jenem Gefühl von Kälte und Verzweiflung, das in uns manchmal irgend ein Wort, das wir gehört haben, ein Elend, in das wir geblickt, der geringste Umstand erwecken kann.
Und ohne daß er recht wußte, warum, schien es ihm auch, als ob jener Herr mißvergnügt darüber gewesen sei, ihn dort zu treffen.
Bis drei Uhr hatte er nichts mehr zu thun und es war noch nicht Mittag. Er besaß noch sechs Franken fünfzig, und ging zum Frühstück in ein Bouillon Duval; dann bummelte er auf den Boulevards herum, und als es drei Uhr schlug, stieg er die Haupttreppe der ›Vie française‹ hinauf.
Die Zeitungsboten saßen auf einer Bank, mit gekreuzten Armen und warteten, während hinter einer Art von Katheder ein Diener die eben eingetroffenen Briefe sortierte. Es war alles vorzüglich eingerichtet, um den Eintretenden gleich zu imponieren. Alle zeigten eine gewisse Haltung, ein Benehmen, eine gewisse Würde, einen gewissen Schmiß wie es für das Vorzimmer einer großen Zeitung notwendig schien.
Duroy fragte:
– Ist Herr Walter zu sprechen?
Der Diener antwortete:
– Der Chef hat eben